“Die ganze Geschichte trieft vor Schmalz und Liebesgesäusel. Die Frauen sind, zumindest die Hauptpersonen, einfältige Dummweibchen, die sich auch hauptsächlich über Sex und Sex und irgendwelches Liebesgesäusel unterhalten. Sehr viele andere Themen gibt es im ganzen Buch nicht. Egal ob bei den Erwachsenen oder den Jugendlichen Hauptdarstellern geht es hauptsächlich darum, wer mit wem …. oder knutscht o. ä. Dazu gibt es dann eine gute Portion unterschwellig mahnenden links-grünen Zeigefinger, ob es um die Wärmepumpen, vegane und veegetarische Ernährung oder den, ach so bösen Klimawandel geht, gegen den man ja was tun muß.” (Rezensentin auf Audible, Tippfehler und Schreibweisen original übernommen)

Liebe Leserinnen, liebe Leser, ihr wisst, dass ich schon mehrmals darüber geschrieben habe, warum man es nie allen Lesern recht machen kann, soll und darf, und warum man es nie allen Lesern recht machen kann, soll und darf – Die Zweite. Geschmäcker sind verschieden und dürfen es natürlich auch sehr gerne sein. Auch habe ich nichts dagegen, wenn man mir mitteilt oder in einer Rezension schreibt, dass dieses oder jenes Buch nicht gefallen hat und warum.

Was ich aber nicht begreife, ist der oftmals so scharfe Tonfall, der nicht einmal nur wenig wertschätzend daherkommt, sondern sogar richtig verletzend.

Warum so hasserfüllt? So harsch und mit Worten, die die wenigsten Menschen ihrem Gegenüber auch im persönlichen Gespräch an den Kopf werfen würden. Weshalb würden sie das nicht tun? Weil sie im persönlichen Gespräch wüssten, wie solche Angriffe wirken und dass sie einem Menschen wehtun können.

Ja, selbstredend gibt es auch den Typ Mensch, dem das auch im persönlichen Umgang schnurzpiepegal ist, doch dazu gehören die wenigsten. Im Internet aber kann man sich offenbar mehr herausnehmen, die (gefühlte) Anonymität macht offenbar mutig.

Ich habe mir in Rezensionen schon eine Menge Unfreundliches und Gemeinheiten anhören bzw. lesen dürfen, und normalerweise reagiere ich überhaupt nicht darauf, denn es kostet mich in der Regel nur wertvolle Lebenszeit, die ich lieber darauf verwende, mich mit schönen Dingen zu beschäftigen und mir neue Geschichten auszudenken.

Bei der obigen Rezension, die ich mir erlaubt habe, in Teilen zu zitieren, hat mich allerdings so einiges gewundert. Zunächst einmal der Vorwurf, es würde in dem Roman nur über Sex und Geknutsche gehen. Oder fast nur. Nun ja, Freundinnen reden halt ab und zu mal über solche Themen, und Teenager sogar noch öfter darüber, wer mit wem und so weiter. Oder hat sich das in den vergangenen 30 Jahren so sehr verändert? Ich weiß jedenfalls noch genau, worüber ich mit 14/15 Jahren mit den Mädels aus meiner Clique geklönt und gekichert habe.

Allerdings geht es in meinem Roman um so viel mehr, das der Rezensentin (oder ist es ein Rezensent?) offenbar entgangen ist, weil sie (oder er) sich über die wenigen Stellen, an denen es tatsächlich um Liebe oder Sex geht, so sehr echauffiert hat. Es geht in meinem Buch um Burnout und seine Auswirkungen und Möglichkeiten, diese zu überwinden. Es geht um Trauerbewältigung, um Verlust und das Zusammenwachsen von Menschen, die einander anfangs kaum kannten, zu einer richtigen Familie, um nur ein paar der Themen zu nennen.

Darüber hinaus habe ich tatsächlich, das gebe ich zu, das Thema Arten- und Umweltschutz sowie Klimawandel an einigen Stellen mit eingeflochten, hatte aber nicht die Absicht, einen mahnenden links-grünen Zeigefinger zu erheben, sondern nur einen Ist-Zustand abzubilden. Und nicht einmal das war von mir vorab geplant, sondern hat sich einfach beim Schreiben so ergeben. Ich weiß jetzt auch nicht, was so anstößig daran ist, zu erwähnen, dass in einem frisch renovierten Haus eine Erdwärmepumpe eingebaut wurde. Oder lässt man das lieber weg, damit sich niemand, der Wärmepumpen nicht mag, auf den Schlips getreten fühlt? Hier die entsprechende Textstelle:

Jakob ging ein paar Schritte in den großzügigen Eingangsbereich, von dem aus eine helle Steintreppe ins obere Geschoss führte, blieb stehen, sah sich mit großen Augen um, dann rannte er weiter in die offene Küche rechter Hand, die in einen mehr als großzügigen Wohnbereich überging. Dort blieb er erneut stehen. »Boah« war das Einzige, was er sagte.
Maik war geneigt, ihm zuzustimmen. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass die Realität die Fotos, die er gesehen hatte, übertreffen würde. Seine Wohnung in Berlin war mit einhundertdrei Quadratmetern alles andere als klein gewesen, aber das hier war etwas ganz anderes. Die großen Fenster zur Gartenseite hin und der offene Wintergarten ließen trotz des eher tristen Wetters viel Licht herein, die cremefarbenen Ledersitzmöbel sowie die Schränke und Regale aus heller Eiche ließen den Raum freundlich und einladend wirken. Sein riesiger Flachbildfernseher stand noch verpackt an der Wand, die für ihn vorgesehen war, daneben stapelten sich die Umzugskartons.
Die Küche war eine Mischung aus antik wirkenden weißen und hellgrauen Oberflächen im Landhausstil und allem erdenklichen modernen Komfort samt passendem Küchentisch mit Eckbank. Maik hatte die Einrichtung von der Vorbesitzerin übernommen, die die Küche, ebenso wie den Wintergarten, erst kürzlich im Zuge der Renovierungsarbeiten an dem rund hundertfünfzig Jahre alten Gebäude hatte einbauen lassen. Es war nicht ganz Maiks Geschmack, passte aber perfekt zum Charme des alten Hauses. Alles harmonierte hervorragend mit dem dunklen Gebälk, das sich von den weiß gestrichenen Wänden abhob. Die hellgrauen Steinfliesen wirkten gleichermaßen alt wie edel, waren aber, wie man ihm beim Kauf erklärt hatte, ebenfalls erst bei der Renovierung verlegt worden und hatten einen alten Dielenboden ersetzt. Nun befand sich eine moderne Fußbodenheizung darunter, die von einer Erdwärmepumpe gespeist wurde.
Ein Gefühl der Zufriedenheit stieg in Maik auf. Er hatte sich mit dem Kauf dieses Hauses und der Einrichtung aus der Ferne auf ein riskantes und sehr spontanes Abenteuer eingelassen. Ursprünglich hatte ihm irgendetwas Kleines, Unauffälliges vorgeschwebt, das sich im Zweifelsfall schnell wieder abstoßen ließ, falls ihm Lichterhaven nicht zusagte. Doch dies hier war nicht klein, nicht unauffällig oder nur eine mögliche Zwischenstation auf einem unvorhersehbaren Weg. Dies war ein Zuhause. Ein Ort, um Wurzeln zu schlagen. Nichts, was man mal eben rasch wieder loswerden konnte – oder wollte.
»Das Wohnzimmer ist doppelt so groß wie unsere Wohnung in Berlin!« Nun hatte Jakob seine Stimme doch wiedergefunden. »Ich war noch nie in einem so großen Haus. Also außer in der Schule, die ist noch viel größer, aber da wohnt ja niemand.« Der Junge drehte sich zu Maik um. »Hier wohnen wir jetzt? Nur ich und Michelle und du und Finchen?«

War das zu viel? Zu “mahnend”? Ich möchte mich gar nicht rechtfertigen, sondern nur verstehen, warum man sich darüber so aufregt, dass man es als Negativpunkt in einer Rezension anführt.

Oder nehmen wir die Sache mit den Vegetariern und Veganern. Diese werden an exakt zwei Stellen in Nebensätzen erwähnt:

Textstelle 1:

Sehnsüchtig blickte Hannah auf den Stapel Kochbücher, der auf der Anrichte ihrer kleinen Küche lag, und dann auf die Uhr. Es war bereits später Vormittag, und ärgerlicherweise hatte sie sich von Caroline und Ella dazu überreden lassen, beim heutigen Aktionstag der Feuerwehr mitzumachen. Ein neuer Schauwagen für die Jugendfeuerwehr sollte gebaut werden, so viel sie wusste. Natürlich war das sehr wichtig, denn die Freiwillige Feuerwehr Lichterhaven präsentierte sich immer mit Begeisterung und großartigen Ideen auf dem Lichterhavener Stadtfest, das traditionell Mitte Juli stattfand. Sie hatte auch überhaupt nichts dagegen, bei den Bauarbeiten mit Hand anzulegen. Auch dass sie stets, wie auch Caroline, für die Versorgung mit Speisen und Getränken mit verantwortlich war, störte sie nicht im Geringsten. Immerhin war sie Köchin aus Leidenschaft. Was sie jedoch gerade einigermaßen fuchste, war die Tatsache, dass heute Samstag war. Die Samstage waren normalerweise für ihre Versuchsküche reserviert. Sie liebte es, neue Rezepte auszuprobieren, sie mit eigenen Ideen zu verfeinern und zu vervollkommnen. Warum nur, warum hatte sie nicht nachgedacht? Die Foodsisters hatten immer so viel zu tun, nicht nur mit ihrem Catering, sondern derzeit auch mit dem Um- und Ausbau des Eventhauses, dass ihr für ausufernde Kochsessions immer seltener Zeit blieb. Doch nun hatte sie leichtsinnigerweise bereits zugesagt, und es kam nicht infrage, dass sie ihr Wort brach. Deshalb würde sie, anstatt sich mit neuen Ideen für lukullische Genüsse zu beschäftigen, wohl oder übel zwei große Schüsseln mit ihrem legendären Kartoffel- und Nudelsalat zubereiten und außerdem noch einen vegetarischen Mais-Bohnen-Salat sowie ein paar vegetarische und vegane Dips, die sowohl zu dem Brot und den Brötchen passen würden, die Caroline vorbereitete, als auch zu allem, was am späteren Nachmittag auf dem Feuerwehr-Grill landete.

Textstelle 2:

»Komm mit!« Wieder einmal zog Celeste sie einfach hinter sich her zu den nebeneinander aufgebauten Grills, an denen sich so einige ziemlich beeindruckende, ja, wie Michelle insgeheim zugeben musste, ausgesprochen gutaussehende Männer als Grillmeister betätigten. »Wir müssen unbedingt was von dem Grill da vorne haben. Dem von Alex Messner.« Fast schon rücksichtslos drängte sich Celeste durch die Reihen der Wartenden und jubelte triumphierend, weil an dem von ihr bevorzugten Grill gerade eine ganze Reihe von Würstchen und Steaks fertig geworden waren. »Alex ist nämlich der totale Grill-Guru«, erklärte sie. »Das steht sogar auf seiner Schürze. Na ja, nicht ganz«, schränkte sie lachend ein. »Aber ein Steak von Alex ist Kult. Das musst du unbedingt probieren. Oder bist du Vegetarierin?« Sie warf einen Blick auf Michelles Teller. »Nee, anscheinend nicht. In unserer Klasse sind ein paar Vegetarier und Veganer. Irgendwie schade, dass du erst nach den Ferien zu uns kommst. Dann dauert es ja noch total lange, bis du alle kennenlernst. Denn in den Sommerferien fahren ja manche weg oder haben Jobs oder so.«

Hannah, das muss man dazu sagen, falls ihr es noch nicht wisst, ist von Beruf Köchin. Sie arbeitet mit ihren beiden besten Freundinnen Ella und Caroline gerade daran, ein großes Eventhaus zu eröffnen. Bisher haben die drei sich mit ihrem erfolgreichen Catering-Unternehmen Die Foodsisters einen Namen gemacht. Ist es da wirklich erstaunlich, dass sie automatisch bei den Vorbereitungen für ein Grillfest auch etwas Vegetarisches und Veganes mit berücksichtigt? Ich fand es eigentlich von ihr nur ganz natürlich und aufmerksam, nicht mehr und nicht weniger.

Oder wie seht ihr das? Muss oder sollte man so etwas verschweigen, weil sich jemand darüber aufregen könnte, die oder der nicht Vegetarier oder Veganer ist? Ich selbst esse übrigens auch Fleisch, ebenso wie fast alle meiner bisherigen (Haupt-)Figuren. Doch wo hört das “Verschweigen” solcher Details denn auf? Darf ich dann auch lieber keine Menschen mit körperlichen Einschränkungen erwähnen? Keine Menschen mit Migrationshintergrund? Keine Schwule und Lesben, keine Transfrauen und -männer (ja, gibt es in der einen oder anderen meiner Bücher auch), keine … was auch immer?

Noch mal: Man kann meine Bücher mögen oder auch nicht. Man darf mir das auch in beiden Fällen sagen oder schreiben. Aber warum so unfreundlich? Warum so hasserfüllt? Denn so kommt es bei mir an, wenn ich Kritiken wie die eingangs dieses Beitrags zitierte lese.

Umwelt- und Artenschutz als Ausschlusskriterium?

Ich habe noch ein paar Textstellen für euch, und ja, dieser Beitrag wird deshalb etwas länger. Aber mir liegt das gerade auf der Seele, deshalb schreibe ich es mir nun einfach von derselben. Hier kommt die erste, offenbar bekrittelnswerte Szene zum Thema Artenschutz:

»Onkel Maik, Hannah, kommt mal schnell her! Guckt mal, was ich gefunden habe. Seesterne!«
»Ach herrje.« Ohne weiter auf Maik zu achten, rannte Hannah los. »Nicht anfassen, Jakob! Seesterne sterben, wenn man sie aus dem Wasser nimmt.«
Auch Maik beschleunigte seinen Schritt, musste jedoch aufpassen, dass er nicht auf dem glitschigen Watt ausrutschte. Ganz eindeutig hatte Hannah in dieser Hinsicht weit mehr Übung als sie alle zusammen.
»Nee, klar, ich fasse die nicht an.« Jakob hatte sich hingehockt und planschte mit den Fingern in dem seichten Wasser. »Das hat der Mann gestern auf der Wattwanderung auch gesagt. Seesterne darf man nicht anfassen. Dann kommen nämlich Luftbläschen in sie rein, und davon können sie gelähmt werden und sterben. Aber ich hab noch nie welche in echt gesehen. Gestern haben wir nämlich keine entdeckt, sondern nur welche auf Fotos angeschaut. Aber die hier sehen voll schön aus. Onkel Maik, kannst du Fotos von denen machen? Du hast doch dein Handy dabei.«
»Klar, kein Problem.« Maik zog sein Smartphone aus der Gesäßtasche, rief die Kamera-App auf und schoss ein paar Fotos von den Seesternen, die sich fröhlich in dem Gezeitentümpel tummelten. Der Anblick war spannend und hochinteressant. Neugierig trat er näher an den Rand des Tümpels und wäre beinahe ausgerutscht.
»Pass auf, Onkel Maik! Hier ist es total glitschig.« Wie zum Beweis rutschte Jakob, als er sich aufrichten wollte, zur Seite und fiel auf die Knie. »Oh! Igitt!« Der Junge kicherte begeistert. »Jetzt bin ich voller Matsch.«
»Als hätte ich es geahnt.« Schmunzelnd versuchte Maik, am Rand des Tümpels besseren Halt zu finden, um weitere Fotos zu schießen.
»Wenn du dich hinkniest, geht es ganz sicher besser«, schlug Hannah grinsend vor.
»Danke für den Hinweis, Frau Klugscheißerin.« Vielsagend blickte er zu ihr auf.
»Du hast Klugscheißerin gesagt!«, rief Jakob sichtlich begeistert. »Das ist ein Wort, das wir nie sagen dürfen. Hat Mama gesagt. Weil es nicht nett ist, und eine Beleidigung ist es auch.«
»Stimmt auffallend«, bestätigte Hannah und er sah ihr an, dass sie schon wieder das Lachen unterdrückte.
»Entschuldige.« Weil es tatsächlich keinen anderen Weg zu geben schien, an richtig gute Fotos zu kommen, kniete er sich vorsichtig in den Schlick. Die Nässe durchdrang sofort seine Jeans, die Kälte ließ ihn überrascht schaudern. Seine Füße hatten sich inzwischen an das kalte Watt gewöhnt, sein restlicher Körper offensichtlich noch längst nicht.
»Schon gut.« Hannah bedachte ihn mit einem gnädigen Augenaufschlag. »Ich schätze, deine kalten Knie und die schmutzige Hose sind Strafe genug.«

Auch diese Szene hat sich erst beim Schreiben entwickelt, ebenso wie Hannahs Hinweis darauf, dass man Seesterne nicht anfassen soll. Wer das nicht wusste und vielleicht auch nicht glauben mag, kann es auch gerne bei der Stiftung Meeresschutz nachlesen.

Hätte ich diese Szene besser weglassen sollen, weil es darin um Artenschutz geht? Habe ich den mahnenden Zeigefinger gehoben? Ja, in diesem Fall wahrscheinlich schon. Ob er linksgrün angemalt ist, weiß ich nicht, aber warum sollte man denn so etwas verschweigen? Es ist doch nur wahr? Oder nehme ich jemandem jetzt die Lust an der Nordsee und dem Sammeln von Seesternen?

Sagen wir mal so: Man darf sie immer noch gerne sammlen, wenn sie bereits tot sind und man gar nichts dafür kann. Ich gebe ja zu, sie sehen wunderschön aus. Nur selbst aus dem Wasser nehmen sollte man sie eben nicht, wenn sie noch leben.

Okay, vielleicht habe ich es ja auch ein bisschen übertrieben, weil ich das Thema Seestern später noch einmal aufgegriffen habe. Wer aber den folgenden Textausschnitt liest, wird vielleicht erkennen, dass es darin um ein gänzlich anderes Thema geht, nämlich Trauerbewältigung, für das der Seestern nur der Auslöser war:

»Wo hast du denn Jakob gelassen?« Suchend blickte Maik sich um.

Michelle, die immer noch mit Finchen und der Leine kämpfte, sah sich ebenfalls um. »Eben war er noch hinter mir.«

Noch während sie sprach, bog der Junge um die Hausecke. Er hielt etwas in der Hand, und es sah aus, als würde er weinen. Rasch ging Maik auf ihn zu. »Jakob? Was ist denn los? Was hast du da?«

Mit unglücklicher Miene hielt der Junge ihm den Gegenstand entgegen. »Das ist ein Seestern. Ich habe ihn da hinten an der Straße im Gras gefunden. Den hat jemand da hingeworfen, und jetzt ist er tot.« Seine Stimme schwankte.

»Oh, also …« Vorsichtig wollte Maik dem Jungen den Seestern aus der Hand nehmen, doch dieser zog die Hand hastig wieder zurück.

»Das ist so gemein! Warum hat den jemand weggeworfen und totgemacht? Man darf Seesterne doch nicht aus dem Wasser holen. Davon sterben sie.« Nun rannen Jakob tatsächlich die Tränen über die Wangen.

»Hör mal, Jakob …« Sichtlich verunsichert ging Maik vor seinem Neffen in die Hocke. »Das ist natürlich nicht schön, aber …«

»Nein, das ist total gemein!«, begehrte der Junge auf. »Ich will nicht, dass der Seestern tot ist. Den hat einer einfach mitgenommen und dann weggeworfen.«

Eilig befreite Hannah sich aus dem Leinengewirr, ging zu Jakob hinüber und vor ihm in die Hocke. Sanft ergriff sie seine Hand, in der er den Seestern hielt, und betrachtete das tote Lebewesen. »Das war wirklich gemein, da hast du recht. Manche Menschen sind wirklich gedankenlos. Wie schön, dass du es besser weißt.« Ganz sachte drückte sie die Hand des Jungen. Dabei bemühte sie sich, nicht in Maiks Richtung zu schauen, denn nun, da sie sich direkt neben ihm befand, wurde ihr seltsam warm.

»Was machen wir denn jetzt mit dem armen Seestern?« Fahrig wischte der Junge sich mit dem Handrücken über die Augen. »Kann man ihn nicht wieder zurück ins Wasser tun? Lebt er dann wieder?«

»Ich fürchte, das wird nicht funktionieren«, antwortete Maik. »Dieser Seestern sieht aus, als hätte er schon eine ganze Weile auf dem Trockenen gelegen. Wahrscheinlich schon seit ein paar Tagen, und die Sonne hat ihn ganz ausgetrocknet.«

»Scheiße!« Das Wort entfuhr Jakob wie ein Schrei. Unvermittelt stützte er sich auf Maik und so heftig in dessen Arme, dass dieser beinahe hintenübergekippt wäre. Laut schluchzend presste der Junge sich an ihn, verbarg sein Gesicht an Maiks Brust. »Das ist so gemein und fies und schlimm. Der arme Seestern. Ich will nicht, dass Leute einfach so Seesterne totmachen.«

Einigermaßen hilflos ging Maik in die Knie und hielt den heftig schluchzenden Jungen im Arm. Im ersten Impuls wollte Hannah ihm Jakob abnehmen, entschied sich dann jedoch dagegen und streichelte stattdessen nur sanft über den Kopf des Jungen. Dann zog sie sich zurück. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihr, dass die anderen die Szene mit betroffenen Mienen beobachtet hatten, nun jedoch so taten, als wären sie mit etwas anderem beschäftigt.

»Schon gut«, hörte Hannah Maik mit rauer Stimme murmeln. »Ist ja schon gut, Jakob, alles wird wieder gut.« Eine merkwürdige Gänsehaut breitete sich über ihren Rücken und dann über ihren gesamten Körper aus. Etwas an Maiks Stimme ließ ihre Nervenenden vibrieren, und das, obwohl er sie gerade überhaupt nicht beachtete, sondern voll und ganz auf seinem Neffen konzentriert war. »Nicht …« Er stockte, und sie dachte schon, er wollte nicht weinen sagen, und war kurz davor, ihn dafür zurechtzuweisen, doch im letzten Augenblick hielt sie sich zurück, als er weitersprach: »Nicht so sehr drücken, Jakob, sonst machst du den Seestern noch kaputt. Sollen wir ihn nicht lieber ganz lassen und überlegen, was wir damit machen?«

Das Schluchzen und Schniefen hörte abrupt auf, Jakob hob den Kopf und blickte Maik überrascht an. »Was sollen wir denn damit machen? Er lebt doch nicht mehr. Und wenn etwas tot ist, ist es weg und man kann nie wieder etwas damit machen. So wie Mama.« Geräuschvoll zog der Junge die Nase hoch. Automatisch griff Hannah in ihre Hosentasche und zog ein zwar zerknittertes, jedoch sauberes Taschentuch hervor und reichte es ihm.

Jakob nahm es zwar an, benutzte es jedoch nicht, sondern blickte nur todtraurig auf den Seestern in seiner Hand.

Maik fasste sich an die Stirn und fuhr sich schließlich durch sein kurzes dunkles Haar. Zögernd berührte er seinen Neffen erneut am Arm und zog ihn vorsichtig wieder an sich. »Mag sein, dass der Seestern tot ist«, sagte er erneut mit dieser eigentümlich rauen Stimme, die sich verheerend auf Hannahs Nervenkostüm auswirkte. »Aber bestimmt fällt uns doch noch etwas ein, was wir für ihn tun können.« Zu Hannahs Überraschung hob er den Kopf und sah sie fragend an.

Sie ging noch einmal vor Jakob die Hocke. »Ich habe eine Idee. Möchtest du sie hören?«

Jakob hielt inne, drehte sich in Maiks Armen zu ihr um und sah sie aus geröteten Augen neugierig an. »Was für eine Idee?«

Kurz warf Hannah einen Blick über die Schulter zu ihren beiden Freundinnen, die natürlich erneut gelauscht hatten, wenn auch etwas weniger auffällig als zuvor. Als sie sich Jakob wieder zuwandte, lächelte sie warm. »Hast du gesehen, dass wir auf der Seite zum Hafen hin ein Café aufmachen wollen? Vor dem Eingang gibt es eine Trockenmauer, in die wir verschiedene Steingartengewächse und Blumen pflanzen wollen. Dann wollen wir auch noch ein paar Kübel und Fässer aufstellen und darin ebenfalls bunte Blumen pflanzen. Was hältst du davon, wenn wir den Seestern in einem von diesen Kübeln feierlich begraben und ihm eine kleine Grabplatte basteln, auf die wir einen schönen Spruch schreiben, der zugleich auch eine Mahnung an die Menschen ist? So etwas wie Hier ruht der kleine Seestern. Er musste sterben, weil ein Mensch ihn gedankenlos aus dem Wasser genommen hat. Wir trauen alle sehr um ihn.« Auf Maiks leises Hüsteln hin lächelte sie schief. »Na ja, so etwas Ähnliches zumindest. An der Inschrift können wir ja noch feilen. Aber wenn wir dieses kleine Grab strategisch günstig platzieren, sodass viele Menschen daran vorbeikommen und es sehen, dann tragen wir dazu bei, dass die Menschen nicht einfach einen Seestern, ohne nachzudenken, aus dem Wasser nehmen.« Während sie sprach, blickte sie noch einmal ganz kurz über die Schulter zu ihren Freundinnen und war erleichtert, als sie in deren lächelnden Gesichtern Zustimmung las. »Was meinst du, Jakob? Ich könnte gleich morgen mal jemanden fragen, der solche Inschriften auf Grabplatten graviert. Und Ella ist ganz wunderbar darin, Blumenschmuck anzufertigen. Sie könnte einen kleinen Kranz oder so etwas basteln mit einer Schleife. Nicht wahr, Ella? Das kannst du doch?«

Ella räusperte sich vernehmlich. »Ja, klar, das ist gar kein Problem. Sag mir nur, wann der Blumenschmuck fertig sein soll.« An ihrer Stimme erkannte Hannah, dass ihre Freundin äußerst gerührt war.

»Siehst du«, wandte Hannah sich wieder an Jakob. »Caroline und ich backen und kochen etwas Schönes, damit wir nach der Beerdigung noch eine kleine Gedenkfeier abhalten können.« Neben ihr gab Maik einen undefinierbaren Laut von sich, doch als sie ihn mit gerunzelter Stirn ansah, lächelte er nur und nickte zustimmend.

»Das ist zwar eine ungewöhnliche Idee«, sagte er, »aber warum nicht? Wir sind dabei, nicht wahr, Michelle?« Diesmal wanderte sein Blick zu seiner Nichte, die daraufhin hastig nickte.

Sagt mal, was ist denn hier eigentlich los? Eben war es noch so lustig hier, aber jetzt sind auf einmal alles so seltsam und Jakob hat sogar geweint. Warum ist er denn so traurig? Das gefällt mir gar nicht. Finchen, die von Michelle inzwischen an die kurze Leine genommen worden war, tappte neugierig auf Jakob zu, schnüffelte an ihm und stieß ihn mehrmals sanft mit der Nase an. Hey, du, kleiner Freund. Was ist los mit dir? Ich finde es schrecklich, wenn du traurig bist. Kann ich dich irgendwie aufheitern?

Jakob sah so aus, als wisse er nicht, ob er noch einmal in Tränen ausbrechen sollte. Doch Finchens wiederholte Versuche, ihn mit der Nase im Gesicht zu treffen und ihn abzuschlecken, brachten ihn schließlich doch zum Kichern. »Nicht, Finchen! Das kitzelt.«

Genau das war der Plan. Er scheint zu funktionieren. Komm schon, lach noch mal! Finchen hüpfte auf und ab und versuchte erneut, an Jakobs Gesicht heran zu gelangen. Dabei stieß sie mehrmals heftig gegen Maik, der daraufhin das Gleichgewicht verlor und auf seinem Hinterteil landete.

Hannah versuchte, nicht zu lachen, musste dann aber doch prusten. Prompt erntete sie dafür von Maik einen bezeichnenden Blick. Wortlos reichte sie ihm die Hand und half ihm aufzustehen. Die Berührung verursachte ein merkwürdig prickelndes, knisterndes Gefühl, sodass sie ihn sicherheitshalber rasch wieder losließ und sich erneut Jakob zuwandte. »Na, was meinst du? Wann sollen wir das machen? Vielleicht am nächsten Wochenende? Bis dahin könntest du den Seestern in eine hübsche Schachtel legen. Ich glaube, ich habe sogar irgendwo eine in der passenden Größe gesehen. Ella, hattest du nicht irgendwo drinnen solche kleinen weißen Schachteln?«

»Die mit den roten Schleifen meinst du?« Ella kam näher. »Du hast recht, die kleinsten davon würden perfekt für den Seestern passen. Die Schleifen kann man ja abmachen. Ich gehe gleich mal eine holen.« Schon wandte sie sich um und verschwand durch den Hintereingang.

Hannah blickte immer noch abwartend auf Jakob, der nachdenklich den Seestern in seiner Hand betrachtete. Schließlich nickte er. »Und wo soll der Seestern so lange bleiben, bis wir ihn begraben?«

»Das ist deine Entscheidung«, antwortete Maik an Hannahs Stelle. »Wenn du willst, kannst du ihn so lange in deinem Zimmer aufbewahren. Zum Beispiel auf der Fensterbank.«

Wieder dachte der Junge nach, wieder nickte er. »Gut. Und wann nächstes Wochenende?«

»Am Sonntagnachmittag?«, schlug Caroline vor. »Am Freitagabend beginnt zwar auch unser Stadtfest, aber wenn wir die Feier am Sonntagnachmittag abhalten, kollidieren wir nicht mit dem Festumzug oder irgendeinem anderen offiziellen Termin.«

Nach und nach stimmten alle diesem Vorschlag zu. In diesem Moment kam auch schon Ella wieder aus dem Haus und stellte eine kleine, quadratische flache Schachtel aus weißer Pappe auf den Klapptisch. Sie hob den Deckel ab und winkte Jakob zu sich. »Schau mal, möchtest du den Seestern hier hineinlegen? Da ist er gut geschützt.«

Zögernd trat Jakob an den Tisch heran, beäugte die Schachtel, berührte sie kurz am Rand. Schließlich bettete er sehr vorsichtig den Seestern hinein und schloss den Deckel.

Wattenmeer, Klimawandel, Unwetter und Mikroben

Ich finde es hochinteressant, dass mich so viele Rückmeldungen und Rezensionen erreicht haben, in denen ich dafür gelobt wurde, dass ich (anscheinend doch ganz ohne erhobenen Zeigefinger) an manchen Stellen die Themen Arten- und Umweltschutz sowie moderne Landwirtschaft eingebracht habe. Das hat sich natürlich auch aus der Figurenkonstellation ergeben, denn eine meiner Hauptfiguren, Tim Dennersen, ist der Sohn eines Landwirts, der vorhat, den elterlichen Hof später einmal zu übernehmen. Dass er natürlich auch auf eben jenem Hof mithilft, halte ich für nur natürlich und auch, dass ich das erwähne. Übrigens ergeben sich daraus die in der o.g. Rezension so schmerzlich vermissten anderen Themen abseits von Liebe und Knutscherei. Aber ach, damit bin ich natürlich voll ins Fettnäpfchen getreten, denn ausgerechnet sind diese Themen, ja, was? Umweltschutz und die Rettung des Planeten. Entschuldigt, wenn ich das falsch eingeschätzt habe, aber sind das nicht gerade die Themen, die viele unserer Jugendlichen momentan heftig beschäftigen? Oder stört es nur gerade diese eine erwachsene Person, die sich, aus welchen Gründen auch immer, genau gegen diese Themen sträubt? Lest selbst:

Die abgemähte Wiese war ziemlich groß. Tim fuhr mit dem riesigen Güllefass immer in Streifen hin und her und befand sich im Augenblick ganz am anderen Ende, sodass sie ihn, während sie so dahinschlenderte, einigermaßen unauffällig beobachten konnte. Viel erkennen konnte sie natürlich nicht, denn er saß ja auf dem Traktor, und die tief stehende Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe.
Selbstverständlich war sie nicht wegen Tim hier, sondern nur aus reiner Neugier, was die Gülle betraf. Das riesige Gefährt, das er scheinbar so mühelos über das Feld steuerte, verlangte ihr einiges an Respekt ab. Natürlich hatte sie schon Traktoren im Fernsehen gesehen, doch erst jetzt wurde ihr bewusst, wie riesig diese Fahrzeuge waren. Dort oben im Führerhaus musste man sich geradezu vorkommen wie ein Riese, der auf eine Zwergenwelt hinabblickte. Ein seltsamer Gedanke.
Je näher der Traktor kam, desto nervöser wurde sie. Natürlich ließ sie sich das nicht anmerken. Sie blickte nicht einmal hinüber, als der Traktor schließlich nicht weit von ihr in einer überraschend engen Kurve wendete und wieder in die andere Richtung fuhr.
Michelle blieb stehen. Sie drehte sich um, ging ein paar Schritte zurück, runzelte die Stirn, ging wieder weiter. Diesmal jedoch deutlich langsamer. Etwas war seltsam. Nachdem sie etwa zwanzig Meter gegangen war, blieb sie ganz stehen. Neugierig beobachtete sie, wie der Traktor auf der gegenüberliegenden Wiesenseite erneut die Richtung wechselte und wieder auf sie zukam. Hinter dem Güllefass gab es links und rechts je ein Gestell, an dem Schläuche bis auf den Boden hingen. Durch sie wurde offenbar die Gülle auf das Feld aufgebracht. Sie konnte die dunklen Spuren im Gras genau erkennen. Aber etwas stimmte trotzdem nicht.
Kurz bevor der Traktor sie erreicht hatte, machte sie rasch ein paar große Schritte zur Seite, um nicht versehentlich von der braunen Brühe getroffen zu werden. Zu ihrem Schrecken hielt der Traktor plötzlich an. Ihr Herz macht einen wilden Satz und pochte danach heftig und viel zu schnell weiter. Mist. Warum war sie bloß hierhergekommen? Natürlich konnte sie jetzt nicht einfach abhauen. Das wäre feige gewesen und außerdem ziemlich kindisch. Sicherheitshalber versenkte sie die Hände in den Taschen ihrer Jeans, als sich die Fahrertür des Traktors öffnete und Tim Dennersen ausstieg.
Für einen langen Moment blieb er einfach neben dem Traktor stehen und blickte zu ihr herüber. Als sie schon dachte, er wolle sie nur ärgern, indem er sie schweigend anstarrte, stemmte er lässig die Hände in die Seiten und ging auf sie zu.
Mist, Mist, Mist! War er schon immer so groß und breitschultrig gewesen? Er trug ein dunkelrotes T-Shirt zu schwarzen, ausgefransten Jeans und eine ebenfalls dunkelrote Baseballkappe. Seine schweren Arbeitsschuhe waren von einem undefinierbaren Braunton und hatten eindeutig schon bessere Zeiten gesehen. Ein Dorftrampel wie er im Buche stand, dachte Michelle. Nichts weiter. Warum also drehte ihr Herzschlag gerade regelrecht durch?
»Kleiner Spaziergang?« Eigentlich war seine Stimme angenehm dunkel, doch sie hatte ständig das Gefühl, einen spöttischen Unterton herauszuhören. Prompt stellte sie die Stacheln auf.
»Was dagegen?«
»Warum sollte ich?« Ungefähr zwei Schritte vor ihr blieb er stehen. »Ist vielleicht nicht gerade der beste Weg, solange ich hier fahre.«
»Warum stinkt die Gülle nicht?«, platzte Michelle heraus, bevor sie sich bremsen konnte.
Tim warf einen kurzen Blick auf das Güllefass, dann wandte er sich ihr wieder zu – und lächelte! Er grinste nicht genervt oder gehässig, nein, er lächelte! Michelles Herz machte erneut einen heftigen Satz. »Wir behandeln die Gülle regelmäßig mit einer speziellen Mikroorganismen-Mischung und Pflanzenkohle. Dadurch wird sie fermentiert und die Inhaltsstoffe werden viel besser vom Boden aufgenommen. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass die Gülle danach nicht mehr so sehr stinkt. Gar nicht, würde ich jetzt nicht sagen.« Er ging ein paar Schritte in die Richtung des Feldabschnitts, den er bereits mit der Gülle behandelt hatte. »Im Augenblick steht der Wind günstig, sodass du es nicht sofort bemerkst.«
Zögernd folgte sie ihm. Als sie nur etwa einen halben Meter neben ihm stehen blieb, roch sie es nun auch. Ein durchaus intensiver, jedoch nicht so unangenehmer Geruch stieg aus der Wiese auf.
»Es ist auf jeden Fall angenehmer als unbehandelte Gülle«, befand Tim. »Wir arbeiten schon lange damit, und auch die anderen Bauern in Lichterhaven haben das inzwischen übernommen. Seitdem gibt es kaum noch Beschwerden wegen des Gestanks. Früher haben viele Anwohner und Touristen gemeckert, wenn die Gülle ausgebracht wurde. Dabei achten wir schon immer darauf, dass wir das möglichst nur dann tun, wenn es bald Regen gibt, so wie heute. Durch die Feuchtigkeit zieht nämlich die Gülle schneller in den Boden ein und sämtliche Gerüche werden gedämpft oder verfliegen ganz. Wenn es hingegen trocken ist und bleibt, nachdem man die Gülle ausgebracht hat, kann es sein, dass sie tagelang stinkt. Oder vielmehr gestunken hat.« Er lachte. »Unsere Gülle stinkt ja nicht. Zumindest nicht so sehr, dass man es nicht aushalten könnte. Oder?«
Michelle nickte. »Was sind das für Mikroorganismen? Von so etwas habe ich noch nie gehört. Also, ich weiß natürlich, was Mikroorganismen sind. Aber wie kriegt ihr hin, dass davon die Gülle nicht mehr stinkt?«
Offensichtlich angenehm überrascht maß Tim sie mit eingehenden Blicken. »Wenn dich das ehrlich interessiert, kann ich dir mal ein oder zwei Bücher darüber ausleihen. Darin geht es übrigens nicht nur um die Behandlung von Gülle, sondern auch um ganz viele andere Anwendungsgebiete. Zum Beispiel im Haushalt und im Garten. Meine Eltern benutzen diese Mikrobenmischung einfach überall. Würden das mehr Menschen tun, wären wir im Hinblick auf den Umweltschutz bestimmt schon ein riesiges Stück weiter.«
»Interessierst du dich für Umweltschutz?« Michelle hatte ihre Nervosität vergessen.
»Klar, wer nicht? Also …« Er grinste schief. »Bei dir hätte ich das jetzt nicht gedacht.«
»Warum nicht?« Michelle runzelte die Stirn. »Nur weil ich aus der Großstadt komme, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht weiß, dass unser Planet vor die Hunde geht. Natürlich muss man dagegen etwas tun. Unsere Schule hatte so ein Projekt zur Müllvermeidung, und Mama hat auch ganz oft im Unverpackt-Laden eingekauft.« Bei der Erinnerung an ihrer Mutter zog sich unerwartet ihr Herz zusammen. Sie schluckte. »Blöderweise waren die Sachen dort auch ohne Verpackung nicht billiger. Oft konnten wir uns das nicht leisten.« Sie richtete ihren Blick auf den Boden vor ihren Füßen und versuchte, die Erinnerung an ihre Mutter zu verdrängen. Natürlich gelang ihr das nicht.
»Hey, alles okay mit dir?« Tim stieß sie sachte mit dem Ellenbogen an. »Ich wollte nicht …«
»Schon gut. Es ist nichts.« Noch einmal schluckte sie. »Nur manchmal, wenn ich an Mama denke …« Sie zuckte mit den Achseln. »Ist schon wieder gut.«
»Bist du sicher?« Als sie den Kopf hob, begegnete sie seinem besorgten Blick, und der tat ihr erst recht nicht gut. Nun legte er ihr auch noch eine Hand auf den Arm. »Tut mir leid, ich habe nicht daran gedacht, dass deine Mutter gestorben ist.« Sichtlich hilflos brach er ab.
Hastig entzog sie sich ihm wieder. Ihr Herz hämmerte wie wild. »Ich sag doch, es ist schon gut.« Sicherheitshalber atmete sie einmal tief durch, bevor sie weitersprach. »Warum glaubst du, dass es heute regnen wird?«, wechselte sie das Thema. Prüfend warf sie einen Blick zum Himmel hinauf. »Es ist nicht einmal ein Fitzelchen von einer Wolke zu sehen.«
Tim schnaubte spöttisch, doch diesmal klang es nicht so abfällig wie sonst. Eher amüsiert. »Die Großstadttussi muss noch eine Menge über das Wetter an der Nordseeküste lernen. Auch wenn es jetzt gerade nicht so aussieht, es wird Regen geben. Ziemlich bald sogar.«
»Du kannst mir viel erzählen. Hier.« Sie zog ihr Handy hervor und öffnete die Wetter-App. Eilig rief sie die Anzeige für Lichterhaven auf. »Für die nächsten drei Tage ist nur Sonnenschein gemeldet.«
Tim lachte. »Ich brauche keine Wetter-App, um vom Gegenteil überzeugt zu sein. Schau mal dort hinüber zum Deich und dann in die andere Richtung zum Wald. Wenn wir oben auf der Deichkuppe wären, könnte ich es dir sogar noch deutlicher zeigen.«

Ach ja, und den Klimawandel, den möchte ich euch nicht vorenthalten, denn den sollte ich vielleicht zukünftig auch nicht mehr erwähnen? Was meint ihr?

Maik trat ans Küchenfenster und blickte hinaus. Er hatte gar nicht bemerkt, dass das Wetter ungeschlagen war. Dunkle Gewitterwolken hatten sich von der See her über Lichterhaven zusammengezogen, und schon wieder zuckte ein Blitz auf, gefolgt von lautem Donnerschlag. »Unsinn. Meinetwegen musst du jetzt nicht hinaus ins Unwetter. Ihr könnt gerne noch ein Weilchen hier zusammensitzen und abwarten, bis das Gewitter vorübergezogen ist.« Er deutete einladend auf die Eckbank, und prompt setzten Tim und Michelle sich wieder hin.
»Danke.« Tim warf einen besorgten Blick in Richtung Fenster. »Ich fürchte nur, das könnte länger dauern. Laut meiner Wetter-App und allem, was ich heute in den Nachrichten gehört habe, dürfte es eine unruhige Nacht werden. Die Temperaturen waren einfach viel zu hoch, genau wie die Luftfeuchtigkeit. Das ist erfahrungsgemäß eine ziemlich explosive Mischung und führt meistens zu heftigen Gewittern. Es könnte sogar eine Sturmflut geben, wenn der Wind die entsprechende Stärke erreicht.«
Erschrocken trat Maik näher an das Küchenfenster heran. Die ersten großen Regentropfen platschten zu Boden. »Das hört sich nicht gut an. Ich habe heute den ganzen Tag noch keinen Wetterbericht gehört. Wirklich, eine Sturmflut?«
»Durchaus möglich«, bestätigte Tim. »Hier in Lichterhaven tut man gut daran, täglich den Wetterbericht zu verfolgen und zusätzlich immer einen Blick auf die Wetterseite der Lichterhaven-App oder -Website zu werfen. Ihr wohnt ja noch nicht so lange hier und könnt das nicht wissen. Das Nordseewetter ist unberechenbar, und inzwischen schlägt auch hier der Klimawandel zu. Sturmfluten kommen immer häufiger vor. Wir hatten auch schon ein paar Tornados, die aber bisher zum Glück nicht viel Schaden angerichtet haben.« Tim zog sein Smartphone aus der Hosentasche und warf einen Blick darauf. »Kann auch sein, dass ich nachher noch einen Feuerwehreinsatz habe. Wenn das der Fall ist, meldet sich die Alarmierungs-App auf meinem Handy.«
Maik kehrte zum Tisch zurück und setzte sich ebenfalls. »Schon spannend, für was es heutzutage alles eine App gibt. Was haben wir nur früher gemacht?«
Tim hob die Schultern und lächelte. »Die App haben wir noch nicht so sehr lange. Mein Vater hat auch noch einen ganz normalen Funkmeldeempfänger, über den ebenfalls im Einsatzfall alarmiert wird. Das geht sogar deutlich besser, wenn der Strom ausfällt. Denn ohne Strom haben wir oft auch kein Mobilfunknetz, und ohne Mobilfunknetz geht auch die Alarmierungs-App nicht.«
Maik grinste. »Und wenn auch der Funkmeldeempfänger nicht funktioniert?«
Lachend hob Tim beide Hände. »Dann geben wir Rauchzeichen oder schicken jemanden von Haus zu Haus. Ist alles schon da gewesen.« Er warf Michelle einen kurzen Blick zu. »Das ist übrigens in der Großstadt genauso ein Problem wie hier auf dem Land. Ohne Strom geht gar nichts.«

Unwetter verboten!

Nicht in der oben genannten, sondern in einer ganz anderen Rezension wurde von einer Leserin bemängelt, dass ich in meinen Lichterhaven-Romanen immer wieder auch Unwetter vorkommen lasse. Sie schreibt (bei Amazon, auch hier Tippfehler und Schreibweisen original übernommen):

“Allerdings Frage ich mich ernsthaft wieso man immer ein Unwetter, Sturmflut etc. benötigt also ich lebe an der Nordsee und in der geballten Ladung wie ich es hier in jedem Buch lese habe ich es wirklich noch nicht erlebt aber gut so vergrault man auch die die noch nie an der See im Urlaub waren.”

Ich weiß jetzt nicht, ob es an der Küste anders ist als in anderen Landstrichen Deutschlands. Hier in der Eifel gibt es jedenfalls in den letzten Jahren zunehmend mehr und heftigere Unwetter, und dass jedes Jahr. Das schlimmste liegt gerade knapp zwei Jahre zurück und hat unser schönes Ahrtal sowie angrenzende Regionen mit einer Tsunami-Flut für Jahre und Jahrzehnte verwüstet und traumatisiert. Doch selbst, wenn es nicht ganz so arg kommt: Sturmfluten nehmen tatsächlich immer mehr zu, ich habe sogar extra recherchiert (und das könnt ihr auch), wie häufig sie inzwischen vorkommen. Auch von Tornados an der Küste habe ich in den Nachrichten der vergangenen Jahre nicht selten gelesen. Natürlich ist es immer so, dass Unwetter lokal treffen. Manche Orte sind davon weniger betroffen als andere.

Nehme ich damit aber den Menschen wirklich die Lust daran, Urlaub an der Nordseeküste zu machen? Geht es euch vielleicht auch so? Habt ihr jetzt Angst, dort eure Ferien zu verbringen, weil es eben auch mal zu (schweren) Unwettern kommen kann? Ich hatte ja eigentlich immer den Eindruck und die Hoffnung, das Gegenteil sei der Fall. Ich liebe die Nordseeküste, deshalb spielen meine Lichterhaven-Romane ja dort. Bisher dachte ich immer, man spürt diese Liebe durch die Seiten der Romane und dass sie sich vielleicht auch ein wenig auf meine Leserinnen und Leser überträgt.

Warum man es nie allen Lesern recht machen kann, soll und darf – Die Dritte

Es ist einfach nicht möglich, gleichzeitig die Vorlieben und Geschmäcker sämtlicher Leserinnen und Leser zu treffen. Es muss aber auch nicht sein, denn darunter würde letztlich ja die Vielfalt leiden.

Was mich aber ehrlich erschüttert, ist die Art und Weise, wie gerade im Internet inzwischen oftmals die eigene Meinung ausgedrückt wird. Von Wertschätzung oder auch nur Höflichkeit kaum eine Spur. (Die zuletzt zitierte Rezension zum Thema Unwetter mal ausgenommen, die war nicht verletzend formuliert.) Stattdessen wird sich leider immer häufiger ganz arg im Ton vergriffen, und da frage ich mich allen Ernstes, warum.

Warum so hasserfüllt?

Was bewegt Menschen, sich derart “auszukotzen”, wenn sie denselben Sachverhalt auch mit anderen, weniger ätzenden Worten zum Ausdruck bringen könnten?

Ich gebe zu, gerade die Art und der Ton der eingangs zitierten Rezension erinnern mich sehr stark und unangenehm an sehr ähnliche Rezensionen zu meinen Büchern, die, wie ich mit einiger Sicherheit weiß, von Menschen stammen, die mir als Autorin einfach nur schaden, die das jeweilige Buch abwerten und so den Verkauf bremsen wollen. Neidrezensionen nenne ich sie auch, doch es tröstet mich nicht wirklich, dass man sich Neid auch erst mal verdienen muss.

Versteht mich nicht falsch, ich sitze nicht hier vor dem Computer und weine über solche Angriffe. Ich habe mittlerweile ein recht ausgeprägtes Selbstbewusstsein in dieser Hinsicht, denn die überwiegenden Reaktionen auf meine Bücher und noch mehr meine Verkaufszahlen beweisen ja, dass ich viele Menschen mit meinen Geschichten erreiche, begeistere und vielleicht sogar glücklich mache.

Ich begreife nur einfach nicht, wie man darauf verfallen kann, das Werk anderer Menschen herabzuwürdigen, ob nun mit gezielten Negativbewertungen (oft ohne Rezension) oder mit Angriffen, die von unfreundlich bis schlichtweg bösartig alle Schattierungen annehmen können. Unterstellen, dass dies bei der oben genannten Rezension der Fall ist, will ich nicht. Sie hat bei mir nur gleich die Alarmglocken schrillen lassen, weil mir Tonfall und Wortwahl überaus bekannt vorkommen.

Sollte es sich also um jene Person handeln, die immer mal wieder Hiebe unter die Gürtellinie verteilt, um meinem Verkaufserfolg (bzw. dem Ranking) zu schaden, dann wisse: Ich nehme es zur Kenntnis und hoffe darauf, dass Ihnen oder dir das Karma irgendwann die Quittung servieren wird.

Sollte es sich hingegen doch nur um eine zufällige Einzelmeinung handeln, dann schüttle ich, ehrlich gesagt, verständnislos und auch ein wenig mitleidig den Kopf und wiederhole noch einmal:

Warum so hasserfüllt?

Kuschelglück und Gummistiefel

Petra Schier

HarperCollins, 431 Seiten
Erschienen am 25.04.2023
ISBN 978-3-74990-532-4
13,- € / eBook 9,99 €

Blick ins Buch*       Leseprobe

Hörbuch

Teilen mit