Heute gibt es ein bisschen was Prickelndes im Textschnipsel. Denn ihr habt bereits Melanie kennengelernt, Alex, seine Familie und natürlich Schoki. Jetzt geht es allmählich daran, das Rad ins Rollen zu bringen.
Viel Vergnügen beim Einblick in das 8. Kapitel!
Alex beobachtete, wie Melanie sich von der versammelten Truppe am Tisch mit kurzen Worten verabschiedete. Christina hielt Schoki am Halsband fest, die entschlossen zu sein schien, sich an Melanies Fersen zu heften, und empört heulte, als ihr das verwehrt wurde. Vorsichtig bewegte er die Beine, auf denen es sich die beiden Katzen seiner Mutter gemütlich gemacht hatten. Die beiden Stubentiger maunzten und trollten sich in Richtung Terrasse. Das kleine Mädchen in seinem Arm war seine jüngste Cousine Kim. Er reichte ihren vom Schlaf schweren Körper an ihren Bruder Kalle weiter, der zwar die Augen verdrehte, die Kleine aber trotzdem pflichtbewusst auf seinen Schoß nahm.
Kim murmelte etwas im Traum und schlang ihre Ärmchen um den Hals ihres Bruders. Alex zwinkerte ihm zu und erhob sich.
Er hatte Melanie den ganzen Abend in Ruhe, jedoch nicht aus den Augen gelassen. Dass sie nun aber verschwand, ohne dass er ein paar Augenblicke allein mit ihr verbracht hatte, kam nicht in Frage.
Kurz bevor sie ihr Auto erreicht hatte, holte er sie ein. „Na, ergreifst du die Flucht?“
Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und drehte sich abrupt zu ihm um. Ihr Gesicht wirkte blass, ihr Mund leicht verkniffen. „Es ist spät.“
„Zweifelsohne.“ Er blieb zunächst in gebührendem Abstand zu ihr stehen, damit sie sich nicht bedrängt fühlte. Offenbar hatte der Abend mit seiner Familie sie angestrengt. Sie schien nur noch davonlaufen zu wollen. „Zumindest hast du die Feuerprobe bestanden.“
„Feuerprobe?“ Sie machte einen halben Schritt rückwärts und stieß mit dem Rücken gegen die Fahrertür ihres Wagens.
„Wer es auf Anhieb mehrere Stunden mit meiner Familie aushält, ohne irre zu werden, verdient einen Orden. Beim nächsten Mal wirst du sicher dazu verdonnert, deinen Beitrag zum Büffet zu leisten.“
„Beim nächsten Mal?“
„Aber ja, du gehörst als Sybillas Großnichte so gut wie zur Familie. Meine Leute mochten dich. Zwei gute Gründe, dich wieder einzuladen.“
„Dein Großvater mag mich nicht.“
„Wie kommst du denn darauf?“
Sie zog den Kopf zwischen die Schultern. „Vergiss es. Ich muss jetzt los.“
Bevor sie sich umdrehen und die Tür öffnen konnte, trat er nah an sie heran und hielt sie an der Schulter fest. Hitze breitete sich von seiner Hand über seinen Arm aus. Er spürte, wie sie sich unter seiner Berührung versteifte, und sah, wie sie schluckte. Spannend. Sie spürte die plötzliche Anziehung also auch. „Warum glaubst du, dass mein Opa dich nicht leiden kann? Soweit ich sehen konnte, habt ihr euch gut unterhalten.“
Sie wich seinem Blick aus. „Er hat mir praktisch vorgeworfen, Tante Sybillas letzten Willen mit Füßen zu treten.“
„Er mochte sie gern. Die beiden sind miteinander aufgewachsen. Mit Bertram hat er sich ebenfalls gut verstanden. Sie sind oft zusammen Fischen gegangen. Er trauert um eine gute Freundin. Meine Oma übrigens auch. Sie hat mit Sybilla einmal im Monat das örtliche Kaffeekränzchen für Senioren besucht.“
Melanie senkte sichtlich betroffen den Kopf. „Ich weiß ja, dass ihr sie alle sehr gut kanntet. Ich bin nicht gut in solchen Dingen. Ich hätte nicht so harsch reagieren dürfen.“
„Hey.“ Vorsichtig berührte er sie am Kinn und hob ihren Kopf an, bis er ihr in die Augen sehen konnte. „Niemand verurteilt dich dafür, dass du dein Erbe nicht sofort mit Jubelschreien annimmst. Wenn Opa dich ein bisschen getriezt hat, dann weil ihm viel an Sybilla lag. Aber ich bin ganz sicher, dass er dich nicht ärgern oder beleidigen wollte. Er sagt immer, was er denkt. Das kann manchmal ziemlich hart sein, aber er meint es nicht böse.“
„Das hat deine Großmutter auch gesagt. Trotzdem hätte ich nicht so respektlos reagieren dürfen. Ich habe einfach nicht bedacht, dass die Leute hier so sehr um Sybilla trauern. Ich stand ihr einfach nicht nahe und weiß so gut wie nichts über ihr Leben hier.“
Wieder sah er, dass sie hart schluckte. Der Vorgang wiederholte sich, als er sachte mit dem Daumen über ihr Kinn streichelte. Sein Blick richtete sich unwillkürlich auf ihre Lippen und das Bedürfnis, sie zu küssen, das er schon seit dem ersten Zusammentreffen mit ihr mehr oder weniger unterschwellig verspürt hatte, wurde beinahe übermächtig. „Ich bin sicher, dass du gar nicht fähig bist, respektlos zu reagieren.“ Er lächelte leicht. „Dazu bist du zu gut erzogen. Was auch immer du zu Opa gesagt hast, er nimmt es dir nicht übel. Andernfalls hätte er es dir laut und deutlich ins Gesicht gesagt.“
„Ich muss jetzt wirklich fahren. Es ist spät und ich will nicht, dass …“
„Was? Dass der Abend womöglich eine angenehme Wendung nehmen könnte? Darauf hatte ich es nämlich angelegt. Du wirkst so gestresst, als hättest du an einer Marathonkonferenz über Gehirnchirurgie teilgenommen, bei der du alle Vorträge wörtlich auswendig zu lernen hast. Entspann dich ein bisschen. Niemand will dir etwas Böses.“
„Nein, aber ich bin solche … Familientreffen nicht gewohnt. Ich bin Familien nicht gewohnt.“
„Weil du selbst keine hast.“
„Ich bin gerne für mich.“
„Ständig?“ Er fuhr fort, sanft ihre Wange zu streicheln, obgleich sie sich dabei noch mehr versteifte. Ihr Atem ging immer flacher.
„Die meiste Zeit. Auf der Arbeit habe ich genügend Gesellschaft.“
„Und wenn dir privat nach … Gesellschaft zumute ist?“
Sie umfasste seine Hand und schob sie mit Bestimmtheit fort. „Das ist nur selten der Fall.“
„Nehmen wir an, heute wäre so ein Fall.“
„Ist es aber nicht.“
„Ganz sicher?“
„Alex …“
Ehe sie protestieren konnte, hatte er sie an sich gezogen und seinen Mund auf ihre allzu verführerischen Lippen gesenkt. Die erste kurze Berührung löste einen regelrechten Stromschlag aus. Er hörte, wie sie einen überraschten Laut ausstieß, und verstärkte den Druck seiner Lippen. Sie schmeckte herrlich weiblich und sein Blut geriet stärker in Wallung als geplant.
War Melanie im ersten Moment noch in Abwehrhaltung gewesen, so änderte sich dies innerhalb eines Wimpernschlags, und das wortwörtlich. Ihre Lider schlossen sich und sie erwiderte den Kuss unerwartet hungrig. Mit beiden Händen umfasste sie seine Schultern, als suche sie nach etwas Halt.
Er drängte sie gegen die Wagentür und umfasste ihr Gesicht, ließ seine Finger über ihr Gesicht und dann in ihr weiches, honigblondes Haar gleiten. Sein Körper hatte rasch ein Eigenleben entwickelt und er tat nichts, um seine Erregung vor ihr zu verbergen. Ihre weichen Rundungen schmiegten sich passgenau an seine harten Muskeln.
Ihr Mund öffnete sich leicht, als sie nach Atem rang. Dieser Einladung konnte er nicht widerstehen. Obwohl er sich damit von jeglichem zivilisierten Verhalten meilenweit entfernte, ließ er seine Zunge forschend über ihre Unterlippe wandern und die ihre suchen. Ein weiterer Stromstoß durchzuckte ihn und das Bedürfnis, ihr die hübsche blaue Bluse, die sandfarbene enge Hose und alles, was sich darunter befinden mochte, vom Leib zu reißen, vertrieb jeden anderen Gedanken erbarmungslos aus seinem Gehirn.
„Mel.“ Nur mit Mühe löste er seine Lippen von ihrem Mund und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen.
Als sich ihre Augen öffneten, waren ihre Pupillen geweitet und ihr Blick dunkel und verhangen. „Das ist keine gute Idee.“ Ihre Stimme klang belegt und sie versuchte sich von ihm zu lösen, doch er hielt sie fest an sich gedrückt.
„Findest du? Ich hatte den Eindruck, dass die Idee bei uns beiden durchaus Anklang gefunden hat.“
„Nein, ich … ich kann heute nicht mehr denken, Alex.“
Er lachte rau. „Ich glaube nicht, dass wir groß denken müssen, um zu wissen, was als Nächstes kommt.“
Sie legte ihm die Hände auf die Brust und schob ihn energisch ein Stück von sich. „Du verstehst das nicht. Solche Entscheidungen fälle ich nicht spontan mitten auf der Straße.“
„Sondern?“
„Sondern mit dem Kopf. Wenn ich etwas mit einem Mann anfange, wäge ich das Für und Wider ab und wenn das Für überwiegt, stimme ich einem Date zu …“
Immer noch lachend zog er sie an sich und küsste sie erneut. Sofort war die Hitze zwischen ihnen wieder da. Ein erotischer Laut drang aus ihrer Kehle, der irgendwo zwischen Stöhnen und Schnurren lag. Sein Hirn drohte sich erneut komplett abzuschalten. Gerade noch schaffte er es, sich von ihr zu lösen. „Mir scheint, du solltest diesmal eine Ausnahme machen.“
„Auf gar keinen Fall.“ Energisch schüttelte sie den Kopf. „Ich fahre jetzt.“ An ihrem Hals pochte deutlich sichtbar eine Ader und verriet, wie aufgewühlt sie war. Dennoch wandte sie sich ab, schloss die Autotür auf und schob sich rasch auf den Fahrersitz.
Ehe sie die Tür zuziehen konnte, beugte er sich zu ihr hinab. „Du kennst sicher den Spruch, dass aufgeschoben nicht aufgehoben ist?“
„Auf Wiedersehen, Alex.“ Mit einem Ruck zog sie die Tür ins Schloss und startete den Motor.
Alex trat zwei Schritte zurück und sah zu, wie sie den Wagen wendete und davonfuhr. Zufrieden, einen ersten Blick hinter Melanies sorgfältig polierte Fassade geworfen zu haben, und gleichzeitig hochgradig sexuell frustriert, ging er auf sein Elternhaus zu. Gegen den Frust hätte vielleicht geholfen, sich zu betrinken, doch das fiel leider aus, da er ja zum Fahrdienst eingeteilt war und sicherlich in Kürze die ersten Familienmitglieder nach Hause bringen musste. Also blieb ihm wohl nur, sich zu überlegen, wie er Melanie davon überzeugen konnte, ihren Kopf einmal für eine oder zwei Stunden auszuschalten.
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Über Fragen, Kommentare, Anregungen usw. würde ich mich wie immer sehr freuen.
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Eis, Sandburgen, Wattwanderungen – Melanie verbindet nur die schönsten Erinnerungen mit den Nordseeferien bei ihrer Tante. Trotzdem ist sie überrascht, dass diese ihr nach ihrem Tod ihren gesamten Besitz vermacht. Dazu gehören nicht nur das Haus und die Kunsthandlung, sondern auch der quirlige Welpe Schoki. Nun muss Melanie sich entscheiden: Will sie wirklich ihr vertrautes Leben zurücklassen, um für immer in diesem Küstennest leben? Einen Sommer will sie sich Zeit nehmen, diese Entscheidung zu treffen. Doch dabei haben der gut aussehende Nachlassverwalter Alex und das vierbeinige Temperamentsbündel auch ein Wörtchen mitzureden …
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Petra Schier, Jahrgang 1978, lebt mit Mann und Hund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel. Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2003 als freie Autorin. Ihre historischen Romane erscheinen im Rowohlt Taschenbuch Verlag, ihre Weihnachtsromane bei Rütten & Loening sowie MIRA Taschenbuch.
Unter dem Pseudonym Mila Roth veröffentlicht die Autorin verlagsunabhängig verschiedene erfolgreiche Buchserien.
Petra Schier ist Mitglied in folgenden Autorenvereinigungen: DELIA, Syndikat, Autorenforum Montségur
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