Gastbeitrag von Julia K. Stein

 

Wenn man Romane schreibt, kommt man um Liebes- und Sexszenen nicht herum. Entweder schreibt man sie oder man umgeht sie bewusst (wie eine befreundete Thriller-Autorin es tut: „Er berührte sie dort, wo sie es am liebsten mochte. Kapitelende.“). In jedem Fall denkt man darüber nach. Da ich Jugendromane und Erwachsenenromane schreibe, ist Romantik für mich sehr wichtig, denn auch im Verlag wird ständig über Sexszenen nachgedacht und darüber geredet, was von der Zielgruppe gewünscht wird oder ihr zumutbar ist. Wie weit geht man? Wie werden welche Körperteile benannt? Schreibt man Brustspitze oder bleibt man bei Brustwarze mit dieser verfluchten Warzen-Assoziation, oder benennt man gar nichts so wirklich konkret? Meine Romane sind (überwiegend) zwar nicht sehr explizit – in Englisch nennt sich das sweet romance – aber in meinen Jugendromanen sind die knisternden Szenen natürlich enorm wichtig und es gibt auch Sex. So unschuldig ist es also doch nicht, aber über dieses Spektrum später mehr. Im Laufe der Zeit habe ich ein paar Einsichten über das Schreiben von Liebesszenen gewonnen und davon möchte ich hier ein paar teilen.

 

1) Die Schwiegermutter von der Schulter schieben.

Viele Autoren, die ich kenne, sind verschämt, wenn es an das Schreiben von Sexszenen geht. Und ehrlich: Ich weiß, was sie meinen! Viele denken in diesem Moment an den Leser und ich sicherlich auch. Diese Leser sind in schlechten Momenten: mein Vater, meine Oma und meine Schwiegermutter. Das letzte, was meine Schwiegermutter von mir gelesen hat, war meine Promotion und manchmal denke ich, dass ein Pseudonym gut wäre, nur um diese drei Verwandtschaftsgruppen von meinen Büchern fern zu halten.

Ich werde nie vergessen, wie Madonna im Film In Bed with Madonna (gedreht vor über 20 Jahren) sagt, sie wäre heute nervös. Ihr Vater wäre da. Das war die Show, wo sie auf einem großen Bett masturbierte oder so getan hat als ob. Jedenfalls fand ich es erfrischend, dass Madonna das unangenehm war. Und natürlich, sie ist auch nur ein Mensch. After all. Inzwischen habe ich gelernt, dass, egal was ich schreibe, mich Leute danach besorgt nach einer Ehekrise oder meiner teuflischen Mutter fragen. Das ist eben so. Ganz ehrlich, ich lächele dazu nur und erkläre, dass meine krimischreibende Freundin zum Glück dennoch keine Mörderin ist. Oder ich flüstere. „Könnte sein, nicht wahr? Ich bin totally weird, aber nicht weitersagen.“ Will sagen, ich nehme das in Kauf. Und daraus habe ich gelernt, dass Menschen meist eher beeindruckt davon sind, dass man sich in ihren Augen verwundbar macht, sich geöffnet hat, obwohl man ja nicht direkt über sich geschrieben hat. Oder ein bisschen natürlich schon.

 

2) So schreiben wie sonst auch

Abbildung Paar beim SexEine schreibende, supererfolgreiche Kollegin von mir hat vor einiger Zeit gesagt: Hey, ein Schwanz ist ein Schwanz, wer das nicht so nennen kann, der soll keine Liebesszenen schreiben. Ich sehe das anders. Ich mag das Wort Schwanz nicht in meinen Liebesszenen. Und ist das okay? Unbedingt. Jeder, wie er mag. Ich habe sehr viele Liebesszenen von anderen Autoren gelesen. Mehrmals. Als Jugendliche zur Aufklärung, als Autorin, um zu lernen. Ich habe sie studiert. Meine sind immer anders. Ich habe durchaus schon Liebesszenen gelesen, die wie Versatzstücke aus anderen Büchern klingen – und wahrscheinlich sind sie es. Jemand wollte sich retten und hat sich hinter jemand anderem versteckt. Das klappt eigentlich nie. Denn dann klingt es plötzlich komisch, anders als der Rest vom Buch. Bei einigen Autoren gibt es Muschis und Schwänze und pochende Vaginas, andere arbeiten mit der heißen Mitte oder der Erektion. Jeder hat ein anderes Verständnis (und der Verlag redet ja auch noch mit) von Erotik und dem angemessenen Vokabular. Und ja, man gibt im Liebesroman etwas preis, nämlich, was man als erotisch empfindet. Und das ist irgendwie persönlich. Wobei Leser häufig verwechseln, dass ich auch schreibe, was meine Protagonisten als erotisch empfinden und das unterscheidet sich doch gelegentlich gewaltig von meinen eigenen Vorstellungen, ich schlüpfe ja nur in ihre Haut, sehe mir Sex durch ihre Augen an – deshalb bin ich ja Autorin geworden, um andere Leben auszuprobieren.

Ich gebe also gelegentlich etwas preis und dann doch wesentlich weniger, als andere glauben, womit wir wieder bei Punkt 1 wären. Davon muss man sich freimachen. Leser werden immer falsche Schlüsse über dich als Autorin ziehen. Das Leben ist zu kurz, um sich von irgendwelchen Schamgefühlen hemmen zu lassen.

 

3) Eigentlich bestimmt die Skala …

… zwischen bildlich-technischen Beschreibungen (man denke an Aufklärungsunterricht und Betriebsanleitungen zum Nachmachen) und empfundenen Gefühlen, in welchem Genre man sich gerade bewegt. Es reicht von sie umkreiste seine Penisspitze mit ihrer Zunge (sehr grafisch), über, sie nahm seine pochende Erektion zwischen die Lippen (ziemlich grafisch) zu in ihrem Kopf begann sich der wohlbekannte Strudel zu drehen, das Blut in ihren Ohren dröhnte (nur Gefühl).

Und in den letzten Jahren hat sich die Skala ganz klar verschoben. Ich erkläre mir das  dadurch, dass die Literatur, die früher in Heftromanen vom „normalen“ Literaturmarkt entfernt war, durch die Ebook-Entwicklungen in diesen integriert wurde. Und da sich Sex gut verkauft, möchten viele Verlage heute häufig deutlichere Sexszenen, also neben der Emotion auch ein wenig mehr Bilder. Mir ist damals zum Beispiel bei Bridget Jones aufgefallen, dass im dritten, erst nach vielen Jahren erschienenen Band der Sex plötzlich viel genauer beschrieben war – für mich stellte das keine Verbesserung da.

Die Zeit der Metaphern, wo jemand sein starkes männliches Schwert in eine heiße Blume eindringen lässt, ist jedenfalls definitiv vorbei. Aber dem braucht man glaube ich auch nicht wirklich nachtrauern. Ich selbst finde Emotionen sind sehr wichtig und mag mindestens 60/40, tendenziell mehr Emotion,  wobei das wieder Geschmacksache ist von Verlag, Leser und Autor.

 

4) Inspiration

Bild KussWie kann ich Inspiration bei Liebesszenen finden? Pornos schauen? Für meine Liebesszenen brauche ich das eher nicht, liegt aber an meinem Genre, das nicht erotisch ist. Die Shades of Grey-Autorin hat in einem Interview gesagt, dass sie viel im Internet recherchiert hat, um über Bonding zu lernen und, ganz ehrlich, das ist ja auch nicht wahnsinnig überraschend.

Ich schaue mir ebenfalls auf YouTube Videos wie „Most romantic kissing scenes 2018“ oder ähnliches an. Faszinierend, wie bei einigen eben die Chemie auf der Leinwand sofort stimmt. Das zieht mich dann meist schnell aus meinem Inspirationstief und ich versetze mich in meine Szene. Denn man muss die Szene schon fühlen, wenn man sie gut schreiben möchte. Aber, was ich für ganz wichtig halte, sind eher Gespräche mit Freunden oder andere Erfahrungsberichte. Wahre Geschichten. Denn tatsächlich ist das Ergebnis, wenn man das Verhalten von Menschen im Film oder in anderen Büchern studiert, ja folgendes: Man schreibt schnell eine „Film-Realität“, die es so gar nicht gibt. Ich finde, dass durch die überwältigende Präsenz von amerikanischen Serien momentan auch in Büchern oft eine fiktive Realität entsteht, die es so eigentlich nur im Film gibt – auch nirgendwo in den USA, wo die Geschichte häufig angesiedelt ist. Ich habe lange in den USA gelebt und lasse meine Bücher auch gern dort spielen, trotzdem fällt mir auf, dass eine Art Buch-Realität entstanden ist, bestimmt auch deshalb, weil sich die Bücher dann international verkaufen sollen und man sie in einer durch Film vertrauten Realität ansiedelt, die aber eigentlich nirgends existiert – außer in anderen Filmen oder entsprechenden Büchern.

 

5) Und dann, am allerwichtigsten, …

… bestehen Sexszenen natürlich nicht nur Sex. Sie bestehen aus Dialog und Schauplatz. Genau wie jede andere Szene führt die Szene ja irgendwohin. Sie bringt die Charaktere zusammen oder sie entfernt sie voneinander. Für mich ist bei allen Liebesszenen Dialog sehr wichtig. Liebesszenen, damit meine ich auch das ganze Knistern davor und danach, nicht unbedingt dass sie währenddessen nonstop quatschen. Das hält natürlich keiner aus. Aber der Dialog und der Schauplatz, die Geräusche, das Licht, die Wahrnehmung, die durch die Emotion gefiltert wird, bestimmt, wie die Szene funktioniert. Ich finde immer sehr schön, wenn Dialoge in Liebeszenen Humor haben. Denn, rein objektiv betrachtet, ist Sex ja ziemlich lustig. Und auch wenn der Humor vielleicht nicht während des leidenschaftlichen Höhepunkts kommt, danach ist das eine schöne Entspannung für alle Beteiligten, inklusive dem Leser.

 

Mich interessiert natürlich, wie andere schreiben, ob sie „Geheimrezepte“ haben. Die Szenen mit ihren Partnern nachspielen, damit die Regieanweisung stimmt? Ich habe vor kurzem meinen ersten New Adult-Roman geschrieben, da wurde ich deutlicher als in meinen anderen Büchern. Bald kommen die Belegexemplare. Hoffentlich liest Papa sie nicht. Aber ganz ehrlich? Wird es mich von ihm entfernen? Ich glaube nicht. Im Zweifel wird er die Seiten schnell überschlagen, aber was ist menschlicher als Sex?

 

Foto Julia K. SteinJulia K. Stein schreibt Romane, Geschichten, Gedichte, Aufsätze und Sachbücher. Neben ihrer Webseite jkstein.de betreibt sie einen Blog mit Schreibtipps für angehende Schriftsteller auf xojulia.de und einen Youtube Kanal: www.youtube.com/c/JuliaKStein

 

 

 

 

Fremdwerbung

Romane von Julia K. Stein (und unter ihrem Pseudonym Taylor Fitzgerald)

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