Frohe Ostern allerseits!

Ich hoffe, ihr habt Eure Ostereier bereits alle gesucht und gefunden und deshalb jetzt ein wenig Ruhe und Muße, um den ersten Textschnipsel aus Vergeltung im Münzhaus zu lesen. Erinnert ihr euch noch an den Mini-Textschnipsel von neulich? Heute kriegt ihr die “extended version” also die verlängerte Version desselben. Zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch fernab von jedem Lektorat, ihr wisst schon. Mehr oder weniger ist das Ganze noch Rohtext, also schlagt mich bitte nicht, falls sich noch irgendwo Holperer oder Wortdoppelungen oder sogar überflüssige Füllwörter finden sollten. Alles, was ihr in dieser Richtung findet, dürft ihr behalten oder dem Osterhasen schenken. ;-)

Ach ja, weil Feiertag ist, gibt es auch keine Toten oder dergleichen, sondern ein bisschen was fürs Herz. Oder so. Irgendwie. Na, entscheidet einfach selbst!

Aus dem 2. Kapitel

Zum Glück war es diesmal kein Glas-Ei, das der kleinen Explosion in dem Philosphischen Ofen, der auch Athanor genannt wurde, zum Opfer gefallen war. Der Verlust der irdenen Schale war zu verschmerzen. Dennoch ärgerte Griet sich, dass sie die Umwandlung der Stoffe nicht eher bemerkt hatte. Woher aber hätte sie wissen sollen, dass diese sich so rasch entzünden und ihr mit einem Knall um die Ohren fliegen würden? In keinem der Bücher, die sie bisher studiert hatte, war davon die Rede gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sie das Quantum an Schwefel ein wenig höher bemessen hatte.
Ohne weiter auf die rußenden und qualmenden Scherben im Ofen zu achten, griff sie nach der in einen Leinenumschlag gehefteten Kladde, in der sie jeden Schritt ihrer Versuchsanordnung schriftlich festhielt, und begann, das desaströse Ergebnis des Experiments niederzuschreiben. Dabei konzentrierte sie sich so sehr, dass ihre Zungenspitze langsam über ihre Lippen von einem Mundwinkel in den anderen wanderte.
Dass jemand den Keller betrat, hörte sie zwar, achtete jedoch nicht darauf. Zu wichtig war es, ihre Erkenntnisse rasch in Worte zu fassen, damit sie nur ja keinen der Schritte vergaß, die zu der Explosion geführt hatten. Schließlich wollte sie unter keinen Umständen den gleichen Fehler zweimal machen. In dieser Hinsicht orientierte sie sich stets an den Ratschlägen ihres Vaters, der ebenfalls akribisch über seine Versuche Buch führte.
Eine widerspenstige Locke, die sich ihrem Zopf entwunden hatte, kitzelte sie an der Wange. Ungeduldig blies sie sie fort, doch ohne viel Erfolg. Schließlich strich sie sie leicht gereizt hinters Ohr.
»Griet? Griet!«
Erst, als sie merkte, dass die Stimme ihrer Stiefmutter einen ungeduldigen Tonfall annahm, ließ sie die Schreibfeder sinken, hob den Kopf – und erschrak. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, als habe ihr Herzschlag ausgesetzt. Was hatte er hier zu suchen? Wie kam er in ihr Laboratorium? Sie spürte, wie das Blut in ihre Wangen schoss, und schluckte hektisch. »Äh, Mutter … Verzeih, ich wollte nicht … Ich habe nur etwas ausprobiert …« Was redete sie denn da für einen Unfug? Sie hatte nur etwas ausprobiert? Jawohl, eine sehr komplizierte Versuchsanordnung nach Villanova. »Ich wusste nicht, dass du Besuch hast.« Ihr Denkvermögen schien vorübergehend eingeschränkt zu sein. Sie hörte sich an wie ein stotterndes Kleinkind!
»Du solltest doch lediglich die Zucker- und Honiglösung und den Weingeist für unser Konfekt vorbereiten. Was in aller Welt hast du stattdessen schon wieder in die Luft gejagt?« Streng blickte Adelina auf sie herab und da Griet auf dem unbequemen Hocker saß, kam sie sich noch keiner und dümmer vor.
»Das habe ich doch auch, Mutter. Schau, hier ist die Zuckerlö… Oh.« Als sie hastig aufstand und sich nach der Schüssel mit dem Zucker- und Honiggemisch griff, musste sie feststellen, dass sich eine feine Rußschicht darauf niedergelassen hatte. »Tut mir leid.« Sie zog schuldbewusst den Kopf ein.
Adelina trat näher und warf einen Blick in die Schüssel. »Griet!«
»Verzeih, Mutter, das wollte ich wirklich nicht.«
»Was ist das denn?« Neugierig trat Cristan Reese auf sie zu und blickte ebenfalls auf den Inhalt der Schüssel.
Hektisch machte sie einen Schritt rückwärts und wäre beinahe gegen den heißen Athanor gestoßen. So aus der Nähe war der Hauptmann noch viel größer und respekteinflößender. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Mannes, der viel Zeit mit körperlicher Ertüchtigung zubrachte, und erinnerte sie mit seiner breitschultrigen, muskulösen Gestalt einmal mehr an ihren Onkel Tilmann. Ihr rieselte eine unangenehme Gänsehaut über das Rückgrat, als er noch ein wenig näher kam und den Inhalt der Schüssel eingehender betrachtete. Dann lachte er.
»Also, Meisterin, wenn Ihr damit noch ein Konfekt würzen wollt, solltet Ihr Eure Kunden lieber zuvor fragen, ob sie Ruß- und Raucharoma mögen.«
»Davon sehe ich besser ab, wenn ich meine Kundschaft nicht vergraulen will«, grummelte Adelina missvergnügt und nahm die Schüssel an sich. »Also wirklich, Griet, war das nötig?«
»Nein, Mutter, Verzeihung.« Griet senkte den Blick.
»Nun macht nicht solch ein trauriges Gesicht, Jungfer Griet«, mischte Georg Reese sich ein. »Es ist ja offenbar nichts Gefährliches passiert. Um dieses Zuckergemisch ist es schade, doch nach dem Knall eben befürchteten wir eher, dass Ihr selbst Schaden genommen hättet.«
Griet hob den Kopf wieder. »Nein, Herr Reese, da braucht Ihr Euch nicht zu sorgen. Der Knall war zwar laut, aber nicht gefährlich. Ich weiß, wie man Vorkehrungen trifft, damit ein alchemistisches Experiment sicher verläuft.«
»Ein alchemistisches Experiment, ja?« Der Hauptmann musterte sie neugierig und mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. Unter seinem intensiven Blick errötete sie erneut. »Darüber müsst Ihr mir bei Gelegenheit mehr erzählen. Aber verzeiht, ich habe mich Euch noch gar nicht vorgestellt. Cristan Reese, zu euren Diensten, wohledle Jungfer.«
»Ich weiß, ich kenne Euch. Ich meine, ähm …« Verzweifelt schluckte Griet. Was redete sie denn nun schon wieder für einen Unfug? Wenn das so weiterging, würde sie sich vollkommen lächerlich machen! Sie setzte erneut an: »Ich weiß, wer Ihr seid, Hauptmann Reese. Mein Onkel Tilmann sprach schon häufiger von Euch.«
»Mein Ruf eilt mir also voraus?« Cristan grinste jungenhaft. »Wie schmeichelhaft. Das heißt, natürlich nur, wenn es tatsächlich lobende Worte waren, die Tilmann über mich zu verlieren hatte. Also seid Ihr mir ein Stück voraus, Jungfer Griet, denn umgekehrt hat er es verabsäumt, mir von seiner hübschen Nichte zu berichten. Dafür sollte ich ihn bei Gelegenheit schelten, denn wenn ich gewusst hätte, dass zu seiner Verwandtschaft eine Adeptin der Alchemie gehört, hätte ich ganz sicher schon viel früher darum ersucht, Euch vorgestellt zu werden.«
»Ihr kennt Euch mit der Alchemie aus?« Verblüfft hob sie den Kopf, begegnete dem Blick aus deinen blaugrauen Augen jedoch nur ganz kurz, denn auch wenn er durchaus freundlich mit ihr sprach, kam sie sich in seiner Gegenwart klein und unbeholfen vor.
»Nicht die Spur.« Er lachte wieder. »Aber das soll nicht heißen, dass ich mich nicht dafür interessieren könnte. Eine Wissenschaft, bei der es zu Explosionen mit lautem Knall kommt, erweckt zumindest meine Neugier. Und gleich doppelt, wenn sie von einer hübschen Maid betrieben wird.«
»Ich, äh, ja also … Ich muss … das hier nach draußen bringen.« Sie griff nach der Schale mit dem verdorbenen Zuckergemisch und auch nach dem zersprungenen Keramikbehälter im Athanor. Zum Glück dachte sie im letzten Moment daran, dazu die Eisenzange zu benutzen, sonst hätte sie sich auch noch die Finger verbrannt. Ohne die beiden Besucher oder ihre Stiefmutter weiter zu beachten, eilte sie aus dem Laboratorium und die Stufen hinauf. Erst, als sie im Hof stand, hielt sie inne. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie die Zange kaum halten konnte. Rasch warf sie die beiden Schalen auf den Haufen mit Abfall neben der Abortgrube und versuchte dann durch tiefes Atmen ihren wilden Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen.

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Über Fragen, Kommentare, Anregungen usw. würde ich mich wie immer sehr freuen.

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