Was passiert, wenn man einen Luftballon aufpustet und nicht zuknotet, sondern einfach loslässt?
Luftballon

Foto: Ratfink1973 (Pixabay)

Genau, er saust mit einem nicht sehr eleganten Geräusch wild durch die Luft und fällt dann zu Boden. Die Luft ist raus, der Ballon platt und wieder in seinem Ausgangszustand.

Was hat das aber nun mit mir, meinen Büchern und/oder dem Schreiben zu tun?

Ganz einfach: Gestern saß ich am Computer, blickte auf den Bildschirm, stand wieder auf, ging mit dem Hund raus, musste dringend noch Blumen gießen, die Waschmaschine anstellen, Facebook einen Besuch abstatten. Dann wieder zurück zu meinem geöffneten Manuskript. Ach herrje, die Betten waren noch nicht gemacht! Das ließ sich leicht ändern. Danach noch mal kurz auf Facebook geschaut, die E-Mails abgerufen, etwas zu trinken geholt. Trinken ist immerhin sehr wichtig, wie schon jedes kleine Kind weiß.

Dann doch endlich das Manuskript ansehen, mit dem Überarbeiten der zehn Seiten vom Vortag beginnen.

So weit, so gut.

Irgendwann war ich damit fertig und hätte eigentlich gleich mit dem Schreiben loslegen können. Wenn nicht … Ja, wenn nicht der Hund noch mal raus gemusst hätte. Das geht natürlich vor. Auf dem Rückweg rasch einen Umweg nach nebenan zu meiner Schwiegermama, weil Zeus sie halt so gerne besucht und immer ein Würstchen zur Belohnung von ihr bekommt. Bei der Gelegenheit lassen sich natürlich schnell noch die neuesten Neuigkeiten austauschen und über die Verrücktheiten der Welt klönen.

Dann wurde es aber wirklich, ehrlich Zeit, an die Arbeit zu gehen!

Was ich auch tat.

Halt, Moment, die Waschmaschine war inzwischen fertig, schnell die Wäsche in den Trockner packen.

Ach, und natürlich noch mal Mails checken, weil ich auf wichtige Nachrichten warte … Die Post reinholen musste ich dann auch noch und noch mal bei Facebook reinschauen, weil mir die Anzeige auf meinem Handy schon signalisiert hatte, dass da ein paar PNs eingetrudelt waren.

Okay, jetzt aber!

Oder, Moment, natürlich erst noch die passende Playlist bei YouTube aufrufen, damit die Stimmung auch passt.

Läuft, alles klar.

Meine Finger schwebten über der Tastatur.

Jawoll, die ersten Wörter flossen, wurden zu Sätzen, dann zu Absätzen, dann zu Seiten.

So muss das sein.

Dann klingelte das Telefon. Mitten in dieser wichtigen, wichtigen …

Meine Schwiegermama war dran: “Essen ist fertig!”

“Oh, aber ich hatte vorhin schon einen Joghurt mit Müsli … Ach, was soll’s.”

Selbstgemachte Spaghetti Bolognese, da sagt man nicht einfach Nein.

Was ich hier beschrieben habe, ist nicht ganz untypisches Verhalten bei AutorInnen. Es hat sogar einen hübschen Namen: Prokrastination

Prokrastinieren kommt von dem lateinischen procrastinare und bedeutet so viel wie “vertagen”  oder auch “aufschieben”.

Für dieses Aufschieberitis gibt es diverse Gründe, auf die ich hier allerdings jetzt nicht der Reihe nach eingehen will. Mit geht es heute nur um den speziellen Grund, aus dem ich gestern wie die Katze um den heißen Brei um mein Manuskript herumgeschlichen bin.

Hier kommen wir wieder auf den eingangs erwähnten Luftballon zurück.

Spionin wider Willen CoverSeit ich 2012 den ersten Band meiner unter dem Pseudonym Mila Roth erscheinenden Agentenkrimiserie Spionin wider Willen verfasst habe, sah und sehe ich eine bestimmte Szene mit den beiden Protagonisten Janna und Markus vor mir. Eine Szene, die sich zum Ende der ersten Staffel dieser Serie, genauer gesagt im elften Band, ereignen sollte.

Okay, ihr erratet es nun ganz leicht: Ich schreibe gerade an jenem elften Band. Und ich hatte gestern genau diese wichtige Szene erreicht, die mir seit 5 (in Worten: fünf!) Jahren vor Augen steht. Eine für die Figuren wie für die LeserInnen der Serie gleichermaßen verblüffende Szene. (Hoffe ich zumindest.) Mein Kopfkino hatte sie über die Zeit kräftig ausgeschmückt, sodass sie tatsächlich wie ein Film vor meinem inneren Auge ablief, wann immer ich an diesen elften Band dachte.

Jetzt sollte/musste/durfte ich sie also endlich, endlich schreiben. Diese Szene. Diese wichtige, außerordentliche, noch dazu sehr emotionale, spannende, überraschende, ungläubiges Staunen erweckende Szene.

Aber … was dann?

Was würde geschehen, wenn ich sie dann tatsächlich fertig geschrieben hätte? Würde mir dann die gesamte Serie wie der oben beschriebene Luftballon pfeifend um die Ohren sausen und am Ende leer und schlapp vor meinen Füßen landen? Wäre danach die Luft raus? Immerhin hatte ich fünf Jahre und zehneinhalb Episoden lang auf genau diesen Punkt zugeschrieben.
Luftballons

 

Und noch etwas:

Würde mir die Szene überhaupt genau so gelingen, wie sie in meinem Kopfkino ablief? Würden die LeserInnen sie genauso empfinden, wie ich mir das vorgestellt habe? Würden ihnen also tatsächlich vor Verblüffung die Kinnladen herunterkippen und sie sich beim Lesen laut fragen: “Das kann jetzt aber nicht sein, oder?” Oder würde ihnen zumindest ein erstauntes “Wow!” entfahren?

Solche und ähnliche Fragen trieben mich um und führten dazu, dass ich die Arbeit an der Szene immer weiter vor mir her schob und selbst, als ich dann endlich schrieb, jedes Wort in die Länge zog, besonders abwog, viel zwischendurch überlegte, auf die Musik im Hintergrund lauschte …

Ja, ich habe sie inzwischen fertiggeschrieben, die Szene.

Und ja, der erste Draft ist mir, denke ich, sehr gut gelungen.

Danach habe ich dann Feierabend gemacht und mich mit anderen Dingen beschäftigt. Mit Sport zum Beispiel. Ich liebe meine täglichen 45-90 Minuten (je nach Lust und Tagesform) in unserem Fitnessraum im Keller. Gestern hielt ich mich rund eine Stunde dort auf, hauptsächlich auf dem Crosstrainer und mit Techno- und Trancemusik auf voller Lautstärke. Die höre ich sonst nicht, sondern ausschließlich beim Sport. Dabei lässt es sich phantastisch visualisieren und plotten.

Natürlich kreisten auch da meine Gedanken ganz automatisch um mein Manuskript, aber interessanterweise gar nicht so sehr um DIE Szene. Sie fühlte sich auf angenehme Weise abgehakt an. Stattdessen kamen mir ein paar sehr interessante und wichtige Details für die zweite Hälfte der Geschichte in den Sinn. Ein paar lose Enden verbanden sich auf geradezu magische Weise zu einem logischen Ganzen.

Und dann sprangen meine Gedanken plötzlich vorwärts, also innerhalb der Serie. Weiter in die bereits geplante zweite Staffel.

Was soll ich sagen? Plötzlich sah ich eine, zwei, nein, ganze drei neue, sehr wichtige Szenen vor meinem inneren Auge, die sich so weit weg im Verlauf der Serie befinden, dass ich nun wieder etwas habe, auf das ich mit Freude und Eifer hinschreiben kann.

Spannende Szenen. überraschende Szenen. Schööööne Szenen.

Ha, wer sagt’s denn?!
Die Angst vor dem Luftballon-Effekt war vollkommen unbegründet.

Ballons

Möglicherweise wird mir die Vorfreude auf diese eine spezielle Szene immer ein wenig fehlen, aber dafür gibt es ja nun gleich mehrere neue, die mir wie auch den Leserinnen mindestens ebenso gut gefallen werden.

Übrigens prokrastiniere ich gerade jetzt auch schon wieder. Das Verfassen von Blogartikeln, während man eigentlich die geschriebenen Seiten des Vortags überarbeiten müsste, gehört nämlich definitiv auch in diese Sparte. Diesmal aber irgendwie nur, weil ich die Vorfreude auf das, was ich gestern geschrieben habe, noch ein bisschen auskosten möchte. So richtig mit Kribbeln und Schmetterlingen im Bauch.

Aus welchem Grund auch immer ihr vielleicht gerade ebenfalls prokrastiniert: Ihr braucht kein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Es gehört zum Leben dazu. Zum Leben der schreibenden Zunft sowieso.

Aber.

Klar, was sonst, ein Aber muss noch folgen: Übertreibt es nicht. Irgendwann muss getan werden, was getan werden muss. Und wenn sich eine Tür dadurch schließt, wird sich ganz bestimmt anderswo ein Fenster öffnen. Oder sogar ein ganzes Scheunentor. Und wer weiß, welche schöne Aussicht sich dahinter verbirgt!

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