Heute gibt es einen kurzen Einblick in die Recherche für meinen neuen historischen Roman, die mich derzeit noch sehr stark beschäftigt. Es handelt sich bei dem Foto oben um einen Ausschnitt aus dem sogenannten “Verbrecherbuch” der Stadt Koblenz aus dem 14. Jahrhundert. Die alte Sprache zu lesen und zu verstehen, kann anstrengend sein, wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt.

In diesem Verbrecherbuch, das Rat und Schöffen Anfang des 14. Jahrhunderts anlegten, wurden bis 1347 all jene Delinquenten eingetragen, die sich eines “Verbrechens” schuldig gemacht hatten und (zum Tode) verurteilt worden waren. Als Verbrechen galten, wie man dem Text entnehmen kann, neben Mord und Totschlag z.B. auch Diebstahl, Raub, Weinbergfrevel, Meineid und Körperverletzung, wobei nicht nur Mord und Totschlag mit dem Tode bestraft wurde, sondern in manchen Fällen auch Diebstahl, Raub und “Exzesse gegen die Stadt”. Tatsächlich gab es sogar offenbar mehr Todesstrafen wegen Diebstahls als wegen Mordes oder Totschlags. Also wurde entweder damals nur selten gemordet oder die Täter konnten aus diversen Gründen nicht ermittelt werden. Ich vermute, dass Zweiteres eher der Fall gewesen sein dürfte.

Dies ist das Buch, aus dem der obige Textauszug (siehe Foto über dem Artikel) entnommen ist.

Da es damals noch keine modernen forensischen Ermittlungsmethoden gab, musste man sich bei Gerichtsprozessen auf Beweise oder Zeugenaussagen verlassen. Selten aber wurde und wird öffentlich gemordet und auch Totschlag kommt eher nicht so häufig auf offener Straße vor. Somit entfielen die Zeugen in der Regel schon mal. Und Beweise? Ohne die heutigen Methoden gab es nur selten welche. Fingerabdrücke kannte man noch nicht, Gift war nur in seltenen Fällen nachweisbar. Ein Verfahren wegen der Klage auf Mord oder Totschlag verlief also sicherlich recht häufig im Sande, es sei denn, man hatte aus irgendwelchen Gründen bereits einen Verdächtigen inhaftiert und zwang diesen unter der peinlichen Befragung zu einem Geständnis. Das war über Jahrhunderte ein ganz übliches Mittel zur Wahrheitsfindung. Nicht zur Strafe wohlgemerkt. Ein Delinquent durfte nicht während der Folter sterben, das war ein grober Verfahrensfehler, der dazu führen konnte, dass diejenigen, die dafür verantwortlich waren, zur Rechenschaft gezogen werden konnten.

Ein weiterer Punkt, den man hierbei beachten muss, ist sicherlich, dass damals nicht immer automatisch die Obrigkeit ermittelte, auch bei einem Mord nicht, es sei denn, jemand wirklich Bekanntes oder Wichtiges wurde getötet und es lag im Interesse von Rat und Schöffen, hier aktiv zu werden. Sicherlich kennt ihr alle den Spruch “Wo kein Kläger, da kein Richter”. Er stammt dem Mittelalter, denn damals war es tatsächlich in vielerlei Hinsicht so, dass, ganz gleich um welche Art von Vergehen es sich handelte, jemand Klage erheben musste, damit Schöffen, Richter, Schultheiß, Vogt, Amtmann oder wer auch immer zuständig war, Nachforschungen anstellten. Und auch dann oblag es hauptsächlich dem Kläger oder der Klägerin, die erforderlichen Zeugen und Beweise herbeizuschaffen, um die Klage zu untermauern. Gab es also keinen Kläger, dann konnte es passieren, dass niemand sich um einen Mord oder Totschlag scherte und der Täter unbehelligt blieb. So etwas kam sicherlich besonders oft vor, wenn jemand in der Fremde getötet wurde. Denn wenn jemand, sagen wir zum Beispiel mal ein Kaufmann, auf Reisen irgendwo in einer fremden Stadt gemeuchelt oder von Räubern überfallen und getötet wurde, dann kann man sich wohl vorstellen, dass es nicht allzu viele Menschen gab, die sich überhaupt dafür interessierten, weil sie ihn ja nicht kannten. Die Angehörigen zu Hause erfuhren oft nur sehr verspätet oder vielleicht sogar nie von den Umständen des Todes und lebten möglicherweise sehr lange Zeit oder für immer im Ungewissen.

Dies nur als kleiner Exkurs in die Rechtsgeschichte …

 

Als ich das Foto oben in den sozialen Netzwerken gepostet habe, kamen gleich ein paar Fragen und Anmerkungen dazu, auf die ich hier gerne noch einmal eingehe:

 

Auf Facebook fragte eine Leserin:

“Ist die Rechtschreibung in dem Textbeispiel schon recht gut/klassisch, oder ist es auch wegen einiger Fehler so schwer zu lesen? Gab es im 14. Jahrhundert überhaupt eine einheitliche Rechtschreibung und wenn ja, wir groß waren etwa die Bereiche, in denen man eine bestimmte Rechtschreibung als Norm hatte?
Der Koblenzer Raum hatte in diesem Fall bestimmt etwas (oder sogar deutlich?) andere Regeln als der Norddeutsche z.B.?

Meine Antwort darauf:

Es gab im Mittelalter keine einheitliche Rechtschreibung oder Regeln. Jeder schrieb, wie er es für richtig hielt oder von seinem oder ihrem Lehrmeister gelernt hatte. Die Texte aus jener Epoche sind zudem stark vom jeweils vorherrschenden Dialekt eingefärbt. Ein Gerichtsschreiber aus Hamburg würde den gleichen Text wohl vollkommen anders geschrieben haben als der Gerichtsschreiber aus Koblenz. Wenn man den jeweiligen Dialekt kennt und sich die Texte in dieser Intonation laut vorliest, versteht man oft deutlich leichter, was gemeint ist.

Übrigens: Das “en” als Vorsilbe vor manchen Verben in mittelhochdeutschen Texten ist damals noch Bestandteil der deutschen Sprache gewesen, und zwar bei verneinten Sätzen. Wenn man genau hinsieht, findet man in der Regel ein “nicht” (“nyt”) oder “kein” (“ken”, “kene”) oder dergleichen verneinende Wörter in den Sätzen mit der Vorsilbe “en” vor dem Verb. Nicht “enfaren”, nicht “enge(h)n” nicht “enbringen” usw. Die Vorsilbe ist dann irgendwann weggefallen, als die Sprache sich weiter gewandelt hat.

Selbiges gilt für “in”, wenn es vor oder nach einem Verb steht oder, wie im folgenden Beispiel, vor dem “ist”:

“umb daz er deme rade nyt gefolglich in ist geweist”

“Geweist” bedeutet natürlich gewesen und noch heute findet man im “Kovelenzer Platt” das Wort “gewest” für gewesen. Eines von vielen typischen Beispielen, wie sich die mittelhochdeutsche Sprache zumindest in Dialekten selbst heute noch häufig erhalten hat.

 

Eine Leserin auf Instagram fragte:

“Aber das sind doch schon lateinische Buchstaben und kein Sütterlin mehr.”

Meine Antwort darauf:

Zunächst einmal: Im Mittelalter schrieb man nicht in Sütterlin. Diese Schrift wurde 1911 als eine neue Ausgangsschrift für Schreibanfänger erfunden, hat sich aber gegen die lateinische Ausgangsschrift nicht dauerhaft und flächendeckend durchsetzen können.

Das hier (siehe Foto oben) ist selbstverständlich die Transkription einer Handschrift, die ursprünglich aus dem 14. Jahrhundert stammt. Diese Transkription wurde Ende des 19. Jahrhunderts angefertigt und dient auch heute noch zu Forschungszwecken. Es ist nämlich viel einfacher, die Transkription zu lesen als die ursprüngliche Handschrift.

Habt ihr schon mal eine Handschrift aus dem 14. Jahrhundert gelesen? Dabei fallen einem nach kurzer Zeit die Augen aus dem Kopf, weil sie häufig, wenn sie kunstvoll in einem Skriptorium erstellt worden ist, eine “Textura” war, also eine sehr kantige und enge Schrift, mit der man zwar viel Platz sparte, die aber für uns heute außerordentlich schwer und anstrengend zu lesen ist.

 

Textura in einer Handschrift des Sachsenspiegels, frühes 14. Jahrhundert. Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. Germ.167, fol. 2r:

Lombarden in Cod. Pal. germ. 167

Unknown author, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

 

Ein normaler Gerichtsschreiber hingegen hat meist nicht so kunstvoll geschrieben, sondern sich daran höchstens angelehnt und so gekritzelt, wie er es am besten konnte. Also oft noch viel unleserlicher. Da braucht es schon Historiker mit viel Erfahrung, um solche Texte flüssig lesen und verstehen zu können. Dass sich viele von ihnen die Mühe gemacht haben, diese Texte zu transkribieren, damit man sie leichter lesen kann, erleichtert meine Recherche enorm.

 

Ich hoffe, euch hat mein kleiner Ausflug in die Recherche zu Das Kreuz des Pilgers gefallen. Daran seht ihr, mit welcher Art von Texten ich hin und wieder konfrontiert werde, obwohl das natürlich nicht ständig so ist. Viele wissenschaftliche Texte und Abhandlungen sind deutlich einfacher zu lesen, weil sie aus neueren Zeiten stammen. :-)

Haltet die Augen offen, denn in Kürze gibt es mein nächstes Tagebuch-Video, in dem euch mindestens der erste Satz des Buches erwarten wird und noch so einige weitere Einblicke in meine Arbeit.

Und vergesst bitte nicht, in den sozialen Netzwerken meinen Tagebuch-Hashtag zu abonnieren: #schiertagebuch

 

*************************************

Diese Artikel könnten dich ebenfalls interessieren:

Schreibtagebuch zu “Das Kreuz des Pilgers”
Leser fragen – Petra Schier antwortet
Herausforderungen beim Schreiben: Einzelroman vs. Buchserie vs. Buchreihe
Kein (gutes) Buch ohne Lektorat!
Die Sache mit der Inspiration
Von Plot Bunnies und Figuren, die sich in einen Roman einschleichen
Die Angst vor dem Luftballon-Effekt
Warum man es nie allen Lesern recht machen kann, soll und darf – Die Zweite

*************************************

 

Koblenz, 1379: Als die junge Grafentochter Reinhild von Wegelagerern übermannt wird, wähnt sie sich dem Tode nah. Zum Glück kommen ihr der Pilger Palmiro und sein Weggefährte Conlin zu Hilfe, bringen die Übeltäter zur Strecke und retten Reinhild. Für ihren Mann kommt die Rettung allerdings zu spät. Auf ihrem Weg zurück in die Heimat begleiten Conlin und Palmiro die junge Frau. Nur langsam erholt sie sich von den schrecklichen Ereignissen, und doch entwickelt sie zarte Gefühle für Conlin. Dabei weiß sie genau, dass ihr Vater eine solche Verbindung niemals gutheißen würde. Und damit nicht genug, führt Palmiro einen Schatz mit sich, der sie alle erneut in Gefahr bringen kann.

 

Das Kreuz des Pilgers

Petra Schier

Historischer Roman
HarperCollins Taschenbuch & eBook
ca. 400 Seiten
ISBN 978-3749901-58-6
11,- Euro / eBook 8,99 €

Erscheint am 24. August 2021

Teilen mit