Textschnipsel Das Gold des LombardenWieder einmal ist es an der Zeit, euch einen neuen Textschnipsel zu präsentieren, damit euch die Wartezeit bis Oktober nicht zu lang wird.

Es war gar nicht so einfach, mich für eine Textstelle zu entscheiden, denn es gibt einfach so viele schöne in dem Roman. Am meisten werden euch bestimmt die Wortgefechte zwischen Aleydis und Vinzenz Freude bereiten, denn die haben es zuweilen wirklich in sich. Die beiden schenken einander nichts, aber auch gar nichts, deshalb habe ich noch einmal eine Stelle aus dem 6. Kapitel herausgesucht, in der die beiden allmählich “Fahrt aufnehmen”.

Viel Vergnügen!

 

Aus dem 6. Kapitel

Er war so vertieft in seine inneren Betrachtungen, dass er nicht mitbekommen hatte, wie sie den Raum betrat. Erst als sie vor ihm stand, hob er den Kopf.
Aleydis’ Miene war eine Mischung aus Entsetzen, Entschlossenheit und noch etwas, das er nicht zuordnen konnte. Faszination?
»Folgt mir«, verlangte sie ohne Umschweife.
Da sie sich einfach wieder umdrehte und die Schreibstube verließ, erhob er sich rasch und gehorchte ihrem Befehl. Misstrauisch blickte er sich um, als er hinter ihr die Stufen in das Kellergelass hinabstieg. Hier war es finster und kühl, ein leicht muffiger Geruch hing in der Luft. Die Flamme der großen Öllampe, die auf einer der Truhen stand, flackerte, als Aleydis sich vor eine schwere Eisenkiste kniete und den Deckel anhob.
Neugierig trat Vinzenz näher und räusperte sich, als er das offene Schloss erblickte. »Ihr habt die Kombination herausgefunden.«
»Ich werde sie Euch nicht verraten.«
»Hatte ich danach gefragt?«
»Noch nicht.« Sie winkte ihn näher. »Ihr braucht auch gar nicht so genau hinzusehen. Ich habe die Ringe wieder verstellt, nachdem ich das Schloss geöffnet hatte.«
Widerwillig beeindruckt ging er neben ihr in die Hocke und nahm das Schloss in die Hand. »Vertrauen wollt Ihr mir wohl nicht.«
»Hat mein Gemahl es getan?«
»Nein.«
»Warum sollte ich es dann tun?«
»Euch hat er die Kombination verschwiegen wie jedem anderen auch.«
Sie sah ihn missbilligend von der Seite an. »Und deshalb meint ihr, brauche ich mich ihm gegenüber nicht loyal zu verhalten? Für einen Gewaltrichter wisst Ihr erstaunlich wenig von den Menschen, Herr van Cleve.«
Er lächelte leicht. »Ich weiß genug von ihnen, um zu erkennen, dass ich mich vor Euch in Acht nehmen sollte, Frau Aleydis. In diesem Fall dürft Ihr allerdings unbesorgt sein. Ich wollte weder die Kombination wissen noch Euch dazu anstiften, Euch Eurem Gemahl gegenüber ungetreu zu verhalten. Aber erlaubt mir, die Kunstfertigkeit des Schlosses zu bewundern. Wisst Ihr, wer es gebaut hat?«
»Leider nicht.« Sie griff nach einem in dickes dunkelbraunes Leder gebundenen Buch. »Seht Euch dies an.«
Vinzenz schlug den schweren Deckel auf und studierte die Einträge auf den ersten Seiten, danach blätterte er wahllos weiter. »Das liest sich wie eine Chronik der Kölner Stadtratsbeschlüsse. Der letzte Eintrag war vor einer Woche.«
Aleydis nickte. »Es ging um die Vertreibung der Juden. Hier sind noch zwei weitere Bücher dieser Art. Sie reichen zurück bis ins Jahr 1396. Nicolai hat genauestens über die Vorgänge im Rat Buch geführt.«
»Über alle vermutlich nicht.« Er nahm ihr ein weiteres Buch aus der Hand und blätterte darin. »Aber alle, an denen er maßgeblichen Anteil hatte.« Mit einem vielsagenden Blick musterte er sie. »Das waren eine beachtliche Menge.«
Er konnte sehen, wie sie schluckte, als sie ein weiteres Buch in die Hand nahm. Es war etwas kleiner, dafür aber deutlich dicker. »Dies hier dürften seine heimlichen Kunden gewesen sein. Oder Schuldner. Wie auch immer Ihr sie nennen wollt.«
»Er hat auch über sie Buch geführt? Wie praktisch.«
»War es nicht das, wonach Ihr gesucht habt?«
»Doch, natürlich. Aber nur, weil wir danach suchten, musste das nicht zwangsläufig bedeuten, dass es auch existierte.« Sie zögerte sichtlich, ihm das Buch auszuhändigen, und er lächelte wieder, diesmal grimmig. »Ich fürchte, Ihr müsst Euer Misstrauen mir gegenüber für eine Weile hinunterschlucken, andernfalls wird es schwierig für mich, Euch zu helfen.«
»Ihr werdet dies nicht gegen mich oder meine Familie verwenden, Herr van Cleve.« Ihre blauen Augen waren auf die seinen gerichtet, so starr, dass er sich fragte, ob sie ihn wirklich wahrnahm oder nur den Anschein erwecken wollte.
»Ihr habt mein Wort, Frau Aleydis.«
»Das würde mich freuen, wenn ich wüsste, wie viel Euer Wort wert ist, wenn es um meinen Gemahl geht.«
Er zog die Augenbrauen zusammen. »Zweifelt Ihr meine Ehrenhaftigkeit an?« Er konnte erkennen, wie ihr Blick flackerte, sich kurz auf das Buch in ihren Händen richtete, dann wieder auf seine Augen. Noch immer unentschlossen, reichte sie es ihm.
»Eure Ehre ist es nicht, die ich infrage stelle, Herr van Cleve.« Auf ihren Wangen hatte sich eine leichte Röte gebildet, die im Schein der Öllampe gerade so zu erkennen war und ihr deutlich besser stand als die Blässe der vergangenen Tage. »Vielmehr sind es Eure Motive, die mir Kopfzerbrechen bereiten.«
Verblüfft hielt er inne, und Ärger stieg in ihm auf. »Glaubt Ihr etwa tatsächlich, ich wollte mir die Witwe meines Konkurrenten unter den Nagel reißen?«
»Ihr habt die Möglichkeit bisher nicht von der Hand gewiesen.«
»Für ein angeblich so harmloses Weib seid Ihr ausgesprochen hoffärtig und von Euch selbst eingenommen. Ich sehe schon, hinter Eurem püppchenhaften Aussehen versteckt sich eine ausgekochte Circe.«
»Eine was?« Irritiert runzelte sie die Stirn.
»Circe oder auch Kirke ist eine Zauberin aus der griechischen Mythologie. Sie galt als Verführerin schlechthin und lediglich Odysseus konnte ihr widerstehen, weil er ein Kraut einnahm, das ihn gegen ihren Zauber immun machte.«
Für einen Moment starrte Aleydis ihn sprachlos an, doch dann trat ein zorniger Ausdruck in ihre Augen. »Und Ihr vergleicht mich mit dieser Zauberin?«
»Sie war auch eine Göttin.«
»Und Euch selbst wohl mit diesem Odysseus?«
»Schwerlich. Die beiden hatten angeblich drei Söhne miteinander.«
»Dann hat dieses Kraut wohl nicht lange hergehalten.« Sie erhob sich und trat einen Schritt zur Seite.
Auch Vinzenz richtete sich wieder auf. »Einer der drei hat ihn später versehentlich mit einem Giftpfeil getötet.«
»Ihr beeindruckt mich nicht mit Eurem Wissen um alte griechische Sagen.«
»Das hatte ich auch nicht vor, Frau Aleydis. Ich habe sie lediglich als Vergleich herangezogen.«
»Um mich zu beleidigen?« Sie schnaubte. »Glaubt Ihr, ich wollte mir über Nicolais noch nicht ganz erkaltetem Leichnam einen neuen Gemahl verschaffen? Euch gar?«
»Für unbeteiligte Außenstehende hätten Eure Bemerkungen eben den Eindruck erwecken können.«
»Nun, dann kann ich ja froh sein, dass wir hier unter uns sind, Herr Gewaltrichter. Denn eines lasst Euch gesagt sein: Mir liegt nichts ferner, als Euch oder irgendjemanden sonst zu bezaubern, geschweige denn zu verführen. Fühlt Euch also sicher vor mir. Ich bin nicht auf eine neue Ehe aus.«
Er glaubte ihr, fragte sich jedoch zugleich besorgt, ob das zornige Funkeln in ihren Augen nur auf ihn eben jene bezaubernde Wirkung hatte, die sie so ganz und gar nicht beabsichtigte. In diesem Moment hätte er gerne etwas von dem immun machenden Kraut besessen.

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Köln, 1423. Aleydis de Bruinker ist noch nicht lange mit dem lombardischen Geldverleiher Nicolai Golatti verheiratet, als dieser unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt. Man findet ihn erhängt – hat er sich das Leben genommen? Aleydis will das nicht glauben. Und tatsächlich: Sie findet Male, die auf einen Mord hinweisen. Potentielle Täter gibt es genug, Nicolai hatte viele Feinde.
Die junge Witwe stellt Nachforschungen an, die nicht jeden erfreuen. Schon bald schwebt sie in großer Gefahr, und es scheint, als sei ihr einziger Verbündeter in den Mord verstrickt …

Cover Das Gold des Lombarden
Das Gold des Lombarden

Historischer Roman
Petra Schier

Rowohlt-Taschenbuch & eBook, 512 Seiten, ISBN 978-3-499-27088-8
9.99 Euro

Erscheint am 20. Oktober 2017

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