Wer meinen Newsletter abonniert hat, kennt diesen Textschnipsel zu Kuschelglück und Gummistiefel bereits, denn dort habe ich ihn exklusiv-vorab vorgestellt. Nun wird es Zeit, dass auch alle übrigen Blogbesucher und -besucherinnen ihn lesen dürfen. Bis zum Erscheinungstermin dauert es ja noch etwas und leider einen Monat länger als ursprünglich geplant. Am 25. April 2023 wird das Buch, eBook und Hörbuch das Licht der Welt erblicken.

Wie schon beim letzten Textschnipsel zum neuen Rodderbach-Roman habe ich mich dafür entschieden, euch das allererste Zusammentreffen der beiden Protagonisten herauszusuchen. Wobei, im neuen Lichterhaven-Roman ist es ja nicht wirklich die allererste Begegnung, wohl aber die erste im Buch. ;-)

Ich wünsche euch viel Vergnügen beim Reinschnuppern in diese wunderschöne Geschichte um einen lebensverändernden Neuanfang an der Nordseeküste.

Aus dem 3. Kapitel

Glücklicherweise war der Parkplatz nicht sehr stark frequentiert. Somit würde zumindest kein Gedränge an den Kassen herrschen. Hannah schnappte sich einen Einkaufswagen und machte sich voller Schwung auf den Weg in den Laden. Sie ging gerne einkaufen, wenn sie es in Ruhe tun konnte. Dann hatte sie Muße, Etiketten zu lesen, Inhaltsstoffe zu vergleichen und neue Produkte zu entdecken.

Die Gemüseabteilung war auf den ersten Blick eine Enttäuschung, da die vorherige Kundschaft nicht mehr allzu viel Auswahl übrig gelassen hatte. Doch so etwas empfand Hannah als Herausforderung. Mit etwas Fantasie stellte sie das, was sie fand und noch als frisch genug einstufte, zu bunten Gerichten zusammen, wobei allerdings der reine Gedanke an all die Leckereien das Knurren ihres Magens noch verstärke.

Nachdem sie auch noch ihr Müsli, Kaffee und Kakao im Einkaufswagen verstaut hatte, wollte sie noch rasch ihre Vorräte an Einmach- und Gelierzucker auffüllen. Sie liebte es, Vorräte, Marmeladen und Gelees selbst einzukochen, und die Erdbeerzeit war bereits in vollem Gange.

Sie beschloss, eine Abkürzung durch Gang drei zu nehmen. Deshalb bog sie dorthin ab – und stieß so unsanft mit einem anderen Einkaufswagen zusammen, dass der ihre zur Seite schnellte, ihrem Griff entglitt und mit einem Knall gegen das Regal mit den Suppenkonserven krachte. Scheppernd fielen einige Dosen zu Boden, doch Hannah nahm es kaum wahr, denn fast wie in Zeitlupe prallte der fremde Einkaufswagen gegen ihre Hüfte. Sie hörte, wie jemand »Vorsicht!« rief und gleich darauf »Scheiße!«.

Hannah stieß einen erstickten Schrei aus, geriet ins Taumeln und fand sich im nächsten Moment auf ihren vier Buchstaben wieder. Für einen Moment blieb ihr die Luft weg.

»So ein Mist!« Die Stimme gehörte zu einem hochgewachsenen Mann, der nun neben ihr auftauchte. »Pass doch auf, Mädchen, wo du hinrennst. Hast du dir wehgetan?« Eine Hand erschien vor Hannahs Gesicht.

Benommen hob sie den Kopf und rieb sich gleichzeitig über die schmerzende Hüfte. »Nein, schon gut, es geht schon.«

Erst mit einer Sekunde Verspätung erkannte sie den Mann und die Stimme. »Sie!« Erbost schob sie die hilfreich ausgestreckte Hand beiseite und erhob sich. »Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass ich kein kleines Mädchen bin?«

»Entschuldigung.« Der Mann hatte sie inzwischen ebenfalls erkannt, und auf seiner Miene erschien ein zerknirschter Ausdruck. »Tut mir wirklich leid, Frau Pettersson! Ist Ihnen wirklich nichts passiert? Soll ich sicherheitshalber einen Arzt rufen?« Er trat mutig näher und berührte sie an der Schulter.

Hannah blickte mit zusammengekniffenen Augen auf seine Hand, bis er sie hastig wieder zurückzog. »Quatsch, ich brauche keinen Arzt. Aber anscheinend Helm und Schutzkleidung, wenn Sie sich in der Stadt aufhalten. Fahren Sie hier die Rallye Monte Carlo oder was?«

Der Mann strich sich sichtlich verlegen durch sein kurzes dunkelbraunes Haar. »Kann sein, dass ich ein bisschen flott unterwegs war. Alte Gewohnheiten legt man nicht so schnell ab, auch wenn man daran arbeitet.«

»Ach.« Mehr fiel Hannah dazu nicht ein. »Sie sind also tatsächlich nach Lichterhaven zurückgekehrt. Ich dachte, es gefällt Ihnen hier nicht. Arsch der Welt und so …« Sie maß ihn mit bedeutungsvollen Blicken. Dabei fiel ihr auf, dass er heute ganz anders gekleidet war als vor einem Jahr bei ihrer ersten Begegnung. Damals war er im maßgeschneiderten Designeranzug in der ehemaligen Lichterhavener Volksschule aufgetaucht, in der sie mit Ella und Caroline gerade eine Veranstaltung vorbereitet hatte. Heute trug er schwarze Jeans und ein rotgrau gemustertes Hemd von zwar ganz sicher ausgesuchter Qualität, jedoch irritierend leger. »Wir dachten zuerst, das sei ein Scherz, als Henning uns von Ihren Plänen erzählt hat, hier ein Haus zu kaufen.«

»Wie Sie sehen, war es kein Scherz.« Zu Hannahs grenzenloser Überraschung lachte er. Und was für ein Lachen! Warm, weich und überaus ansteckend. Sie musste sehr an sich halten, um ihre neutrale Miene beizubehalten, doch er sprach bereits weiter: »Wir brauchten einen Tapetenwechsel. Nach allem, was passiert ist, erschien es mir richtig, nicht in Berlin zu bleiben.«

»Wir?« Sie schluckte an ihrer Überraschung. »Sie haben also wirklich die Kinder ihrer verstorbenen Schwester hierher mitgebracht?«

Seine Augenbrauen wanderten eine Spur nach oben. »Sie sind ja gut informiert.«

»Henning hat uns eingeweiht. Aber abgesehen davon verbreiten sich Neuigkeiten in Lichterhaven immer schnell, besonders solche. Daran müssen Sie sich gewöhnen.«

»Mhm, wahrscheinlich. Für jemanden aus der Großstadt ist das eine ziemliche Umstellung.« Er lächelte leicht. »Übrigens sollten Sie Michelle besser nicht in ihrer Gegenwart als Kind bezeichnen. Darauf reagiert sie in etwa so allergisch wie Sie, obwohl sie erst vierzehn ist.«

»Mit vierzehn ist man ja auch kein Kind mehr.«

»Das teilt sie mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit.«

Hannahs Blick fiel auf den Inhalt seines Einkaufswagens, woraufhin sie hüstelte. »Und deswegen wollen Sie sie jetzt langsam, aber sicher, vergiften, oder was?«

»Wie bitte?« Auch Maik Zengler richtete sein Augenmerk auf die Waren, die er zu kaufen beabsichtigte. »Was soll das denn heißen?«

»Das, was ich gesagt oder vielmehr gefragt habe.« Mit spitzen Fingern nahm Hannah ein Fertiggericht aus dem Wagen, legte es aber gleich wieder zurück. »Das wollen Sie den Kids doch nicht wirklich vorsetzen, oder?«

Zu ihrer Überraschung räusperte er sich verlegen. »Momentan schon. Wissen Sie … Mit meinen Kochkünsten ist es nicht weit her.«

»Ach.« Schon wieder fiel ihr zunächst nicht mehr dazu ein.

»Ich weiß, es ist nicht ideal, aber ehe wir verhungern … Ich meine, ich kann ja wohl auch nicht jeden Tag Pizza bestellen.«

»Könnten Sie wohl.« Sie verdrehte die Augen. »Das wäre auf Dauer bekömmlicher als dieses Fertigzeugs, bei dem man Vitamine und dergleichen selbst mit viel Fantasie nur erahnen kann. Akbays Gemüsepizza hat da deutlich mehr zu bieten. Oder seine Veggie-Lasagne. Oder seine Salatsteller. Oder alles, was man im Möwennest auf der Karte findet.«

»Akbay? Möwennest? Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.« Nun sichtlich misstrauisch beäugt er eine Dose Ravioli. »Ich soll das hier also alles nicht kaufen?«

»Nicht, wenn Ihnen Ihre Gesundheit und die der Kids wichtig ist.« Hannah hob die Schultern. »Akbay ist der Seniorchef des Alibaba. Das ist in der Lichterhavener Hauptstraße. Und das Möwennest …«

»Daran erinnere ich mich«, fiel er ihr ins Wort. »Ein Bistro nicht weit vom Hafen, oder? Ich soll Ihrer Meinung nach also jeden Tag auswärts essen bestellen?« Eine Spur Spott schlich sich in seine Stimme. »Kriegen Sie eine Vermittlerprovision, oder was?«

Hannah stellte automatisch bei seinem Tonfall die Stacheln auf. »Nein, ganz sicher nicht. Aber alles ist besser als das da.« Sie wies mit übertrieben angewiderter Miene auf die Dosen und Fertiggerichte. »Nehmen Sie Tiefkühlgerichte. Die geben wenigstens ein bisschen mehr an Inhaltsstoffen her.«

»Tiefkühlgerichte?« Er sah sie fragend an. »Die muss man doch auch kochen.«

»Aufwärmen.« Wieder verdrehte sie die Augen. »Lieber Himmel, das werden Sie doch wohl hinkriegen, oder? Pfanne oder Topf auf den Herd, erhitzen, Tiefkühlgericht hinein und immer wieder umrühren, bis alles gar ist.« Sie legte den Kopf schräg. »Oder können Sie wirklich nur eine Mikrowelle bedienen?«

»Mehr oder weniger«, gab er zu. »Ich hatte bisher kaum jemals Zeit oder Gelegenheit zu kochen.«

»Und wovon haben Sie sich all die Jahre ernährt? Fastfood?«

»Das oder später gutes Essen aus Restaurants. Es gab etliche in Laufweite der Kanzlei oder auch meiner Wohnung. Mehr als Kaffee und ein paar kalte Getränke brauchte ich selten in der Wohnung zu haben.«

»Wissen das die Leute, die Ihnen erlaubt haben, für zwei Kinder zu sorgen?« Nun herrschte auch in ihrer Stimme der Spott vor. »Das ist ja beinahe schon als grob fahrlässig zu bezeichnen.«

Maik Zengler hustete. »Eine Menge Eltern können nicht gut kochen. Das hat mit Fahrlässigkeit nichts zu tun.«

»Es besteht ein Unterschied zwischen nicht gut und gar nicht«, giftete Hannah zurück. »Wenn ich Sie wäre …«

»Welch ein Glück, dass Sie das nicht sind.«

»Ganz meine Meinung, Herr Dr. Zengler.« Sie verzog unwillig die Lippen. »Trotzdem: Wenn ich Sie wäre, würde ich mir eine Köchin suchen.«

»Sie etwa?«

Entgeistert starrte sie ihn an. »Gott bewahre! Aber entweder eine Köchin oder einen Koch …«

»Oder?«

»Na, was wohl?« Sie schnappte sich ihren Einkaufswagen. »Lernen Sie selbst kochen!« Damit ließ sie ihn einfach stehen und ging hoch erhobenen Hauptes davon.

Kuschelglück und Gummistiefel

Petra Schier

HarperColins, ca. 450 Seiten
Erscheint am 25.04.2023
ISBN 978-3-74990-532-4
13,- € / eBook 9,99 €

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