Kommen Euch folgende Aussagen bekannt vor oder habt ihr sie vielleicht sogar (schon seit eurer Schulzeit) verinnerlicht?
– Frauen hatten keinerlei Rechte im Mittelalter.
– Frauen durften im Mittelalter keine Berufe erlernen oder ausüben.
– Frauen waren im Mittelalter ausschließlich dazu da, den Haushalt zu beschicken und Kinder zu kriegen.
-Frauen im Mittelalter konnten alle nicht lesen, schreiben und rechnen.
– Frauen wurden im Schnitt nur 29 Jahre alt.
– Die meisten Frauen starben im Kindbett.
– Liebesehen gab es im Mittelalter nicht.
– Mittelalterliche Frauen hatten keinerlei Anteil am öffentlichen Leben und mussten stets ihren Mund halten.
– Frauen im Mittelalter durften weder erben noch eigenen Besitz haben und waren grundsätzlich unmündig.
Die Liste ließe sich noch erweitern und ich bin sicher, dass viele von euch beim Lesen der einzelnen Punkte zustimmend vor sich hin genickt haben.
Nun muss ich euch leider sagen: Ihr seid in weiten Teilen Irrtümern, Falschmeldungen und Missverständnissen aufgesessen.
Das ist keinesfalls herablassend gemeint, sondern lediglich eine Feststellung. Auch mir wurden die genannten Punkte genauso in der Schule vermittelt und auch später noch, als ich begann, mich mit der (spät)mittelalterlichen Geschichte zu befassen, begegneten mir diese Aussagen immer wieder, selbst in renommierten Fachzeitschriften und Büchern. Selbst wenn man heutzutage Dokumentationen im Internet oder im TV über das Leben im Mittelalter ansieht, werden die immer gleichen Aussagen über die Frauenrolle im Mittelalter wiedergekäut, ganz so, als gäbe es die neuesten Erkenntnisse aus der historischen Forschung nicht.
Vielleicht hängt es mit Bequemlichkeit zusammen, vielleicht auch damit, dass solche düsteren Beschreibungen uns heute ein wohlig-gruseliges Schaudern verursachen und wir und gleich darauf so richtig glücklich schätzen können, in der heutigen Zeit zu leben und nicht damals. Hin und wieder, so möchte ich auch mal unterstellen, könnte es auch damit zusammenhängen, dass die neuen Erkenntnisse ein völlig anderes Licht auf die ach so finstere, männerdominierte Epoche des Mittelalters werfen und damit unser Weltbild erschüttern (könnten). Das geht vielen, gerade konservativ eingestellten Menschen gehörig gegen den Strich.
Irrtümer, Falschmeldungen und Missverständnisse
Was meine ich genau damit?
Zuallererst einmal: DAS Mittelalter gibt es nicht. Entsprechend ebenso wenig die Frau im Mittelalter. Wir reden hier von einem Zeitraum von etwa 1000 Jahren. Diesen als eine homogene Zeit anzusehen, wäre genauso, als wenn wir die Zeit vom Jahr 1019 bis 2019 als eine Epoche beschreiben wollten. Letzteres geht nicht? Genau, denn dann würden wir unsere Zeit mit dem Hochmittelalter gleichsetzen. Dass das nicht funktionieren kann, ist wohl mehr als deutlich.
Was ist überhaupt das Mittelalter?
Gemeinhin teilen wir das Mittelalter in drei Abschnitte ein: frühes, hohes und spätes Mittelalter. Sie erstrecken sich vom Ende der Antike (5./6. Jahrhundert n. Chr.) bis zum Beginn der Neuzeit (15. Jahrhundert n. Chr.). Dabei gibt es, was Beginn und Ende der Gesamtepoche angeht, verschiedene Ansichten. Ich bleibe jetzt der Einfachheit halber bei der hier genannten.
Das Frühmittelalter erstreckt sich in etwa vom 5./6. bis zum 10. Jahrhundert. Es handelt sich um eine Zeit des politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Wandels und keinesfalls, wie früher oftmals suggeriert, um eine finstere, rückständige Epoche. Sehr im Mittelpunkt standen die Christianisierung und die Abkehr von alten heidnischen Göttern, aber auch die weltlichen antiken Reiche zerfielen und wurden neu geordnet.
Hochmittelalter nennen wir in etwa die Zeit zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert. Es war die Blütezeit des Rittertums, des Lehnswesens und auch des Minnesangs, also der Dinge, die uns aus dem Geschichtsunterricht wohl allen am meisten im Gedächtnis geblieben sind. Aber auch der Investiturstreit (Machtkampf zwischen weltlicher und geistlicher Macht) sowie die Kreuzzüge fallen in diese Zeitspanne.Zwischen etwa 1300 und 1500 liegt das späte Mittelalter. In diesen Jahrhunderten verloren die Königreiche bzw. deren Herrscher an Macht, während weltliche und geistliche Landesherren erstarkten. Das Bürgertum gewann, ebenso wie die Handwerkerschaft, zunehmend (der Prozess begann schon im ausgehenden Hochmittelalter) an Einfluss und forderte mehr und mehr Selbstbestimmung, speziell in den Städten. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Sturz der Geschlechter (Adel) im Kölner Stadtrat ab 1395 und der darauf folgende Verbundbrief, der den Patriziern, Gaffeln (Zusammenschlüsse der Zünfte) und den darin zusammengeschlossenen Kaufleuten und Handwerkern weit mehr Macht in der Stadtregierung zuwies. In meiner Romanreihe um die Apothekerin Adelina gehe ich immer wieder auf diese Auseinandersetzungen ein.
Neben dem Bürgertum gewann auch die Geldwirtschaft zunehmend an Wichtigkeit und, ausgehend von Italien, entstanden unter anderem die ersten „Banken“.
Aber auch Bildung, Kunst und Wissenschaft erlangten einen Aufschwung im späten Mittelalter. Die ersten Universitäten wurden bereits im Hochmittelalter gegründet (Paris, Bologna), weitere (Köln, Prag usw.) folgten nun. Wissenschaft und Philosophie rückten mehr und mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit und für Künstler gab es mannigfaltige neue Betätigungsbereiche. Wo sich die Kunst, speziell die Malerei, zuvor auf kirchliche Motive beschränkt hatte, gab es nun, ausgehend vom erstarkenden Bürgertum ganz neue Möglichkeiten, private Bildnisse anfertigen zu lassen.
Die Wirtschaft boomte im späten Mittelalter, würden wir heute sagen. Auch hier waren das erstarkende Bürgertum und die Geldwirtschaft treibende Kräfte, ebenso wie die neu entstandenen Städtebünde wie zum Beispiel die Hanse, die zu großer Macht gelangten und den Handel (weltweit) voranbrachten.
Nicht vergessen darf man aber auch die großen Pestkatastrophen, die ebenfalls in das späte Mittelalter fielen und deren verheerende Ausmaße mitunter auch mit den eben genannten erstarkenden Handelsbewegungen und –beziehungen und der wachsenden Mobilität der Menschen zusammenhängen.
Die Frau im Mittelalter gibt es nicht
Schon anhand dieser Aufzählung dürfte euch nun klar sein, dass man innerhalb dieser wechselhaften rund 1000 Jahre schwerlich von „der Frau im Mittelalter“ reden kann. Ihre Rolle bzw. ihre Aufgaben, Lebenswelt und Rechtssituation unterscheidet sich gravierend, ob sie nun im 9. oder im 14. Jahrhundert gelebt hat. Und dazwischen auch noch einmal in vielfältiger Weise.
Und nicht nur das. Man muss stets im Auge behalten, welchem Stand eine Frau angehörte. War sie eine Tochter des Stammesobersten im 7. Jahrhundert, eine leibeigene Bäuerin im 11. Jahrhundert, eine Äbtissin im 12. Jahrhundert, eine adelige im 13. oder eine Bürgerstochter im Jahr 1400? War sie Nonne, Begine, Ehefrau, jüngste oder älteste Tochter eines Patriziers, Marketenderin oder Dirne, Tagelöhnerin oder Hebamme und so weiter. Die Kombinationsmöglichkeiten sind fast unendlich.
Worauf ich in diesem Blogartikel eingehen möchte, ist schwerpunktmäßig die Rolle der Frauen im späten Mittelalter, wobei sich manches auch auf frühere Zeitabschnitte, speziell die zweite Hälfte des Hochmittelalters anwenden lässt, aber längst nicht alles. Hierzu werde ich die oben genannten Aussagen nacheinander genauer betrachten.
Also, fangen wir an!
Frauen hatten keinerlei Rechte im (späten) Mittelalter.
Jein. Grundsätzlich war es schon so, dass eine Frau vor dem Gesetz unmündig war und stets der Aufsicht/Munt des Vaters, Ehemannes oder des ältesten lebenden männlichen Verwandten unterstand. Aber. (Ihr werdet heute noch einige Abers lesen!) Wenn man sich historisches Quellenmaterial und neueste Forschungen ansieht, erkennt man schnell, dass diese pauschale Aussage so nicht stimmt. Abgesehen davon, dass gerade in vielen Städten nach und nach die Unmündigkeit der Frauen abgeschafft wurde und sie somit geschäftsfähig wurden und das Recht erhielten, Eigentum zu besitzen, Siegel zu führen und das Bürgerrecht zu erwerben, treffen wir darüber hinaus in den Quellen auch immer wieder auf eine große Menge an Frauen, die sich eigenständig für ihr Recht einsetzten und sogar ohne männlichen Beistand vor Gericht vertraten.
Mini-Exkurs: Übrigens treffe ich vor allem bei Lesungen oder in Gesprächen immer noch auf den Irrglauben, dass zum Beispiel die Mitgift, die eine Frau mit in die Ehe brachte, dem Mann anheimfiel. Dem war nicht so. Die Mitgift gehörte der Frau, war ihr Heiratsgut, das zwar vom Ehemann verwaltet wurde, jedoch nicht so einfach ohne ihre Einwilligung ausgegeben werden durfte. Dass dies trotzdem manchmal geschah, steht auf einem anderen Blatt und war sogar oft Gegenstand ehelicher Auseinandersetzungen, die sogar vor Gericht enden konnten. Starb der Ehemann, fiel die Mitgift wieder an die Frau zurück.
Frauen durften im Mittelalter keinerlei Berufe erlernen oder ausüben.
Falsch.
Mit den durchaus vorhandenen Rechten, die Frauen besaßen, ging auch das der Berufsausübung einher. Nicht in jedem Beruf und überall, da wurde tatsächlich unterschieden, doch in weit mehr Berufszweigen, als das heute landläufig bekannt ist.
Es gab viele Berufsfelder, angefangen bei den Hebammen über die tuchproduzierenden Handwerke bis hin zu Handel und weiteren Gewerben, die sehr stark von Frauen besetzt waren. Weberinnen, Spinnerinnen und dergleichen verdienten zwar oft nicht viel Geld, waren aber häufig in ihrem Berufsfeld in der Überzahl. Seidenweberinnen gab es zum Beispiel in Köln, das Seidweberinnengässchen spricht noch heute davon, und dieser Berufszweig war sogar in einer eigenen Zunft zusammengeschlossen, in der nur Frauen zugelassen waren. Überhaupt konnten Frauen in diversen Gewerken und Handelsbereichen in Zünfte aufgenommen werden oder bildeten sogar reine Frauenzünfte.
In der Regel halfen Frauen entweder in der Werkstatt oder dem Handelskontor ihres Gatten mit oder führten sogar eigene. In diversen Berufen durften sie sogar ausbilden (nur Mädchen) und, wie gesagt, Zünften beitreten. Sie führten eigene Siegel, entweder nachdem ihr Ehemann gestorben war und sie deshalb sein Geschäft übernahmen, oder weil ihnen von Zunft und Rat das eigenständige Recht dazu zugesprochen wurde.
Einige Frauen erlangten in ihrem Berufszweig sogar großen Ruhm und Einfluss. Bei meinen Recherchen zur Stadt Koblenz stieß ich zum Beispiel auf die Jüdin Reynette, die im 14. Jahrhundert in der kleinen aber nicht unbedeutenden Handelsstadt an Rhein und Mosel lebte und es zu weitreichendem Einfluss als Geldverleiherin brachte. Erzbischof, Herzöge, Adel und reiches Patriziat gehörten zu ihren Kreditkunden. Sie war zweimal verheiratet. Ihr zweiter Mann nannte sich offiziell – und das ist tatsächlich ungewöhnlich fürs Mittelalter – nach ihr: Moses, Mann von Reynette. Er war zwar ebenfalls ein Geldverleiher, jedoch war sie diejenige mit Macht und Einfluss, sodass er sich auf ihren guten Leumund verließ und ihn für sich nutzte.
Mehr darüber könnt ihr unter anderem HIER nachlesen.
Frauen waren im Mittelalter ausschließlich dazu da, den Haushalt zu beschicken und Kinder zu kriegen.
Wieder falsch.
Selbstverständlich war die Ehe, die eine jede fromme Jungfer, so sie nicht ins Kloster eintrat, möglichst zu schließen hatte, in erster Linie dazu da, für Nachwuchs, zuvörderst männlichen, zu sorgen, damit die Erbfolge gesichert war. Das galt sowohl für die adelige als auch für Bürgers- Handwerker- oder Bauerntochter. Daraus jedoch zu schließen, dass Frauen nach der Hochzeit nur für Haus und Kinder zuständig gewesen wären, ist deutlich zu eng gedacht und wäre wirtschaftlich auch nicht sinnvoll gewesen. Wie man schon an meinen Ausführungen oben erkennt, waren verheiratete Frauen durchaus in vielen Handwerks- und Geschäftsfeldern tätig. Woher stammt nun aber diese (unrichtige) Aussage?
Einen großen Anteil an diesem Frauenbild hat die Romantik oder noch weiter gefasst die Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts. Damals wurde auch der Begriff des finsteren Mittelalters geprägt, wohl um die „moderne“ Zeit von der früheren abzugrenzen und aufzuwerten. (Das ist jetzt etwas grob zusammengefasst, denn sonst würden meine Ausführungen diesen sowieso schon sehr ausführlichen Artikel sprengen.)Tatsächlich trifft die Aussage, dass Frauen nur als Hausfrau und Mutter gesehen wurden, mehr auf das 18. und 19. Jahrhundert zu (und sogar noch eine Weile darüber hinaus) denn auf die Epoche des Mittelalters. Wenn man sich näher mit der Thematik befasst, wird schnell ersichtlich, dass Frauen im 13. oder 14. Jahrhundert deutlich mehr Möglichkeiten und Rechte hatten, sich in Beruf, Kunst und Handwerk zu entfalten als ihre Geschlechtsgenossinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Durch diverse politische, soziale, gesellschaftliche, religiöse und sogar meteorologische Begebenheiten und Ereignisse wurden Frauen etwa ab dem 16. Jahrhundert zunehmend aus Handel, Gewerbe und öffentlichem Leben gedrängt, sodass sie tatsächlich am Ende dieses Prozesses so gut wir ausschließlich auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter reduziert worden waren. Gegen die Auswirkungen dieser Entwicklung kämpfen wir sogar heute noch stellenweise an. Wäre die Geschichte nicht in den für sie typischen Wellenbewegungen verlaufen, sondern linear, wäre der Begriff Emanzipation für uns heute wohl überhaupt kein Thema mehr, denn dann hätte sich die Rolle der Frau gänzlich anders entwickelt, als sie es tatsächlich getan hat und immer noch tut. Hierauf genauer einzugehen, würde einen eigenen Blogartikel rechtfertigen.
Frauen im Mittelalter konnten allesamt nicht lesen, schreiben und rechnen.
Das wäre fatal gewesen und stimmt so auch nicht. Übrigens ebenso wenig wie wenn ich hier anstatt „Frauen“ „Männer“ geschrieben hätte.
Natürlich waren innerhalb der rund 1000 Jahre des Mittelalters die meisten Menschen Analphabeten. Doch mit dem zunehmenden Erstarken des Bürgertums, der Ausweitung des Handels, der Entstehung von Städtebünden, der Gründung von Universitäten und so weiter wurde das geschriebene Wort immer wichtiger. Wo anfangs nur ein paar privilegierte Geistliche imstande waren, Urkunden oder auch theologische Schriften zu verfassen, allesamt natürlich in Latein, wurde es mit fortschreitender Zeit immer notwendiger, Vorgänge in Worten festzuhalten. Briefe, Handelsurkunden, Wechsel, bald auch Rechnungsbücher, ganz zu schweigen von Chroniken oder den Stadtbüchern, in denen Ratsbeschlüsse, Gerichtsakten, in denen Urteile festgehalten wurden.
Wie kommen wir jetzt aber darauf, dass, wenn überhaupt, nur die Männer des Lesens, Schreibens und Rechnens mächtig waren? Eine gute Frage.
In den Klöstern, in denen am ehesten mit Gelehrsamkeit zu rechnen war, gab es wenig Unterschiede, was die Lese- und Schreibkunst anging. Tatsächlich entstammen auch viele theologische Schriften sowie Abschriften alter Bücher sowohl aus Mönchs- als auch aus Nonnenklöstern. Gerade neuere Forschungen deuten darauf hin, dass der Anteil weiblicher Chronisten und Schreiber sowie auch Illustratoren wahrscheinlich deutlich höher liegt als bisher angenommen.
Wie sah es außerhalb der Klostermauern aus?
Große Teile der Bevölkerung lernten niemals Lesen und Schreiben. Bauern, Tagelöhner, Knechte, Mägde, auch viele Handwerker gehörten dazu. Viele, aber nicht alle. Je wohlhabender jedoch die Person und je wichtiger für die Familie eine umfassende Bildung war, desto eher fand man auch des Lesens und Schreibens (sowie Rechnens) mächtige Männer und auch Frauen. Frauen übrigens insbesondere, denn wer war es denn, der (oder vielmehr die) im Falle der Abwesenheit des Gemahls die Geschäfte oder Werkstatt weiterführte? War ein Handwerker aus Gründen auf Wanderschaft oder anderswo beschäftigt, befand sich ein Kaufmann auf Reisen, oblag es in der Regel seiner Frau, ihn daheim in allen Bereichen zu vertreten. Zumindest solange der älteste Sohn noch zu jung war, um diese Aufgaben zu übernehmen. Doch selbst danach dürften die Frauen weiterhin in die Geschäfte involviert gewesen sein. Auch führten die Ehefrauen von Kaufleuten meistens deren Bücher. Das ging indes nur, wenn sie eine entsprechende Bildung besaßen.
Beim Adel verhielt es sich übrigens ähnlich. Wer, wenn nicht die Frau des Ritters, Grafen, Fürsten usw. hat wohl zuvörderst dessen Stellung vertreten, wenn dieser sich auf Kriegszug oder Reisen befand? Ganz zu schweigen davon, dass Frauen auch nach dem Tode ihrer Ehemänner häufig deren Gewerbe weiterführten oder die Ländereien verwalteten.
Mini-Exkurs: Es gab hinsichtlich des Weiterführens eines Handwerks jedoch auch diverse Einschränkungen für Frauen. So legten die meisten Zunftordnungen zum Beispiel fest, dass eine Frau innerhalb eines oder bis zu maximal drei Jahren nach dem Tod ihres Gemahls eine neue Ehe mit einem Mann desselben Handwerkszweigs eingehen musste, um die Werkstatt dauerhaft weiterführen zu dürfen. Deshalb waren Meisterwitwen sehr begehrt denn:
Es gab zwar Meisterprüfungen, doch die meisten Gesellen konnten nur jemals Meister werden, wenn sie die Tochter oder Witwe eines Meisters ihres Handwerkszweiges ehelichten. Durch diese Ehe erlangten sie automatisch die Meisterwürde.
Mittelalterliche Frauen hatten keinerlei Anteil am öffentlichen Leben und mussten stets ihren Mund halten.
Das hätten die Männer wohl oftmals gerne so gehabt. Aber. (Mein Lieblingswörtchen!) Ich bin im Zuge meiner Recherchen immer wieder auf Quellenmaterial gestoßen, aus dem hervorgeht, dass entweder irgendwelche Theologen oder aber (noch spannender) gerne auch Stadtobere in Schriften und Verlautbarungen verkündeten (oder ausrufen ließen), dass Frauen sich doch gefälligst nicht in öffentliche Debatten einzumischen hätten und, was zum Beispiel städtische Angelegenheiten betraf, ihren Mund halten sollten.
Warum, frage ich euch, musste man dies immer wieder anmahnen und sogar öffentlich verkünden? Wenn die Frauen wirklich so zurückhaltend, rechtlos und still gewesen wären, wie man uns im Schulunterricht glauben gemacht hat (und oftmals heute noch glauben macht), wären solche Ermahnungen gar nicht nötig gewesen.
Waren sie aber doch, denn Frauen haben zu keiner Zeit ihren Mund gehalten und sich immer schon überall eingemischt. Selbst wenn das hier und da durchaus Strafen nach sich ziehen konnte. Unterlassen haben sie es nie.
Frauen im Mittelalter durften weder erben noch eigenen Besitz haben und waren unmündig.
Grundsätzlich erbte im Mittelalter der älteste männliche Nachfahre alles. Es gibt zwar auch andere Erbrechtsformen, aber diese ist die gängigste und daran lässt sich auch kaum rütteln. Aber. (Ja, ihr merkt, ich liebe es sehr.)
Es war durchaus möglich, dass testamentarisch auch eine Frau mit Erbgut bedacht wurde, und es war auch eine gängige Vorgehensweise, mit der Familienoberhäupter ihre Ehefrauen und Töchter absicherten. Ehefrauen wurde oft lebenslanges Wohnrecht im Haus gewährt sowie eine (manchmal sogar verzinsliche, beim Stadtrat oder anderswo hinterlegte) Leibrente. Auch Töchter konnten Leibrenten und ihre Mitgift erben. In ganz seltenen Fällen, und darauf bin ich auch nur durch meine Recherchen gestoßen, wurden Frauen sogar zu Alleinerbinnen eingesetzt. Das war nicht nur ungewöhnlich, sondern oft sogar skandalträchtig, weil es gegen Gewohnheitsrechte verstieß. Aber unmöglich war es eben nicht.
Auch Frauen konnten ihr Hab und Gut vererben, so sie welches besaßen. In Städten, in denen die Unmündigkeit der Frauen im Lauf des späten Mittelalters sogar aufgehoben wurde, kam dies sogar regelmäßig vor.
Und damit wären wir noch einmal bei der Unmündigkeit. Obwohl sie über viele Jahrhunderte Bestand hatte, war die gängige Praxis meist eine andere. Und das wiederum führte letztlich dazu, dass viele Städte die Unmündigkeit der Frauen abschafften und es ihnen so ermöglichten, für sich selbst einzustehen, Bürgerrechte zu erlangen und auf eigene Rechnung Handel und Gewerbe zu betreiben.
Frauen wurden im Schnitt nur 29 Jahre alt.
So was von falsch bzw. irreführend, dass mir die Haare zu Berge stehen. Demnächst wird es zum Thema durchschnittliches Alter mittelalterlicher Menschen noch einen eigenen Artikel geben, weil es mich immer wieder erschreckt, wie sehr solche pauschalen Aussagen das Bild, das sich die Menschen vom mittelalterlichen Leben machen, verfälschen.
Hier nur kurz ein Beispiel, das euch leicht vor Augen führt, weshalb so eine pauschale Aussage komplett in die Irre führt:
Nehmen wir einen Haushalt von heute, in dem die Großmutter (70 Jahre alt), die Mutter (49 Jahre alt), die Tochter (25 Jahre alt) und die Enkelin (2 Jahre alt) zusammen leben. Das durchschnittliche Alter der Frauen beträgt hier 70 + 49 + 25 + 2 = 146 : 4 = 36,5 Jahre. Nehmen wir an, es kommt zu einer Gasexplosion in dem Haus, bei der alle vier Bewohnerinnen zu Tode kommen, dann wäre die durchschnittliche Lebenserwartung dieser Frauen 36,5 Jahre.
Kapiert? ;-)
Übertragen wir dies jetzt mal auf die Frau im (späten Mittelalter):
Die Kindersterblichkeit war hoch, mancherorts und zu einigen Zeiten betrug sie bis zu 50 Prozent. Aber Achtung, auch dies ist ein Durchschnittswert, der von vielen Faktoren abhängig ist.
Wenn frau also die Kindheit überlebte, keiner Seuche (die Pest war nur eine von vielen), oder Hungersnot und keinem Krieg zum Opfer fiel und auch jede Geburt ihrer Kinder überlebte, konnte sie durchaus ein für uns normales Alter von 60, 70 und sogar deutlich mehr Jahren erreichen. Das sind jetzt eine Menge Wenns, ich weiß, aber in der Regel trafen ja nicht alle diese Faktoren auf jede Frau gleichzeitig zu.
In Klöstern hatten Frauen wohl tendenziell die höchste Lebenserwartung, weil dort Schwangerschaften eher eine Seltenheit waren (wenn auch nie ganz ausgeschlossen) und es in der Regel ein ausreichendes Nahrungsangebot sowie Heilkundige gab.
Auf dem Land dürfte sich die Sache wiederum schon allein deshalb wieder anders gestaltet haben, weil die Frauen hier deutlich härterer körperlicher Arbeit ausgesetzt gewesen sind (und sich möglicherweise sprichwörtlich zu Tode geschuftet haben).
Mehrgenerationenhaushalte waren im Mittelalter gang und gäbe, und auch dies spricht dafür, dass es durchaus ältere Familienangehörige gab (die ggf. auch gepflegt wurden), andernfalls gäbe es ja nur maximal zwei Generationen pro Haushalt.
Frauen trugen im Schnitt bis zu zwanzig Kinder aus und meisten Frauen starben im Kindbett.
Viele Frauen starben im Kindbett, aber sicher nicht die meisten, denn sonst wäre die Menschheit schon rein rechnerisch ziemlich schnell ausgestorben, weil einfach keine gebärfähigen Frauen mehr übrig gewesen wären.
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In der oben eingebetteten Dokumentation, die insgesamt gar nicht mal so schlecht ist, die aber leider auch hier und da zu stereotypen Aussagen neigt, wird zum Beispiel von sechs Kindern gesprochen, die eine Frau im Schnitt hatte. Ob es sich um lebende oder alle geborenen Kinder handelt, wird nicht spezifiziert. Im gleichen Zusammenhang heißt es aber auch, die Kindersterblichkeit hätte bei 50 Prozent gelegen und eine Frau habe bis zu zwanzig Kinder in ihrem Leben geboren (oder Schwangerschaften durchlebt).
Hier wirbeln gleich mehrere Behauptungen wild durcheinander und lassen uns wieder mal herrlich wohlig-gegruselt schaudern. Zwanzig Schwangerschaften, die Hälfte der Kinder starb und (siehe oben) eine Frau wurde im Schnitt nur 25 Jahre alt. Wie schrecklich und wie gut, dass wir heute leben.
Halt, Moment mal!
Zwanzig Schwangerschaften in 29 Lebensjahren? Wow, haben die Mädels damals früh angefangen und waren dann praktisch dauerschwanger bis zum Tod! Noch unglaublicher, wenn man bedenkt, dass sehr wahrscheinlich die jungen Frauen nicht ganz so frühreif waren wie unsere und die Menstruation nicht ganz so früh einsetzte wie heute oft. Hungersnöte und/oder einseitiges Essen sowie andere Faktoren können nämlich die Entwicklung der Mädchen zu Frauen stark beeinflussen.
Also doch nicht zwanzig Jahre lang dauerschwanger bis ins Grab? Nein, natürlich nicht. Erst mal war ein Mädchen zwar allgemein mit 14 Jahren (zeitweise sogar mit 12 schon) im heiratsfähigen Alter, was aber nicht heißt, dass alle Mädchen so früh tatsächlich schon verheiratet wurden und Kinder bekamen. Mädchen wurden zwar tendenziell früher verheiratet als Jungen bzw. junge Männer, im Adel gab es hier und da ja sogar Kinderheiraten, aber im Allgemeinen dürfte das Heiratsalter zwischen 15 und 18 Jahren gelegen haben. Man wusste nämlich auch damals schon, dass sehr junge Mädchen sich beim Gebären schwertun können und wollte ja nicht das Risiko eingehen, dass die erste Geburt gleich zum Tod (von Mutter und ggf. auch Kind) führte. Außerdem wurden Mädchen, zumindest in den entsprechenden Ständen, vor ihrer Heirat auch zur Hausfrau (und oft auch in einem Handwerk oder Gewerbe) ausgebildet, was einer allzu frühen Verheiratung ebenfalls entgegenstand.
Mini-Exkurs: Das Wort Hausfrau, speziell der Part „frau“ leitet sich vom mittelhochdeutschen frôwe / frouwe ab, was nicht Frau, sondern Herrin bedeutet. „Weib“ war die normale und nicht despektierlich gemeinte Bezeichnung für „Frau“.
Die frouwe war also die Herrin, die Hausfrau demnach die Hausherrin. Und tatsächlich war die Frau in ihrem Haus die Herrin über Hausrat und Gesinde und besaß hier die Entscheidungsgewalt.
Anmerkung am Rande: Männer waren übrigens meist deutlich älter, wenn sie die Ehe schlossen, weil sie erst einmal in der Lage sein mussten, eine Familie ernähren zu können, bevor sie überhaupt heiraten durften.
Nehmen wir nun an, ein Mädchen heiratete schon mit 15, wurde schnell schwanger und bekam neun Monate später das erste Kind. Wenn jetzt noch neunzehn weitere folgen sollten, wäre ihr Durchschnitts-Sterbealter bereits deutlich überschritten. Aber wir haben ja schon gelernt, dass es sich hierbei nur um einen statistischen Durchschnitt handelt, der nichts über das tatsächliche individuelle Sterbealter einer Frau aussagt.
Dauerschwanger waren die Frauen indes auch nicht alle, und eine solch hohe Anzahl von Schwangerschaften dürfte mithin der Höchstwert sein, den eine Frau erreichen konnte. Übrigens durfte sie dann auch nicht frühzeitig im Kindbett sterben, weil die ganze Rechnung sonst wieder nicht aufginge.
In der Doku oben wird hierzu Albrecht Dürers Mutter als Beispiel mit 18 Schwangerschaften in 25 Jahren angeführt. Wenn man sich ihr Bildnis ansieht, erkennt man, dass es das einer „alten“ Frau ist. Sie starb im Alter von 62 Jahren und wurde damit schon mehr als doppelt so alt wie der statistische Durchschnitt …
Hier und da finden sich Quellen, die von solch vielen Schwangerschaften berichten. Fragt sich, warum davon berichtet wurde. Weil das an der Tagesordnung war oder doch eher, weil es sich um eine besondere Ausnahme handelt, die jemand erwähnenswert fand? Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte.
Da über Frauen tendenziell wenig geschrieben wurde, ist es zumindest fahrlässig, solche Zahlen einfach als Durchschnittswerte für alle mittelalterlichen Frauen zu propagieren.
Übrigens: Wenn laut der Kindersterblichkeitsrate die Hälfte vorzeitig gestorben wäre, hätten wir pro Frau zehn Kinder, nicht sechs (siehe oben). Und wenn es doch sechs waren und es sich dabei um alle Geburten im Leben der Frau handelte und davon die Hälfte starb, bleiben nur noch drei lebende Kinder pro Frau übrig. Bei Dürers Mutter waren es indes 3 von 18 und damit eine Kindersterblichkeitsrate von über 75 Prozent anstatt der angegebenen 50 …
Euch dreht sich der Kopf? Mir auch.
Wie man es dreht und wendet, seid bitte immer vorsichtig bei pauschalen Aussagen und statistischen Werten. Hinterfragt, woher sie stammen und wie sie sich genau zusammensetzen.
Einigermaßen zuverlässigere Aussagen zur Geburtenrate lassen sich von historischen Quellen wie Kirchenbüchern, Testamenten, Abgabenlisten und dergleichen ableiten. Wenn in einer Stadt zahlreiche Kirchenbucheinträge zu finden sind, die pro Familie zwischen drei und sieben Kindern aufführen, die nicht im Kindesalter bereits verstorben sind (also mit etwas Glück später auch als Erwachsene in den Quellen auftauchen), kann man daraus die durchschnittliche Familiengröße ableiten. Für diese Stadt und den entsprechenden Zeitraum und die Schicht, aus der diese Familien stammten. Wo es solche Quellen nicht oder nur fragmentarisch gibt, wird es schwierig.
Über vorzeitig abgebrochene Schwangerschaften /Fehlgeburten gibt es so gut wie gar keine Aufzeichnungen, also beruhen Aussagen hierüber oftmals nur auf Schätzwerten.
Liebesehen gab es im Mittelalter nicht.
Dieses Thema hat nicht ausschließlich etwas mit der Rolle der Frau zu tun, aber immerhin war die Frau eine Hälfte eines Ehepaares.
Im Mittelalter wurde nicht aus Liebe, sondern nur aus wirtschaftlichen Gründen geheiratet, wird immer und überall betont. Gab es also keine Liebe im Mittelalter? Das wäre dann wirklich eine triste und traurige Epoche gewesen. 1000 Jahre Lieblosigkeit.
Kommt euch etwas seltsam vor? Zu recht.
Natürlich gab es innerhalb einer Ehe auch im Mittelalter Liebe und Zuneigung. Nicht in jeder Ehe, aber das ist heute auch nicht anders.
Grundsätzlich war die Ehe ein wirtschaftlicher Zusammenschluss und wurde erst im Laufe des Mittelalters zusätzlich mit einem christlichen Sakrament belegt und dieses noch einmal später ins Zentrum gerückt. Zuvor war die Ehe tatsächlich nur eine Vereinbarung zwischen zwei Familien.
Kulturelle, gesellschaftliche, soziale Strukturen sind ständig im Wandel und waren es auch quer durchs Mittelalter schon, aber der Mensch war immer zuallererst einmal Mensch. Natürlich war es dem Familienoberhaupt wichtig, seinen Nachwuchs möglichst sinnvoll wirtschaftlich abzusichern und, je nachdem, ob er ein Adeliger, vielleicht gar ein Herrscher, ein Kaufmann, Handwerker oder Bauer war, hegte er natürlich gewisse Pläne und Vorstellungen, wie diese Absicherung am besten aussehen sollte. Mussten Königreiche miteinander verbunden werden, ein Kontor weitergeführt oder ein nachfolgender Meister für den Handwerksbetrieb, ein Jungbauer für den Hof gefunden werden? Auf dem Land gab es oftmals relativ wenig Auswahl an heiratsfähigen Jungfern und Männern, in Städten, je größer sie waren oder je weitumfänglicher die Kontakte anderswohin reichten, desto mehr Alternativen boten sich entsprechend.Besagtes Familienoberhaupt fasste womöglich auch schon geeignete Kandidaten, männlich wie weiblich, ins Auge, die ihm am besten für seine Töchter und Söhne in den Kram passten. Nun aber davon auszugehen, dass er dann hinging und seinem Sohn oder seiner Tochter sagte: „Ach, übrigens, in sechs Wochen heiratest du diese Frau oder jenen Mann, basta, fertig aus!“, ist wieder sehr kurz gedacht. Das mag vielleicht vorgekommen sein, aber diverse, bis ins Mittelalter zurückgehende Bräuche (man nehme den Mailehen-Brauch im Rheinland oder das Fensterln im bayrischen Raum, aber es gibt noch viele mehr) lassen darauf schließen, dass die jungen Leute durchaus in der Lage und willens waren, sich zu verlieben und selbst nach einem geeigneten Ehegespons Ausschau zu halten. Manchmal mochte sie oder er der Familie nicht passen, doch wenn man davon ausgeht, dass die meisten Menschen sich überwiegend innerhalb ihrer eigene Kreise bewegten, kann man doch davon ausgehen, dass die beiden beteiligten jungen Leute schon ein wenig Mitspracherecht hatten und nicht auf Biegen und Brechen anderweitig verheiratet wurden, wenn sie einander zugetan waren und die Rahmenbedingungen stimmten.
Selbst wenn ein noch recht junges Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren einem dreißigjährigen Mann anverheiratet wurde, muss das nicht heißen, dass sie dazu in jedem Fall unter Androhung von Strafe gezwungen wurde. Nur weil diese Ehe vielleicht wirtschaftlich erstrebenswert war, bedeutete das nicht, dass die beiden Eheleute sich nicht mochten. Einem Familienoberhaupt bzw. beiden Elternteilen dürfte auch damals schon daran gelegen gewesen sein, ihre Kinder nicht nur wirtschaftlich sicher zu verheiraten, sondern ihnen auch ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Ausnahmen mögen die Regel bestätigen (und davon liest man wieder häufiger als von der großen, unauffälligen Masse), doch wenn man davon ausgeht, dass Eltern immer das Beste für Ihre Kinder wollen, ganz gleich in welcher Epoche sie gelebt haben, klingt es in meinen Ohren abwegig, wenn man annimmt, alle Väter oder Eltern hätten ihre Kinder, Söhne wie Töchter, zu Zwangsehen verdonnert.
Übrigens gab es neben der Muntehe im Mittelalter durchaus auch noch andere Eheformen wie u. a. die Friedelehe (die mehr einer Liebesheirat glich, bei der die Frau jedoch rechtlich anders gestellt war, ebenso wie ihre Kinder), was ebenfalls darauf schließen lässt, dass den mittelalterlichen Menschen das Konzept von Liebe innerhalb der Ehe nicht fremd war.
Darüber hinaus lebten unzählige Menschen im Mittelalter sogar in wilden Ehen, weil sie einfach finanziell gar nicht in der Lage waren und das Recht hatten, eine offizielle Ehe zu schließen. Hierzu gehörten Knechte und Mägde, viele Tagelöhner, Gesellen, fahrendes Volk und viele mehr. Entsprechend viele Bastarde gab es denn auch. Doch wenn man sich überlegt, dass zwei Menschen kaum gezwungen werden können, eine wilde Ehe einzugehen, kann man davon ausgehen, dass zumindest ein großer Teil hiervon aus Zuneigung entstanden sind.
„Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“
Johann Wolfgang von Goethe (Werk: Faust)
Na, geht es Euch jetzt auch so wie dem guten alten Faust oder konnte ich ein wenig Licht auf die Rolle der Frau im (späten) Mittelalter werfen? Wer bereits einmal eine meiner historischen Romanlesungen besucht hat, weiß wahrscheinlich, dass dies eines meiner Lieblingsthemen ist, welches ich nun versucht habe, einigermaßen kompakt für euch zusammenzufassen.
Natürlich ist dies ein sehr weites Feld und neuere Forschungen bringen immer wieder Überraschendes und Neues ans Licht. Mir ist es wichtig, Euch aufzuzeigen, dass die Pauschalaussagen aus dem Geschichtsunterricht (die anscheinend auch heute noch an der Tagesordnung sind), unbedingt hinterfragt werden müssen, denn schon dieser Blogartikel dürfte aufzeigen, dass allgemeingültige Aussagen nicht möglich sind und viele davon obendrein auch noch vollkommen an der Lebenswirklichkeit des Mittelalters vorbeigehen.
Vielleicht begreift Ihr auch jetzt noch besser, warum ich so gerne über starke Frauen des späten Mittelalters schreibe. Mir wurde schon vorgeworfen, dass meine Frauenfiguren viel zu selbstsicher, zu selbstständig, zu aufmüpfig und spitzzüngig seien. Dass sie niemals in dem von mir beschriebenen Maße am öffentlichen oder gewerblichen Leben hätten teilhaben können.
Hätten sie eben doch, und ohne ein gerüttelt Maß an Selbstbewusstsein wären sie dabei nicht weit gekommen.
In diesem Sinne wünsche ich euch für die Zukunft einen kritische(re)n Blick auf das, was man euch als pauschale Wahrheiten (nicht nur über das Mittelalter) auftischen möchte. Und vielleicht trifft man sich ja tatsächlich mal bei einer meiner Lesungen zu einem Plausch über das Thema. Oder hinterlasst hier unter dem Artikel einen Kommentar, sprecht mich in den sozialen Netzwerken an oder schreibt mir eine E-Mail.
Hier nun noch ein kleines Filmchen, dass ich im Zuge der Recherchen zu diesem Blogartikel entdeckt habe. Es fasst auf unterhaltsame Weise noch einmal ein paar meiner Thesen und Ausführungen zusammen.
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Petra Schier, Jahrgang 1978, lebt mit Mann und Hund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel. Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2003 als freie Autorin. Ihre historischen Romane erscheinen im Rowohlt Taschenbuch Verlag, ihre Weihnachtsromane bei Rütten & Loening sowie MIRA Taschenbuch.
Unter dem Pseudonym Mila Roth veröffentlicht die Autorin verlagsunabhängig verschiedene erfolgreiche Buchserien.
Petra Schier ist Mitglied in folgenden Autorenvereinigungen: DELIA, Syndikat, Autorenforum Montségur
Sehr interessanter Beitrag, die vielen “aber” fand ich gut und die Argumentation schlüssig.
Liebe Petra, wie immer ein höchst interessanter Beitrag, der sehr logisch argumentiert und der mir einige Punkte erklärt hat, über die ich zwar bei meinen “Reisen” durch die Geschichte immer wieder gefallen bin, die ich aber aufgrund der fehlenden tiefergehenden Recherche meinerseits nicht ganz belegen konnte z.B. den Punkt, dass die Frauen des Mittelalters eben nicht nur Hausfrauen und Mütter waren. Ich lese immer wieder gern bei dir rein. Viele Grüße Ela
Liebe Ela,
das freut mich. Viele unserer heutigen Sichtweisen auf das “finstere” Mittelalter stammen aus der Zeit der Romantik. Interessanterweise herrschte genau da das Frauenbild vor, das wir heute aufs Mittelalter projizieren …
Liebe grüße
Petra
Natürlich haben wir unterschiedliche Sichtweisen und natürlich haben diese ihre Berechtigung. Ich stimme dir zu, dass man verschiedene Epochen nicht mit dem heutigen Maß messen kann und mir liegt auch jegliche Verurteilung fern, seien es sozusagen “schwache” Frauen oder “übereifrige” Männer. Und ich stimme dir wiederholt in deinen ausführlichen Details zu, was die Änderung von Rechten und Bild der Frau betrifft. Lediglich das Detail, dass alle Handlungen im Mittelalter im Sinne der Erbarmung statt fanden, kann ich nicht nachvollziehen, da hab ich sicher etwas falsch verstanden. Nach langem Nachdenken habe ich , denke ich, deine Hauptaussage verstanden (wobei ich vermute, dass du sie unterbewusst vermittelst, da du sie nicht interpretierst bzw gar keine Hauptaussage formulierst. Ich bitte um Korrektur, wenn ich mich irre. Also ich vermute, du willst vermitteln, dass die Frauen immer Stärke bewiesen haben und die Männer nie wirklich geschafft haben, sie zu unterdrücken. Dass den Frauen eine unbesiegbare Kraft inne wohnt. Vielleicht die auch letztlich nach zig tausenden von Jahren zu einer relativ großen Annäherung zur Gleichberechtigung geführt hat? Und das angesichts vollkommener körperlicher Unterlegenheit… Spielt da auch Erbarmen seitens der Männer eine Rolle? Oder gab es das Erbarmen nur im Mittelalter? Was hat den 70er Jahren dazu geführt, dass die Frauen mehr Entscheidungsgewalt erhielten, dass sie wählen dürften, was ja der eigentliche Akt der Teilnahme an wichtigen Entscheidungen war.
Ich sehe generell alle Gesellschaftssysteme, die vor Einzug der Demokratie herrschten als Hierarchie. Mit der Frau irgendwo ziemlich weit unten als Rädchen und natürlich gab es da noch immer welche drunter, mindestens die Kinder und Sklaven, die ja völlig jenseits irgendwelcher Rechte standen. Und ja, es gab immer auch Mal Erbarmen und gibt es heute noch…
In meinen Ohren klingen deine Ohren manchmal wie, als sei es damals ein Privileg gewesen arbeiten zu dürfen. Haben die Frauen das als Privileg empfunden? Oder waren sie schlichtweg die laufenden Rädchen im Getriebe und die meisten hatten nicht das geringste Bewusstsein einer Andersartigkeit einer Gesellschaft.
Ich freue mich, dass du jetzt eingegangen bist auf die körperliche Überlegenheit des Mannes, mir fehlt da noch der nächste Schritt, die Schlussfolgerung. Nämlich dass die Frau, egal, was sie für Ausgaben ausführt oder Massen von Entscheidungen trifft, TÄGLICH Angst haben musste, von Männern, der ihr Verhalten nicht passte, vergewaltigt zu werden. Und ja, es gab Frauen, die stark waren, diesem allen trotzten und bereit wären nach unendlich vielen Vergewaltigungen auch noch verbrannt zu werden. Aber das steht auf einem anderen Blatt als die realen gesellschaftlichen Verhältnisse. Der Vorteil, der nach dem dunklen Mittelalter entstand, war lediglich, statt irgendwann durch ein Feuer “erlöst” zu werden, nun bis ans Lebensende vom gutbürgerlichen Ehemann vergewaltigt zu werden. Der Nachteil war der, dass man so schnell nicht mehr heilig gesprochen wurde, wenn man sich dem Ehemann verweigerte, sondern verprügelt würde. Sorry, dass das alles so düster klingt, aber ich neige dazu, den Schwerpunkt woanders zu setzen als mein Gesprächspartner. Also das mit der epochalen Gnade und Erbarmen hätte ich aber gerne noch erklärt…..
…Erklärt bekommen von dir…
Herzlichen Dank für den stimmigen Artikel, der noch dazu Lust auf Deine Bücher macht. Dass ein Mythos immer mehr über die Zeit aussagt, in der er entstanden ist, als über die Zeit, die er betrifft, ist faszinierend und unfassbar logisch zugleich :)
lieben Gruß
Diana
Das ist richtig und irgendwie auch spannend, nicht wahr? (Traurig auch.) Dadurch wird in diesem Fall gleich eine ganze, über mehrere Jahrhunderte reichende, sehr komplexe und vielen Entwicklungen unterworfene Epoche nicht nur über einen Kamm geschert, sondern darüber hinaus auch sehr verzerrt dargestellt.
Einen wunderschönen guten Morgen im neuen Jahr 2021, dann bin ich wohl der erste Mann der diesen Artikel bis zum ende durchgelesen hat. Ist ja klasse. In der Schule kriegt man tatsächlich ein falsches Bild vermittelt was die Rolle der Frau im Mittelalter ganz gleich ob früh, hoch oder spätmittelalter angeht. Ich steh offen dazu dass auch ich diesen unfug geglaubt hab, doch als ich während meiner Jugend über wundervolle Frauen wie Hildegard von Bingen las wurde mir klar, das da eine ganze Menge nicht stimmen kann. Also wurden sogesehen im 18. Jahrhundert die Frauen zurückgestuft anstatt sie auf diesem für damalige verhältnisse fortschrittlichen Niveau zu belassen, denn wie du schon sehr trefflich anmerkst wär die emanzipation heute kaum der Rede wert gewesen. Angefangen hat das ganze doch also die herabwürdigung der Frau mit perversen Vorstellungen von Seitens der Kirche und begründet wird sowas immer gern damit, das Eva im Garten Eden sich versündigt haben soll. Diesen Artikel sollten mehr genossen meines Geschlechts lesen und auch ihr Hirn einschalten. Prima liebe Petra dass es so eine wie dich gibt. Als ich im letzten Jahr von ken Follett die Tore der Welt gelesen hab wurde mir klar wie die Frau im Mittelalter doch einfluss besaß. Ich sage nur die Tochter des Geschäftsmanns in Kingsbridge. Klasse Artikel ehrlich!
Vielen Dank für das positive Feedback! Ich hoffe (und glaube) aber nicht, dass du der erste Mann bist, der diesen Artikel ganz gelesen hat. :-)
Nicht ausschließlich die Kirche ist an der Herabwürdigung der Rolle der Frau schuld, wenngleich sie natürlich einen maßgeblichen Anteil daran hatte. Es kamen einfach viele wirtschaftliche, klimatische und gesellschaftlich-soziale Faktoren zusammen, sodass die Frau mehr und mehr in Heim und Haus zurückgedrängt und auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter reduziert wurde. Dies im Detail zu analysieren, würde den Rahmen dieses Blogs wohl sprengen.
Ich freue mich aber sehr, dass ich durch meine Artikel zumindest einen gewissen Kreis von Menschen erreichen kann. Inzwischen habe ich ja auch einen weiteren Artikel mit entsprechenden Belegen aus Quellmaterial und wissenschaftlicher Literatur veröffentlicht, die meine Thesen untermauern, weil doch hin und wieder einmal nachgefragt oder sogar daran gezweifelt wird.
Hallo,
vielen Dank, ein interessanter Artikel mit neuen Informationen! Ich sehe nur 2 Dinge etwas anders. Die Rechte der Frauen waren nach deiner Beschreibung nicht so stark beschnitten wie in den Schulbüchern beschrieben. Allerdings beziehen sich deine Ausführungen diesbezüglich hauptsächlich auf eine winzige Elite. Zudem ist die Betrachtung dieser Elite rein äußerlich. Innerhalb einer Ehe besteht – in der Regel auch heute noch – ein großer Unterschied körperlicher Macht, der natürlich schon allein aus den Instinkten heraus genutzt wird. Der Unterschied zu heute ist, dass die Frau meist, nicht immer, vor Gericht dazu Gehör findet. Letztlich war also die Frau, egal in welcher Stellung, völlig versklavt. Da gibt es wohl leider nichts zu rütteln. Diejenigen Frauen, die “den Mund aufmachen” wurden prozesslos ermordet. Dieses waren in der Regel Frauen, die transzendente Erfahrungen gemacht hatten, sonst würde sich niemand foltern lassen, jedenfalls nicht, um mal den “Mund aufzumachen”. Die Versklavung zieht sich nicht nur durch alle soziale Schichten, sondern auch durch alle Lebensthemen. Manchmal deutest du an, dass “es so üblich war”, ändert aber nichts an der völligen Ohnmacht von Frauen. Hildegard von Bingen hatte einen männlichen Beschützer, der sie stets vor der Hexenverbrennung schützte und sie war sehr schlau. Sie verkaufte sich gut, man kam ihren vorsichtigen und geheimen Taten nicht auf die Schliche. Viel mehr als unkonventionelle Heilungen standen bei ihr auch nicht auf dem Tagesprogramm. Eine Gefahr wie Johanna von Orleans war sie nicht. Beide diese Frauen hatten spirituelle Erlebnisse und Männer an ihrer Seite. Und sind völlig vereinzelte Fälle. Bei den 20 Schwangerschaften stand “bis zu”. Ich hatte das auch gleich richtig verstanden und mich dann auch nicht gewundert, dass Frauen mit durchschnittlich 25 verstarben. Dass die rechtliche Stellung im 18. Jahrhundert sich verschlechtert ist falsch. Es gab lediglich mehr wohl situierte Menschen. Die Anzahl wohl situierter unterdrückter Frauen stieg, die der armen Frauen Dank, insgesamt blieb alles gleich. Seit es die ersten “Menschen” gab bis zur “Emanzipation” im 20. Jahrhundert war dort die Macht, wo körperliche Macht eine Rolle spielte. Da im 20. Jahrhundert der Fokus in Zentraluropa nicht mehr auf Landesübermacht sondern auf Geldmenge als Status, Imformationstechnik, und der Börse liegt, ist eine körperliche Übermacht viel weniger von Interesse. Allein Atomkraft war noch interessant. Dazu kam, dass Frauen in einer Demokratie als Wahlkandidaten interessant wurden und gezielt beworben werden sollten. Der einzige echte Schritt in die positive Veränderungen für Frauen war der in die Informationsgesellschaft, aber ein paar andere Faktoren haben das noch beschleunigt. Davor war es 10.000e von Jahren pausenlos gruselig. Auch in den Matriarchaten (Waffengewalt)….
Liebe Anka,
vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.
Selbstverständlich sind die Rechte der Frauen von damals mit den heutigen nicht gleichzustellen, doch auch wenn die Frau über Jahrhunderte (oder Jahrtausende) in der Munt entweder des Vaters, nächsten männlichen Verwandten oder Ehemannes stand, muss man doch genau hinsehen, wann welche Rechte wie stark eingeschränkt waren. Über das hohe und späte Mittelalter hinweg konnten Frauen insbesondere in den Städten tatsächlich oft mehr erreichen bzw. sich beruflich verwirklichen, wie wir es heute ausdrücken würden, als dies zum Beispiel im 18 und 19. Jahrhundert der Fall war. Natürlich hing es immer auch mit der Bildung und Situation der einzelnen Frau zusammen. Auf dem Land, in der bäuerlichen Gesellschaft, herrschten andere Umgebungsvariablen als im bürgerlichen Bereich in einer Stadt. Aber auch hier muss man ganz genau hinsehen, was die überwiegend von männlichen Verfassern erstellten Quellen allgemein besagen und wie das Recht letztlich im Einzelfall angewendet und umgesetzt wurde.
Häufig wird auch außer Acht gelassen, dass die Frau Herrin (frowe) über Haus und Gesinde war, während der Mann (fro) Herr über die Familie war und diese nach außen hin vertrat. Dies galt im Übrigen für alle Stände. Daraus erfolgen ganz spezifische Rechte wie auch Pflichten.
Natürlich kann man immer die Ungleichgewichtung anhand der körperlichen Stärke betrachten, doch diese besteht selbst heute noch, sodass in vielerlei Hinsicht diese Betrachtungsweise auch auf das 21. Jahrhundert angewendet werden müsste.
Geschichte verläuft immer in Wellenbewegungen, und wenn man sich diese betrachtet, haben wir ganz offensichtlich im späten Mittelalter für die Frau ein deutlich anderes Bild als das, was uns in der Schule wenig differenziert beigebracht wurde (und leider oft immer noch wird) und als das, was wir zum Beispiel im 19. Jahrhundert antreffen, aus dem wohlgemerkt viele Ansichten über das angeblich so finstere Mittelalter stammen.
Ähnliches gilt übrigens auch für den großen Bereich der Rechtsprechung, Folter und Strafgerichtsbarkeit. In mittelfristiger Zukunft möchte ich gerne auch zu diesem Thema einen Blogartikel verfassen, der einiges an Informationen, die wir als gegeben hinnehmen, auf den Prüfstand stellen wird. Insbesondere weil dieses und das Thema Frauen im Mittelalter durchaus am Rande ineinandergreifen.
Das Themengebiet der Frauen im Mittelalter ist sehr weitläufig und ja, die Frau war über Jahrhunderte/Jahrtausende in vielen Bereichen unterdrückt. Andernfalls würde es die heute immer noch aktive Emanzipationsbewegung ja nicht geben bzw. nötig machen. Es ist jedoch wichtig, sich den Grad der Unterdrückung immer ganz genau anzusehen und die Unterschiede in dein einzelnen Epochen herauszuarbeiten, besonders wenn man die Geschichte (und ihre Wellenbewegungen) insgesamt verstehen will.
Vielen lieben Dank, dass du dich mit meinem Kommentar auseinandersetzt! Äußerlich betrachtet hast du weiterhin in jedem Detail Recht. Der wesentliche Punkt scheint aber wohl schwer verstehbar. Erst seit 1977 hat eine Frau überhaupt die Möglichkeit eigene wirkliche Entscheidungen zu treffen. Wenn dies die Frau vorher tat, war das immer unter dem Damoklessfbwert des Ehemannes oder des Vaters (Ausnahme reiche Witwe, extrem seltener Fall). Alle deine Ausführungen von “Rechten” waren nicht wirkliche Rechte, sondern Taten, die scharf beobachtet wurden und wenn sie nicht vollkommen im Sinne der Herren waren, würde mit Gewalt bestraft. Das sind Tatsachen, die weiterhin von der Männerwelt unterschlagen werden und von Frauen hingenommen werden, und genau deswegen gehen zu wenige Frauen heutzutage sofort zur Polizei, wenn sie gewaltsam unterdrückt werden. Das ist ein unerwünschtes Relikt in unserem Bewusstsein. Man kann da nichts schön reden von wegen, die durften da so viel machen. Die Frauen haben vor dem Gesetz von 1977 absolut nichts gemacht, von dem, was sie wollten. Höchstens dass zufällig sie d’accord waren, das war alles. Vergleich mit den Juden im römischen Reich: die Juden waren gut gehaltene Sklaven. Oder die schwarzen Sklaven in Herrenhäusern: sie bekamen gute Kleidung und Essen, aber sie sind dennoch Sklaven ohne Rechte. Das selbe mit Frauen, die zB arbeiten “dürften”. Wenn man etwas tut, heißt das noch lange nicht, dass da ein freier Wille hinter steht. Natürlich gab es auch unterdrückte Männer. 95% der Männer waren vor Aufstieg des Bürgertums Unterdrückte. Mit dem Bürgertum wandelte sich das. Aber die Frauen wurden wie eh und je unterdrückt. Vielleicht ist vielen nicht vorstellbar, dass man innerhalb der Familie unterdrückt werden kann. Vielleicht ist das der Knackpunkt unserer Diskussion… Die großen Prozesse ab 1977 handelten fast ausschließlich von Familiensituationen, weniger von Jobs und Fremdenüberfall. Auch heute noch ist das so. Die direkte Unterdrückung durch Angehörige ist nun mal durch die körperliche Übermacht generell ein Thema und das hat dann natürlich auch große Kreise gezogen, aber das ist der Kernpunkt nach meiner Meinung.
Wir gehen das Thema, denke ich, von etwas unterschiedlichen Sichtweisen an, die sich aber nicht gegenseitig ausschließen. Du blickst von der heutigen Warte auf die Unterdrückung der Frauen in den vorangegangenen Jahrhunderten und sogar bis ins 20. Jahrhundert hinein. In gewisser Weise tun wir das alle, weil wir (vermutlich) nie selbst in jenen alten Zeiten gelebt haben und deshalb keine Informationen aus erster Hand besitzen. Hinzu kommt noch, dass im Mittelalter ein vollkommen anderes Bild von Mann und Frau herrschte. Beide waren weder vor dem Gesetz noch vor der “Natur” gleich, solch ein Gedanke wäre Blasphemie gewesen und beiden Geschlechtern zudem vollkommen unbegreiflich und befremdlich. vielmehr hatten Mann und Frau nach der damals vorherrschenden Ansicht (auch der Wissenschaft, soweit man sie so nennen kann), zwei grundverschiedene Funktionen und Aufgaben auf der Welt. Daher rührt auch die aus unserer Sicht inakzeptable Ungleichgewichtung ihrer Rechte (und Pflichten). Das ist für uns heute kaum noch nachvollziehbar. Auch nicht, dass eine (zum Beispiel) Bäuerin, die einen mittelgroßen Hof mit ihrer Familie bewirtschaftete, sich wahrscheinlich in keiner Weise unterdrückt gefühlt hat, weil sie ihrem Manne “untertan” gewesen wäre. Dabei scheint uns heute, dass sie doch so rechtlos gewesen war. Sie stand unter der Munt des Mannes und hatte nichts zu geigen.
Wirklich? Oder sehen wir das nur nicht aus ihrer Perspektive? Sie hatte die Obergewalt über das Haus und alles und jede/n darin, auch über das Gesinde, und die Ausgaben lagen auch in ihrer Verfügungsgewalt. Rein rechtlich gesehen hatte der Ehemann da nichts zu sagen. Natürlich haben sich Männer bestimmt eingemischt, Frauen aber umgekehrt auch in die Bereiche, die dem Mann oblagen, und das war eben der Vorstand der Familie und die Vertretung der Familie nach außen.
Auch die Frau eines Handwerkers in der Stadt wird sich in der Regel selbstbewusst gezeigt haben, weil sie ebenso die Gewalt über Haus und Gesinde hatte (und dazu gehörte auch eine eigene Geldbörse). Zudem hat sie ziemlich wahrscheinlich in der Werkstatt (oder bei Kaufleuten im Kontor) mitgearbeitet und war vielleicht auch diejenige, die lesen und schreiben konnte und die Bücher geführt hat. Vor allem dann, wenn ihr Mann die hergestellten Waren (oder sein Handelsgut) anderswo verkaufen musste und sie mit Werkstatt und Kontor zurückließ.
Leider gibt es kaum Zeugnisse aus dem Ehealltag der “normalen Leute”. Allerdings kann man anhand von Verlautbarungen der Stadträte und aus Urkunden und Briefen, die die Zeit überdauert haben, sehr viel herauslesen, auch zwischen den Zeilen.
Da gab es Frauen, die eigene Siegel führten (dazu mussten sie von der Zunft anerkannt werden und dort saßen Männer an der Spitze), die sich vor Gericht selbst vertraten (auch hier saßen männliche Richter/Schöffen), und das wiederum traf nicht ausschließlich auf wenige reiche Witwen zu. Sogar Huren zogen eigenständig vor Gericht, um ihre Rechte durchzusetzen. Natürlich nicht allesamt und es gab immer solche und solche “Fälle”. Natürlich gab man auch der Frau eine Mitschuld bei einer Vergewaltigung, speziell, wenn sie dabei schwanger wurde. Das ergab sich einfach aus dem Bild, das man grundsätzlich von Mann und Frau, ihren “Funktionen” und ihrer “Natur” hatte. Doch es gab durchaus auch Ehemänner, die empfindlich bestraft wurden, weil sie ihre Frauen gezüchtigt hatten.
Auch dass Frauen schwerer für Ehebruch bestraft wurden als Männer, liegt an dem Menschenbild generell, das damals herrschte und das der Frau sehr eindeutige Pflichten in der Welt zusprach. Ist das gerecht? Aus unserer heutigen Sicht ganz sicher nicht. Das bedeutet aber weder, dass Frauen unbedingt sehr viel seltener Ehebruch begingen als Männer. Es wird nur nirgends erwähnt oder wenn, dann nur, wenn eine dabei erwischt und bestraft wurde. Es bedeutet auch nicht, dass Frauen deshalb auf anderen Gebieten nicht durchaus “ihre Frau” standen.
Das ist, wie gesagt, ein sehr weites Feld, und wir sehen hierbei offensichtlich unterschiedliche Teilbereiche hervortreten.
Das Mittelalter wird darüber hinaus auch immer noch als “die grausame Zeit” schlechthin angesehen, in der die Menschen verroht waren und grausamste Strafen an der Tagesordnung waren. Bei meinen aktuellen Recherchen bin ich jedoch auf sehr viele Quellen und Hinweise sowie wissenschaftliche Arbeiten gestoßen, die ein deutlich anderes Bild jener Jahrhunderte zeichnen. Wenn man nämlich genau hinsieht, dann gab es erstens “die Strafgerichtsbarkeit” im Mittelalter gar nicht, weil eine Vereinheitlichung von Strafmaßen erst viel, viel später stattfand, und des weiteren kann man feststellen, dass extrem viele Strafen (gerade die grausamen), die verhängt wurden, nie ausgeführt wurden. Meistens, weil jemand für den Verurteilten oder die Verurteilte um Gnade (oder Strafminderung) bat und dies in den meisten Fällen auch gewährt wurde.
Wie ist das nun wieder möglich?
Man hatte einen gänzlich anderen Blick auf die Täter-Opfer-Beziehung und alle Aspekte des Lebens, auch der der Bestrafung, war von der Grundhaltung der Gnade, des Erbarmens und der Barmherzigkeit geprägt. Aber wie weiter oben schon erwähnt: Dies ist ein Thema für einen ganz eigenen Blogartikel.
Damit will ich auch nur sagen, dass wir vermutlich grundsätzlich einer Meinung sind. In vielen Bereichen, und die körperliche Kraft/Gewalt gehört ganz oben auf der Liste mit dazu, waren Frauen eine lange, lange Zeit unterlegen bzw. unterdrückt im Hinblick auf ihre Möglichkeiten, sich gleichberechtigt (aus unserer heutigen Sicht) zur Wehr zusetzen.
Als Historikerin betrachte ich aber solche Themen nicht ausschließlich aus meiner heutigen Perspektive, sondern untersuche auch die jeweiligen kulturellen, gesellschaftlichen, religiösen und sozialen Umstände der jeweiligen Epoche und bemühe mich, diese in die Gesamtrechnung mit einzubeziehen. Das bedeutet, dass ich viele Details relativere bzw. vor dem Rahmen des damals bestehenden “Gesamtbildes” betrachte. Und wenn ich das tue, stellt sich heraus, dass Frauen in vielerlei Hinsicht im späten Mittelalter mehr Möglichkeiten hatten als einige Jahrhunderte später, ganz einfach, weil die Umstände andere waren und sich über die Epochen das Frauenbild noch einmal eklatant verändert hat. Mehrfach sogar, denn andernfalls wären wir heute ja nicht wesentlich emanzipierter als noch vor hundert oder sogar fünfzig Jahren.
Liebe Anka,
nur kurz vorweg: Dieser wie auch einige weitere (und noch geplante) Beiträge sollen gerade mit dem Missverständnis aufräumen, das Mittelalter sei eine “finstere” zeit gewesen. :-) Sie ähnelt vielmehr in vielerlei Hinsicht der unseren, es gab Erfindungen in großer Zahl, die Menschen waren insgesamt überaus mobil und viele Lebensbereiche, die wir heute als selbstverständlich ansehen, wurden damals allmählich ausgebildet.
Nun aber zu deiner Frage bezüglich des Erbarmens. Hier darfst du nicht annehmen, es ginge dabei um ein Erbarmen des Mannes gegenüber der Frau und dass sie deshalb irgendetwas durfte. Vielmehr (und das ist wirklich ein sehr komplexes Thema!) war die gesamte Lebens- und Glaubenswelt auf Gnade und Erbarmen ausgerichtet.
Hinsichtlich der Strafgerichtsbarkeit bedeutete dies zum Beispiel, dass ein einmal gefälltes Urteil wieder aufgehoben oder abgemildert werden konnte, wenn jemand den Richter darum bat. Das war sogar gängige Praxis. Wurde also beispielsweise ein Dieb dazu verurteilt, dass ihm die Hand abgeschlagen werden sollte, konnte entweder der Kläger (Geschädigte) oder aber auch jemand gänzlich anderes vor die Richter oder Schöffen treten und darum bitten, dass diese Strafe aufgehoben oder abgemildert wurde (zum Beispiel zu einem Stadtverweis oder einer Gefängnisstrafe). Es wurden sogar (und nicht selten) zum Tode Verurteilte auf diese Weise begnadigt und es gab tatsächlich auch die Möglichkeit, jemanden von der Todesstrafe zu retten, indem man ihm (oder ihr) vor dem Richter oder den Schöffen öffentlich die Ehe versprach.
Eine solche Begnadigung konnte allerdings nur dann umgesetzt werden, wenn der Geschädigte dem auch zustimmte. Hier kam es natürlich stets auf den Grad der Schädigung an. Bei Mord sah es sicherlich oft anders aus als bei weniger schweren Delikten. Dass aber zum Beispiel Vergewaltiger nicht selten begnadigt wurden, wenn sie ihr Opfer ehelichten, erscheint uns heute grotesk, fällt aber ebenfalls in die Sparte Gnade und Erbarmen. Die Ehe war ein Sakrament und man war der festen Überzeugung, dass dieses eine reinigende Wirkung auf den Täter hätte, der also durch die Eheschließung vollständig rehabilitiert wurde. Selbiges galt auch für andere Delikte, die qua Urteil hart bestraft wurden. Wenn sich in der Gemeinschaft jemand oder gar mehrere Menschen fanden, die für den Verurteilten sprachen und die auch den oder die Geschädigten davon überzeugen konnten, dass Milde angebracht war, dann konnte und musste der Richter diese Person begnadigen.
Die angeblichen Volksaufläufe bei Hinrichtungen, die man oft auch im TV sieht, wenn es um mittelalterliche Prozesse geht, gab es so kaum und sie hätten in diesem Zusammenhang weniger etwas mit Schaulust zu tun und auch nicht mit einer besonderen Machtdemonstration. Zur Abschreckung wurden Hinrichtungen öffentlich erst ab der frühen Neuzeit vollzogen. Bis dahin riet man sogar dazu, dass von allem Kinder und Schwangere solchen Ereignissen möglichst fernbleiben sollten, um sie nicht zu erschrecken und ihnen damit einen Schaden zuzufügen. Volksfestcharakter hatten solche Ereignisse also eher nicht. Wenn die Menschen einer Hinrichtung oder auch einem andersartigen Urteil, das öffentlich vollzogen wurde, beiwohnten, dann weil sie es aus einem tief verwurzelten Verständnis der Gemeinschaft taten. Sie waren Teil dieser Gemeinschaft und damit auch mitverantwortlich dafür, dass Untaten gemaßregelt und damit ein inneres Gleichgewicht wiederhergestellt wurden. Jedoch gab es nirgendwo einheitliche Strafmaße, also dass man sagen konnte, für einen Diebstahl diese Strafe, für Körperverletzung jene und für Mord wieder eine andere. Vereinheitlicht wurden die Strafmaße erst sehr viel später. Bis dahin wurde immer individuell und nach alt hergebrachten Erfahrungen und Bräuchen geurteilt und die Buße und Besserung des Delinquenten stand dabei im Vordergrund, nicht die Strafe an sich.
Um diese noch besser und einleuchtender erklären zu können, muss ich selbst noch deutlich mehr recherchieren und mich mit den Details befassen. Sobald das geschafft ist, werde ich einen Artikel dazu verfassen. Ich wollte nur klarstellen, dass eben dieses Erbarmen nicht so interpretiert werden sollte, dass Frauen etwas tun durften, weil die Männer mit ihnen Erbarmen hatten. Das wäre weit gefehlt.
Liebe Petra, durch deine letzte Antwort verstehe ich deine Perspektive wesentlich besser. Auch erkenne ich die Kluft zwischen den unsrigen beiden. Da werden wir uns auch nicht einig werden. Aus was für Beweggründen Menschen zu einer Hinrichtung damals gingen, wissen wir nicht, allerdings wissen wir zu den heute noch statt findenden, respektive den USA, dass genau aus dem Grund des Rachebedürfnisses, das befriedigt werden will, die Angehörigen des Opfers zusehen dürfen, und ja die Community wären dann Freunde, Nachbarn usw, die auch gerne den Täter leiden sehen möchten. Erfreulich, dass in fast allen Ländern mittlerweile die Todesstrafe verboten ist. Warum man sonst zu einer Hinrichtung gehen sollte, fällt mir auch nichts zu ein, außer Neugier und Sensationsgier natürlich. Bei dem harten Alltag, den die damals hatten, eine willkommene Abwechslung, auch sich lautstark mal entladen zu können. Vielleicht siehst du an dieser Stelle auch unsere Kluft. Mein Menschenbild ist ein anderes und so entwickle ich andere Phantasien als du, in den Bereichen, die wir noch nicht recherchiert haben. Da spielen persönliche Erfahrungen die Hauptrolle. Aus genau diesem Grund halte zumindest ich mich jetzt gänzlich zurück und überlasse dir das Geld, da du letztlich einen Roman verfasst, der jeglicher Realität spotten darf. Wenn du Freude hast, die damalige Situation genau zu schildern und dabei Fragen offen bleiben, wie zB die Beweggründe der Taten, schreib ganz aus dem Herzen und ganz individuell, das ist die Kunst der Kunst. Und das bringt Licht in jedes Dunkel, auch ins dunkelste Dunkel. Das ist der Unterschied zu einer sachlichen Abhandlung, die alle Zwischentöne einfach weg lässt. Ich liebe das Mittelalter sehr, auch wenn es bei mir nicht so klingt, es fühlt sich für mich wie eine Heimat an. Und viele Details habe ich aus der Zeit mittlerweile losgelassen, weil sie durch bessere der Neuzeit ersetzt wurden. Rein Objektiv gesehen, kann man einfach nur froh sein, dass die Zeit vorbei ist, aber es hat etwas Vertrautes und Schönes trotz alledem. Mit Christentum habe ich mich immer wieder auseinander gesetzt. Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass es einfach immer zwei Welten gab, die der Macht und die der kleinen Frau. Man sagt ja “kleiner Mann”. Aber es waren hauptsächlich die Frauen, die Gefühle und Liebe durch diese Zeit hindurch trugen. Nicht zuletzt weil das Erlebnis einer Schwangerschaft immer wieder einen in dieses Gefühl zurück führt.
Ich wünsche dir mega Spaß bei der Recherche, des Zusammenpuzzlens und dem Schreibeprozess, tolle schöne Sache!! Alles Liebe!
Ganz wunderbar dazu Emile von Rousseau, er schreibt dort teilweise autobiographisch, wie er verfolgt wurde, das “Licht” sah und auch viele andere “Frauen” (er spricht nur von FRAUEN) das Licht sahen. Rousseaus Persönlichkeit ist auch ausgesprochen weiblich, in freier Gesinnung, in äußersten Achtung und Liebe gegenüber jedem lebenden Wesen. Er verurteilt seine Verfolger nicht, sondern versucht diese in ihrer unendlichen Tiefe zu verstehen. Nicht mehr Mittelalter, aber sicherlich zog sich dieses Erkennen oder Erfühlen von Licht durch alle Zeitalter durch und ist vor allem ein Part der Weiblichkeit, auch in der frühesten Geschichte der Menschheit zu finden. Auch “Die unheilige Kirche” ist ein tolles Buch, saubere Recherche zu vielen Religionen, die es gab, das kläre Aufzeigen völlig gleicher Prozesse, ob Naturreligionen oder moderner Massenreligion.
Viel Spaß!
Ich habe mich immer wieder gefragt, welchen Sinn es gemacht haben sollte, die Bibel in ein verständliches Deutsch zu übetzen, wenn doch angeblich niemand lesen konnte.Luthers Übersetzung war die ungefähr 30te, und nur durch den Buchdruck Allgemeingut. Aber wer verlegt denn Bücher, wenn sie niemand lesen kann? Die Zahl der des Lesens kundigen muss sehr viel höher gewesen seinals allgemein behauptet- und da es für Frauen nur die Klöster gab und keine eigenen Schulen, dürfen wir davon ausgehen, das Nonnen und Beginen anderen Frauen das Lesen beibrachten. Da der Mann fast den ganzen Tag im Handwerk oder auf dem Acker beschäftigt waren, können wir wohl davon ausgehen, das die Frau zuhause sehr viel besser die Möglichkeit hatte, im Kreis mit anderen Frauen das Lesen zu erlernen und ,laut vorgelesen, zu praktizieren.
Klingt sehr schlüssig, wie du das beschreibst, ja! Ich denke, es gab auch eine geheime Untergrundbewegung, wie es sowas zu allen Zeiten gab, in der fleißig gelehrt und gelernt wurde. Nun, mir fällt noch was zu den Frauen und “Zeit zu Hause” ein: kaum anders als die heutigen Alleinerziehenden, nur ohne Waschmaschine, Trockner, Bügeleisen, Spülmaschine, ohne Wasserhahn, ohne Shops. Stattdessen
Eimer für Eimer Wasser von Brunnen holen, das Land bewirten, die Alten füttern, die Babys des ganzen Dorfes gemeinsam säugen (einfach IMMER), permanent dabei schwanger bis hochschwanger sein, riesige Mengen Kleinkinder hüten usw usw usw….
Auch in der jetzigen modernen Zeit hat ein arbeitender Mann nicht die geringste Ahnung, was seine Frau zu Hause alles durchsteht. Ich selbst hatte Baby, Kind und gearbeitet, der Ehemann stand mir nur im Weg mit seinen Wehwechen. Aber was da im Mittelalter abging, das war aus unserer heutigen Sicht unfassbar das Leben als Frau. Kam dann der Mann von seiner Jagd oder Schlacht, musste Frau nach all dem Schaffen auch noch “hinhalten”. Und nichts hält da die Seele besser aufrecht als sich Zeit vom Schlaf ab und zu abzusparen und den Geist mit einer “anderen Welt” zu füttern, womöglich das Jenseits, die Erlösung, einen Retter usw… Und sich in einer Gemeinschaft des Friedens zu Hause zu fühlen. Jahrtausende war das Motto des Christentums “Hoffnung”, daran erkennt man, dass die Gegenwart nicht prickelnd war. Ich denke, dass sich daher auch unter den Männern im Untergrund das Lesen und die Bibel wie ein Lauffeuer verbreitete. Und so dann auf die ganze Erdkugel. Ich bin keine Christin, aber es war das beste, was den Menschen damals passieren konnte….
Liebe Frau Schier,
ich fand diesen Artikel super Interessant!
Das Mittelalter fasziniert mich sehr. Jetzt war ich auf der suche nach einem passenden Gewand welches ich mir nähen möchte.
Ich kann mich aber weder mit einer z.B. einfachen Bäuerin noch mit einer Adeligen identifizieren. Und dann liest man eben immer wieder das was Sie hier beschreiben. Frauen hatten nichts zu sagen. Weshalb? War auch mein Gedanke. Das wollte ich so nicht hinnehmen.
Vielen lieben Dank für vielen schlüssigen Antworten. Das, ohne tiefere Recherchen, herauszufinden ist wahrscheinlich nicht sehr einfach, obwohl ich auch zu den kritischen, hinterfragenden Menschen gehöre.
Dankeschön und alles Liebe.
Liebe Ines,
vielen Dank für Ihren Kommentar! :-) Vieles, was heute noch über das Mittelalter in den Köpfen der Menschen steckt, stammt noch als relativ alten Zeiten, zum Teil sogar noch aus dem 19. Jahrhundert, und berücksichtigt nicht die neueren Forschungsergebnisse, mit denen ich mich sehr intensiv befasst habe (und noch befasse, um auf dem Laufenden zu bleiben).
Das darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frau im Mittelalter es trotz allem ungleich schwerer hatte als die des 21. Jahrhunderts. Aber viele Details sollten wir aufgrund der neueren Forschung doch etwas anders gewichten und betrachten.
Was die mittelalterlichen Gewandungen angeht: Es gibt einige gute Schneidereien, die man online finden kann, aber die meisten haben natürlich auch ihren Preis, fertigen dafür aber auch Gewänder nach Wunsch an, auch Kopfbedeckungen.
Herzliche Grüße
Petra Schier
Ich hätte eine Frage zur Menstruation im Mittelalter – da hört man immer wieder in diversen Artikeln, Frauen hätten gar nichts benutzt, das Blut aufzufangen, sondern hätten das Blut einfach rinnen lassen. Mir erscheint das extrem fragwürdig, denn dann werden ja regelmäßig auch die Kleider blutig (und stinkig), und Kleider zu reinigen war mit den damaligen Mittteln sicher sehr mühsam.
Die Frauen waren damals doch nicht dümmer als heute und haben sich doch sicher Leibbinden mit diversen Einlagen umgebunden???
Sehr geehrte Frau Schier,
Ihren Blogeintrag über die Rolle der Frau im (späten) Mittelalter habe ich sehr gerne gelesen! Er ist sehr interessant sowie aufschlussreich, schlüssig und überzeugend und durchaus logisch in seiner Argumentation. Im Zuge dessen, dass ich eine Hausarbeit über den Liebestod und die Geschlechterinszenierung von Blanscheflur und Isolde in “Tristan und Isolde” schreibe und mich derzeit in der Literaturrecherche befinde, bin ich auf Ihren Blog gestoßen. Darf ich Sie dafür um Auskunft über die Quellen bitten, die Sie verwendet haben?
Vielen Dank und freundliche Grüße
Lea Behnen
Liebe Lea Behnen,
zu den Quellen gibt es hier im Blog einen eigenen Beitrag:
https://www.petra-schier.de/petras-welt/lebendige-geschichte/die-frau-im-spaeten-mittelalter-literatur-und-quellen/
Ich hoffe, dieser ist Ihnen von Nutzen.
Herzliche Grüße
Petra Schier