Bei einem guten Lektorat kommt es hin und wieder vor, dass Textstellen gekürzt werden (manchmal auch erweitert) oder dass sogar ganze Szenen oder Teile von Szenen gestrichen werden. Grundsätzlich sind das immer nur Vorschläge der LektorInnen, die die Autorin oder der Autor annehmen kann oder auch nicht. Ich als Autorin habe dabei immer das letzte Wort. Wenn meine Lektorin jedoch der Ansicht ist, dass irgendwo eine Textstelle gestrafft oder sogar gestrichen werden sollte, dann ganz sicher aus gutem Grund.

Im vorliegenden Manuskript Der Ring des Lombarden (das Buch wird Ende Januar 2020 bei Rowohlt erscheinen) hat sie mir einen längeren Dialog aus einer wichtigen Szene herausgestrichen. Im ersten Moment war ich überrascht, doch bei näherem Hinsehen wurde mir klar, warum sie das getan hatte. Leider kann ich es euch hier nicht erklären, weil das zu viel spoilern würde.

Die Szene ist nach der Kürzung deutlich straffer und an der Stelle auch passender, der Dialog an sich hingegen gefällt mir so gut, dass ich ihn auch hier und heute als sogenannten Outtake zu lesen geben möchte. Denn wenn er auch niemals zwischen zwei Buchdeckeln landen wird, enthält er doch eine Menge Elemente, die die beiden Hauptfiguren des Romans, Aleydis de Bruinker und Vinzenz van Cleve, charakterisieren. Wer die beiden bereits kennt, wird sie wahrscheinlich sofort wieder vor Augen haben, aber auch alle, die den ersten Band der Reihe, Das Gold des Lombarden, noch nicht gelesen haben, werden hoffentlich ihren Spaß an der Dialogszene haben.

Übrigens sind die ersten beiden und die letzten beiden Sätze (ganz leicht modifiziert) durchaus im Manuskript geblieben, weshalb ich sie hier als verbindende Elemente mit eingefügt habe. Außerdem ist der letzte Satz so ein schöner Cliffhanger. ;-)

 

Aus dem 9. Kapitel

 

Ihr erboster Blick, während sie auf die Schreibstube zusteuerte, hätte ihn amüsiert, wenn er nicht zuvor diesen eigentümlich besorgten Ausdruck auf ihrem Gesicht bemerkt hätte. Sie schloss die Tür hinter sich, bevor sie dicht an sein Schreibpult trat »Ich nehme an, für van Thürnes Frontalangriff darf ich mich bei Euch bedanken?«
Vinzenz hob den Kopf. »Frontalangriff?«
»Ein Ausdruck, den ich von Eurer Schwester gelernt habe und den sie wiederum nur von jemandem übernommen haben kann, der sich in seiner freien Zeit gerne mit Soldaten und Schwertkämpfern umgibt.«
Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. »So bin ich also für die Erweiterung Eures Wortschatzes verantwortlich?«
»Offenbar auch für die Erweiterung der Anzahl von heiratswütigen Kölnern, die es auf mich abgesehen haben.«
»Dafür bin ich schwerlich verantwortlich, Frau Aleydis. Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass eine wohlhabende Witwe nicht lange ohne Anwärter auf ihre Hand bleibt.«
»Ihr habt van Thürne ermutigt.«
»Ich habe nichts dergleichen getan.« Er hob beide Hände, so als wolle er alle Schuld von sich weisen. »Schließlich bin ich kein Kuppler.«
»Das möchte ich Euch auch nicht geraten haben, Herr van Cleve. Ich habe nämlich nicht vor, so bald wieder zu heiraten.«
»Habt Ihr nicht?«
Ihre Miene wurde noch finsterer. »Haben wir darüber nicht schon einmal geredet?«
»Seither sind einige Wochen und Monate ins Land gezogen.«
»Geändert hat sich jedoch nichts.« Kurz hatte er den Eindruck, dass ihr Kinn leicht zitterte. Vielleicht hatte er sich aber auch geirrt, denn ihrer Stimme war keinerlei Regung, abgesehen von Zorn, zu entnehmen. »Ich werde schwerlich noch einmal einen Mann finden, der wie Nicolai war.«
»Wohl kaum.« Er konnte nicht verhindern, dass sich leichter Spott in seine Stimme schlich.
Prompt funkelte sie ihn wütend an. »Einen Mann, der mich so geliebt hat wie er, meinte ich. Und den ich …« Nun schluckte sie doch. »Ebenso wiederlieben könnte. Ihr begreift es wohl immer noch nicht, und, Gott bewahre, inzwischen zweifle ich auch an so manchem, doch Nicolai war mir in echter Liebe zugetan. Er mag unaussprechliche Dinge getan haben, die mich nun zur Verzweiflung treiben und deren Enthüllungen kein Ende zu nehmen scheinen, doch an dem, was er für mich empfand – und umgekehrt – kann und werde ich niemals zweifeln. Wie soll ich die Männer, die nun um mich herumscharwenzeln, daran messen? Schon gar, wenn ich von vorneherein weiß, dass sie es nur auf mein, nein Nicolais Geld und seinen Einfluss abgesehen haben?«
»Und doch werdet Ihr früher oder später einen von ihnen erwählen.« Bedachtsam faltete er seine Hände auf dem Pult, um zu verhindern, dass er sie zu Fäusten ballte.
»Wenn überhaupt, dann sehr viel später«, schnappte sie. Dann jedoch wurde sie blass und blickte betroffen zur Seite. »Ich werde wohl niemals wieder sicher sein können, ob jemand mir aus reinem Herzen zugeneigt ist.«
Seine Hände verkrampften sich kurz, weil die Sache mit den Fäusten noch nicht vom Tisch war. »Ich nehme nicht an, dass Ihr hergekommen seid, um bei mir Rat in Herzensangelegenheiten einzuholen.« Er gab seiner Stimme absichtlich einen barschen Ton, um sie aus der plötzlichen Traurigkeit zu reißen. Diese vertrug er nämlich überhaupt nicht. Ihr Zorn war ihm allemal lieber. »Also sagt mir, was Euch in mein Haus führt.«
Ihr Kopf ruckte wieder zu ihm herum, ihre Blicke trafen sich für einen langen Moment, dann nickte sie und legte das Bündel vor ihm auf das Pult. »Ich brauche Eure Hilfe.«

 

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Der Ring des Lombarden

Der Ring des Lombarden
Petra Schier
Historischer Roman
Rowohlt-Taschenbuch & eBook
384 Seiten
ISBN 978-3-499275-02-910.99 Euro / eBook 9,99 €

Erscheint am 28. Januar 2020

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