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Aus dem 6. Kapitel

 

»Herrin?« Symons Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Ihr seht aus, als sei Euch der Gottseibeiuns höchstselbst begegnet.«
Diese Begegnung, so argwöhnte sie, stand ihr wohl eher noch bevor. »Ich bin nur ein wenig erschöpft. Vielleicht liegt es am Wetter.«
Symon war deutlich anzusehen, dass er ihr nicht glaubte. »Vielleicht wäre es besser …« Abrupt brach der Knecht ab, als aus Richtung der Brückenstraße ein kleiner, strohblonder Junge schreiend auf sie zu gerannt kam. Er humpelte stark und wedelte hektisch mit den Armen.
»Frau Aleydis, Frau Aleydis! Kommt schnell, er hat sie mitgenommen. Ich konnte nichts machen, und er hat sie einfach geholt. Bitte schnell, Frau Aleydis.« Je näher der Junge kam, desto deutlicher war zu erkennen, dass er im Gesicht blutete – und er weinte.
Erschrocken raffte Aleydis Mantel und Röcke und eilte dem sonst immer fröhlich-frechen Gassenjungen entgegen. »Lentz, um aller Heiligen willen, was ist geschehen?« Sie blieb stehen und fing ihn auf, als er sich ihr in die Arme warf. »Junge, wie siehst du denn aus? Du blutest ja. Hast du dich geprügelt?«
»Ja. Nein, er hat mich getreten und seine Knechte haben mich geschlagen, als ich versucht habe, sie aufzuhalten. Auch Gilles und Augustin haben versucht, sie aufzuhalten, und Wardo hat sogar sein Schwert gezogen. Aber dann haben sie ihm von hinten eins übergezogen.«
Aleydis spürte Entsetzen, gepaart mit Eiseskälte in sich aufsteigen. »Wer, Lentz? Von wem redest du? Was ist passiert?«
»Der Bonner, der von Pischenz oder wie der heißt, der war da. In der Glockengasse. Also bei Euch.« Lentz klammerte sich an ihren Röcken fest. Seine Stimme klang dumpf und undeutlich, weil er so heftig keuchte und gleichzeitig sein Gesicht gegen ihren Körper drückte.
Obwohl die Angst sie gepackt hatte, bemühte Aleydis sich, die Ruhe zu bewahren. Vorsichtig schob sie den Jungen ein wenig von sich. »Ganz ruhig, Lentz, und noch einmal von vorne. Hartlieb de Piacenza war bei uns im Haus? Was wollte er?« In Wahrheit ahnte, nein, wusste sie es bereits. Doch noch weigerte sie sich, der Befürchtung zu viel Raum zu geben.
»Ja, genau, so heißt er. Der war da und hatte sechs oder sieben Waffenknechte mit dabei. Und die waren alle riesig und bewaffnet und … Er wollte zu Euch, aber als Ihr nicht da wart, ist er einfach so rein und hat die Gerlin geohrfeigt, weil sie ihn nicht in die Stube zu Ursel und Marlein lassen wollte.« Lentz schluchzte auf. »Sie ist gegen den Türrahmen geknallt und hat sich den Kopf gestoßen. Ich wollt ihr helfen, weil ich ja gerade da war, um Lutz zur Hand zu gehen. Aber die haben mich getreten und geschlagen. Da hab ich sie gebissen, aber die waren viel stärker. Nicht mal Gilles und Augustin konnten sie aufhalten.« Während er sprach, ergriff der Junge Aleydis‘ Hand und zerrte sich hinter sich her, die Brückenstraße entlang auf die Glockengasse zu. »Marlein hat ganz schlimm geweint und Ursel gekreischt und getreten und gebissen. Und die Irmel hat dem einen eins mit der Bratpfanne übergezogen. Aber es hat nichts geholfen. Sie haben sie mitgenommen und in einen Reisewagen gesteckt und sind weg. Die Nachbarn sind alle rübergekommen …«
Aleydis‘ Herz schlug wild in ihrer Brust. Ihr war heiß und kalt zugleich. Hartlieb hatte also Marlein und Ursel entführt. Insgeheim hatte sie so etwas befürchtet, sich jedoch immer wieder damit beruhigt, dass Cathreins Schwager es nicht wagen würde, so weit zu gehen. »Hat jemand die Büttel holen lassen?«, fragte sie atemlos, während sie die Glockengasse entlang hasteten. »Oder die Schöffen verständigt? Den Gewaltrichter?«
»Der Starkenberg von gegenüber wollte das tun.« Lentz keuchte und humpelte immer stärker, schließlich blieb er stehen. Von hier aus war die Menschenmenge vor Aleydis‘ Anwesen bereits gut erkennbar. Sämtliche Bewohner der umliegenden Häuser waren zusammengelaufen und diskutierten wild durcheinander. »Aber der Pia…dingsda hat gesagt, das könnten sie sich sparen, weil er die Erlaubnis vom Bonner Hochgericht hat, seine Nichten abzuholen.« Lentz‘ Stimme zitterte leicht, und er war ganz blass geworden.
»He, Junge, mal ganz ruhig.« Symon fing Lentz auf, als dieser taumelte. Umstandslos hob der bullige Knecht den schmächtigen Jungen auf die Arme. »Los, weiter, Herrin.«
Aleydis nickte nur und eilte voraus.
Die Menschen verstummten und wichen auseinander, als Aleydis sich dem Haus näherte. Ringsum erkannte sie betretene bis betroffene Gesichter, selbst bei den Nachbarn, die sich vor einiger Zeit noch zu einem Pöbel zusammengerauft hatten, um lautstark gegen Cathreins erneute Unterbringung auf dem Beginenhof zu protestieren.
»Herrin, da seid Ihr!« Die korpulente Ells kam durch die geöffnete Haustür auf sie zugeeilt. »Hat der Junge Euch also gefunden. Ach herrje, was ist denn mit ihm?« Erschrocken blickte sie auf Symon, der Lentz immer noch auf dem Arm trug.
»Nix. Lass mich runter!« Lentz zappelte ein bisschen.
»Pass auf«, mahnte Symon und stellte den Jungen vorsichtig auf die Füße. Lentz jaulte auf, weil sein Bein offenbar wehtat, und sofort stützte der Knecht ihn. »Komm, Jung, ich bring dich rüber zum Stall, da kannst du dich setzen.«
»Ich will mich nicht setzen.« Tränen rannen Lentz über die Wangen, und er wischte sie unwirsch mit dem Handrücken weg. »Ich hätt was machen sollen. Sie aufhalten. Aber ich hab’s nicht geschafft.« Mit großen Augen und zugleich ängstlichem und wütendem Blick sah er zu Aleydis auf. »Ich hätt was machen müssen, und jetzt sind Ursel und Marlein weg.«
Aleydis‘ Herz zog sich schmerzhaft zusammen und weitete sich beinahe zugleich für den kleinen Kerl, der so mutig gewesen war, sich gegen bewaffnete Männer zu stellen. Spontan nahm sie ihn in den Arm. »Schon gut, Lentz, alles wird gut. Du hast getan, was du konntest. Geh jetzt mit Symon.« Sie richtete sich wieder auf. »Symon, bring ihn in die Küche und gib ihm etwas zu essen, und jemand soll sich um seine Verletzungen kümmern.«
»Ich mach das schon.« Hinter Ells war Irmel aufgetaucht und nahm den Jungen an der Hand. »Komm mit, wir haben Eier und Speck und frisches Brot in der Küche.«
»Ich hab aber keinen Hunger.« Lentz wehrte sich. »Was wird jetzt aus Ursel und Marlein? Will der Pischenz sie verheiraten?«
»Nein.« Mit mehr Entschlossenheit, als sie im Augenblick verspürte, schüttelte Aleydis den Kopf. »Das wird er nicht tun. Das lasse ich nicht zu. Geh nun ins Haus, Lentz, und lass dich verarzten.«
Widerwillig ließ der Junge sich von Irmel nach drin führen. Im gleichen Moment trat Augustin auf sie zu. Er hatte ein blaues Auge und blickte schuldbewusst drein. »Herrin, wir haben alles versucht, der Gilles und ich und der Wardo auch, aber den haben sie hinterrücks niedergestreckt. Mit einem Knüppel gegen den Kopf. Er ist immer noch bewusstlos. Sie waren in der Überzahl.« Er schien es nicht einmal zu wagen, Aleydis ins Gesicht zu blicken. Ringsum war Gemurmel und Getuschel zu hören. Unmutsäußerungen wurden laut, dann erste Forderungen, man möge endlich den Büttel herbeiholen und jemand von den Schöffen. Manche forderten sogar, Hartlieb am nächsten Baum aufzuknöpfen.
»Eine Unverschämtheit ist das«, keifte eine hagere ältere Frau, die Gemahlin des Küfers aus der oberen Glockengasse, die sonst nicht gut auf Aleydis zu sprechen war. »Entführen die Mädchen aus ihrem Zuhause! Dürfen die das denn überhaupt? So was gehört bestraft, sage ich. Wo kommen wir denn hin, wenn man hier einfach aus dem Haus verschleppt werden kann.«
»Nicht verschleppt, zu ihrem Onkel gebracht«, knurrte Jan Starkenberg, der Jüngere, der mit seinem Vater zusammen den Weinhandel gegenüber betrieb. »Zumindest hat er das behauptet.« Er wandte sich an Aleydis: »Seid gewiss, dass mein Vater bereits auf dem Weg zum Rathaus ist. Er war außer sich vor Zorn, als er gesehen hat, was Hartlieb de Piacenza vorhat. Ich bin es ebenfalls. Aber de Piacenza hatte ein Schreiben des Bonner Hochgerichts dabei, aus dem angeblich hervorgeht, dass er das Recht hat, seine Nichten in seine Obhut zu nehmen. Er behauptet, ihm sei die Vormundschaft zugesprochen worden.«
»Das kann ja wohl nicht sein.« Entgeistert blickte Aleydis den schlanken blonden Mann an. »Mein Vater wurde zum Vormund der Mädchen bestimmt, und zwar vom Kölner Gericht. Bonn ist hier doch überhaupt nicht zuständig.«
Starkenberg nickte, schüttelte aber fast zeitgleich den Kopf. »Der Onkel der Mädchen behauptet etwas anderes. Es tut mir so unsagbar leid, Frau Aleydis. Wenn wir etwas für Euch tun können … Ich schicke auch gern meine Gemahlin rüber, falls Ihr ihre Hilfe benötigen solltet.«
»Danke, das ist sehr freundlich von Euch.« Vollkommen ratlos blickte Aleydis sich um. »Wo ist dieses Schreiben, von dem Ihr spracht?«
»Das hat er natürlich wieder mitgenommen.« Augustin deutete vage in die Richtung, in die Hartlieb mit seinen Männern anscheinend verschwunden war. »Gilles ist ihnen nach, um zu sehen, wohin sie fahren.«
»Nach Bonn, nehme ich an. Da wohnt er ja.« Ells hatte sich neben Aleydis gedrängt und legte ihr fürsorglich eine Hand auf den Arm. »Kommt ins Haus, Herrin. Es regnet immer stärker und niemandem ist geholfen, wenn Ihr Euch auch noch erkältet.
»Nein.« Fast schon ruppig entzog Aleydis sich der Berührung. »Ich muss …« Zu Vinzenz. Die Erkenntnis, dass dies ihr erster klarer Gedanke war, verursachte ihr einen heftigen Stich. »Zum Gewaltrichter und Klage erheben«, vervollständigte sie schließlich den Satz. »Ich muss sofort los.« Hektisch sah sie sich um. »Symon?« Noch ehe der Knecht reagieren konnte, war sie bereits losgeeilt.

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Hat Liebe einen Preis?

Köln, anno domini 1424: Im Haus von Aleydis de Bruinker zieht einfach keine Ruhe ein. Betrugsversuche in ihrer Wechselstube, übermütige Verehrer, das kriminelle Erbe ihres verstorbenen Mannes … mit all dem muss Aleydis sich fast täglich auseinandersetzen. Und trotz dieser Widrigkeiten kommt sie bestens zurecht, auch ohne Mann. Auch ohne Vinzenz van Clewe, obwohl sie zugeben muss, dass der gutaussehende Gewaltrichter bisweilen durchaus hilfreich sein kann. Doch dann erlebt Aleydis ihren schlimmsten Alptraum: Ihre Mündel werden entführt. Aleydis setzt alles daran, die Mädchen zurückzubekommen. Koste es, was es wolle …

 

Die Rache des Lombarden

Petra Schier

Historischer Roman
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Erscheint am 26. Januar 2021.

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