Bis zum 18. Februar ist es gar nicht mehr so lange hin und außerdem ist heute Heiligabend, deshalb wird es Zeit, dass ich euch wieder einmal einen Textschnipsel aus meinem neuesten Lichterhaven-Roman präsentiere. Wer meinen kostenlosen Newsletter abonniert hat, wird ihn bereits kennen.

 

Aus dem 5. Kapitel

Mindestens zum fünften Mal innerhalb der vergangenen Stunde versuchte Thorsten, Martina telefonisch zu erreichen. Er hatte seit Montag überlegt, wie viel Zeit er am besten verstreichen lassen sollte, bis er sie um ein weiteres, ein richtiges Date bat. Natürlich würde sie erst einmal rundheraus ablehnen, so wie immer. Doch das gemeinsame Mittagessen war nach den ersten Startschwierigkeiten wirklich angenehm gewesen. Nein, das war sogar weit untertrieben. Es hatte ihn darin bestärkt, Martina aus ihrem Schneckenhaus herauslocken zu wollen. Sie war eine intelligente, tatkräftige und überaus liebenswerte Frau mit einem feinen Sinn für Humor, die er unbedingt näher kennenlernen wollte. Viel näher. So nah wie nur irgend möglich. Dass er tatsächlich schon hin und wieder in dem einen oder anderen Tagtraum über sie – oder mit ihr – versunken war, tat sein Übriges.
Dass er sie allerdings zu Hause nicht erreichte, ließ ihn mit einem diffusen Gefühl der Besorgnis zurück – und der Enttäuschung natürlich. Er besaß ihre Handynummer nicht und das musste sich dringend ändern.
Wo sie sich wohl um diese Zeit noch aufhielt? Er war davon ausgegangen, dass sie an einem Mittwochabend gegen achtzehn Uhr mit den Kindern zu Hause sein würde. Eine Sitzung des Stadtrates lag heute nicht an, das hatte er online bereits überprüft. Vielleicht war sie bei ihren Eltern oder den Schwiegereltern zu Besuch. Wenn er nicht so genau wüsste, dass sie ungehalten darauf reagieren würde, hätte er sich in seinen Wagen gesetzt und wäre kurz bei ihr vorbeigefahren, um nach dem Rechten zu schauen. Doch dazu war es eindeutig noch zu früh. Viel zu früh. Außerdem wollte er sie ja auch nicht verschrecken. Aber verdammt noch mal, er vermisste sie.
»Thorsten, ich mache jetzt Feierabend.« Seine Mutter war in der Tür erschienen und lächelte ihm zu. »Ich habe heute Abend noch ein Treffen meines Buchclubs.« Sie zupfte mit der einen Hand an ihrer roten Bluse herum und ordnete gewohnheitsmäßig mit der anderen ihr kurzgeschnittenes dunkelbraunes Haar. »Entschuldige, willst du gerade telefonieren?«
»Hm?« Er riss sich von seinen Gedanken los. »Was meinst du?«
»Du starrst dein Telefon an.« Ingrid Brunner lachte. »Von selbst wählt es noch nicht. Du musst die kleinen Tasten drücken.«
»Ha ha.« Er lächelte schwach. Dann kam ihm eine Idee. »Sag mal, du bist doch öfter in diesem Frauentreff, oder? Der, den Martina Clausen ins Leben gerufen hat.«
»Wiederbelebt trifft es besser. Den Treff gibt es schon lange, aber bevor sie mit ihren großartigen neuen Ideen für Aktivitäten gekommen ist, war es wohl bloß ein ziemlich langweiliger Haufen. Zumindest sagen das die anderen Frauen, ich bin ja erst seit einem dreiviertel Jahr dabei. Warum fragst du?«
»Hast du zufällig ihre Handynummer?«
»Martinas Nummer?« Ingrid trat einen Schritt auf Thorsten zu. »Wozu brauchst du die denn?«
»Um sie anzurufen, was sonst?«
Seine Mutter kam noch zwei Schritte näher und musterte ihn mit diesem eindringlichen Blick, den nur Mütter beherrschten. »Du warst am Montag mit ihr essen.«
»Hat sich das schon herumgesprochen?« Er lächelte leicht. »Auf die Buschtrommeln ist Verlass.«
»Und sie hat dir danach nicht ihre Nummer gegeben?«
»Würde ich sonst danach fragen?«
Ingrid hüstelte. »Mein Junge, wenn sie dir ihre Nummer nicht freiwillig gibt, wie kommst du darauf, dass ich sie dir dann so einfach verraten würde?«
Er stutzte. »Mama! Du bist … meine Mutter!«
»Da hast du wohl recht. Aber deswegen werde ich nicht einer jungen Frau in den Rücken fallen, die möglicherweise gar nicht will, dass du ihre Nummer bekommst.«
»Das kannst du doch gar nicht wissen. Ich habe sie am Montag nicht nach ihrer Nummer gefragt.«
Mit gekräuselten Lippen musterte seine Mutter ihn erneut. »Warum nicht?«
Er seufzte leise. »Das ist ein bisschen kompliziert.«
»Mag sie dich nicht?«
»Kann man so nicht sagen.«
Interessiert setzte Ingrid sich auf die Tischkante. »Sie ist eine sehr beschäftigte Frau, Thorsten. Und sie hat zwei Kinder.«
»Das ist mir bewusst.«
»Gut. Wirklich?«
»Mama, ich bin schon groß. Ja, sie hat zwei Kids. Na und? Die zwei sind klasse.«
»Aha.« Sie schmunzelte. »Hat sie dich nicht vergangenes Jahr schon mal abblitzen lassen?«
»Kann sein.«
»Wer hat dich abblitzen lassen?« Lars Verhoigen, groß, dunkelhaarig und Thorsten äußerlich frappierend ähnlich, betrat das Büro. Er trug schmutzige grau-schwarze Arbeitsklamotten und roch nach Motoröl. »Entschuldige, ich brauche mal schnell einen Ausdruck von der neuen Maßliste für das Sportboot.«
»Kommt sofort.« Thorsten rief die gewünschte Datei auf und klickte auf Drucken.
»Wir reden gerade von Martina Clausen.« Ingrid erhob sich und nahm den Ausdruck aus dem Drucker. »Hier, bitte sehr.«
»Martina.« Lars runzelte die Stirn. »Du warst am Montag mit ihr essen.«
»Exakt.« Thorsten nickte.
»Und hast mir nichts davon erzählt. Luisa hat es mir heute Morgen verraten.« Lars nahm den Ausdruck mit einem kurzen Nicken entgegen.
»Ich muss dir doch nicht jedes Detail aus meinem Leben erzählen, nur weil du mein großer Bruder bist.« Thorsten grinste. »Hast du ihre Handynummer?«
»Klar.« Lars hob die Augenbrauen. »Du nicht?«
»Würdest du sie mit bitte verraten?«
»Nein.« Lars legte den Ausdruck auf den Tisch. »Wenn sie dir ihre Nummer nicht selbst gibt, werde ich den Teufel tun. Außerdem habe ich dir schon mal gesagt, dass du deine Griffel von ihr lassen sollst.«
»Das war vor einem Jahr.« Thorsten runzelte leicht die Stirn. »Ich habe mich daran gehalten. Bis jetzt.«
»Warum jetzt nicht mehr?« Lars war sichtlich ungehalten. »Sie hat viel durchgemacht. Außerdem hat sie zwei Kinder. Lass sie in Ruhe.«
»Sie ist jetzt seit sechs Jahren Witwe.« Thorsten verschränkte die Arme vor der Brust. »Und die Kids sind für mich kein Problem. Ich mag Kinder.«
»Das ist ja gut und schön«, mischte Ingrid sich ein, »aber trotzdem solltest du nicht hinter ihrem Rücken Leute nach ihrer Nummer fragen. Wenn sie sie dir bisher nicht gegeben hat, dann bestimmt aus gutem Grund.«
»Wahrscheinlich mag sie dich einfach nicht.« Lars feixte.
»Wir hatten eine nette Zeit miteinander am Montag«, protestierte Thorsten.
»Und trotzdem hat sie dir ihre Nummer nicht gegeben.« Aus dem Feixen wurde ein Grinsen. »Den Wink mit dem Scheunentor solltest selbst du verstehen. Sie will nix von dir.«
»Das ist noch längst nicht erwiesen.« Thorsten winkte ab. »Was soll’s. Versuche ich es eben noch mal auf dem Festnetz. Irgendwann wird sie ja wohl mal zu Hause sein.«
»Braver Junge.« Ingrid tätschelte seine Schulter. »Aber wenn sie wirklich nicht interessiert ist, lass sie bitte in Ruhe.«
»Ich bin keine zehn Jahre alt, Mama.« Thorsten verdrehte die Augen. »Ich weiß, was sich gehört und was nicht.«
»Dann ist es ja gut.« Nach einem kurzen Blick auf ihre Armbanduhr eilte Ingrid zur Tür. »Ich muss los, sonst komme ich zu spät zum Buchclubtreffen.«
»Welches Buch lest ihr denn gerade?« Lars hatte sich seinen Ausdruck erneut geschnappt und war ebenfalls auf dem Sprung.
Ingrid warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück ins Büro. »Kein Buch diesmal. Wir gehen ins Kino. Da ist heute lange Jane-Austen-Nacht. Die gesamte BBC-Verfilmung von Stolz und Vorurteil mit Colin Firth.«
Beide Männer stöhnten gleichzeitig entsetzt auf.
»Ihr wisst ja nicht, was gut ist.« Lachend eilte sie davon. Augenblicke später hörte man die Eingangstür zuklappen.
Lars drehte sich in der Bürotür noch einmal um. »Sei vorsichtig mit Martina. Sie hatte es wirklich nicht leicht.«
»Ich weiß schon, was ich tue, großer Häuptling.« Thorsten grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Wusstest du, dass Vater ihr das Grundstück beim Schwimmbad immer noch nicht verkauft hat?«
»Was?« Lars kehrte ins Büro zurück und zog sich seinen Drehstuhl vom gegenüberliegenden Schreibtisch heran. »Das sollte doch schon vergangenen Herbst unter Dach und Fach gewesen sein.«
»Martina hat mir erzählt, dass unser Erzeuger sich immer noch ziert. Oder vielmehr scheint er es sich anders überlegt zu haben und will jetzt doch wieder selbst ins Schwimmbadgeschäft einsteigen.«
»Das ist ein Scherz.« Zwischen Lars‘ Augen entstand eine steile Falte.
»Wenn es einer ist, dann ein schlechter. Er hat ihr angeboten, das Schwimmbad zu kaufen. Für fast vierzig Prozent über dem Marktpreis. Angeblich will er es ebenfalls erweitern und verschönern, was auch immer das heißen mag.«
»Nichts Gutes, wenn es von Carl Verhoigen kommt.« Verärgert fuhr Lars sich durch sein kurzes dunkelbraunes Haar. »Ich rede mit ihm.«
»Vergiss es, das habe ich auch schon angeboten. Martina will das selbst regeln.«
»Sie hat mich letztes Jahr auch um Hilfe gebeten.«
Thorsten zuckte mit den Achseln. »Meine Rede an sie. Aber jetzt will sie unsere Hilfe nicht mehr.«
Lars kniff leicht die Augen zusammen. »Deine oder unsere?«
»Unsere.«
»Dann rede ich wohl besser mal mit ihr. Allein kommt sie gegen Vater nicht an.«
»Lars.« Mit einem Hüsteln beugte Thorsten sich zu seinem Bruder vor. »Das würde ganz gerne ich übernehmen.«
»Glaubst du, das geht gut? Du willst ihr an die Wäsche. Das verträgt sich nicht gut mit Geschäftlichem.«
Thorsten schüttelte den Kopf. »Ich will ihr nicht an die Wäsche. Okay, will ich schon, aber nicht nur, dass das gleich mal klar ist. Darum geht es mir ganz und gar nicht. Martina ist eine Klassefrau, innen wie außen. Das fand ich schon, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, und an meiner Meinung hat sich seither nichts geändert. Und ja, mir ist bewusst, dass sie Witwe ist und ebenfalls noch einmal ja, sie hat zwei Kinder. Roll das gar nicht erst noch mal auf. Ich habe mich ein ganzes Jahr zurückgehalten, weiß der Himmel warum. Soweit ich sehen kann, hat sie ihr Leben ziemlich gut im Griff. Warum sollte ich nicht versuchen, ein Teil davon zu werden?«
»Ein Teil davon?« Lars starrte ihn überrascht an. »Wow, Moment mal. Haben wir gerade fünf bis sieben Schritte übersprungen? Ihr wart gerade einmal miteinander zum Mittagessen.«
»Ja, und wenn ich nicht auf dich gehört hätte, wären wir heute schon bedeutend weiter. Zumindest hoffe ich das.«
Nun beugte auch Lars sich vor und musterte Thorsten eingehend. »Da soll mich doch. Der lütte Jong hat sich verguckt.«
»So lütt bin ich nun auch wieder nicht.« Gespielt beleidigt verzog Thorsten die Lippen.
»Warum hast du nicht gleich gesagt, dass du da was so Ernstes im Sinn hast?« Lars lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück.
»Hättest du mir dann etwa deinen Segen gegeben?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht. Ich war zwar nicht hier, als Axel verunglückt ist, aber Luisa, Christina und Alexander haben mir alles darüber erzählt. Es muss sehr hart für Martina gewesen sein. Sie hat schrecklich gelitten. Ich meine, stell dir nur mal vor, von jetzt auf gleich mit einer Zweijährigen, einem drei Monate alten Säugling, einem fast fertigen Schwimmbad und einem Haufen Schulden allein dazustehen. Von der Tatsache, dass sie mit Axel schon seit ihrem siebzehnten Lebensjahr zusammen war, ganz zu schweigen. Die beiden waren immer wie Pech und Schwefel. Zumindest kam es uns immer so vor. So ein perfektes Traumpaar, wo beide dasselbe wollen und sich total ergänzen.«
»Du glaubst, dagegen komme ich nicht an.«
Lars überlegte einen Moment. »Gegen Axels Geist?«
»Ich glaube nicht an Geister.«
»Gut für dich, aber trotzdem wirst du es schwer haben.« Lars reckte sich ein wenig und blickte zur Decke. »Ich erinnere mich noch daran, wie Martina früher war. Ein ganz liebes, aber schüchternes Mädchen. Als Axel sich für sie zu interessieren begann, ist sie irgendwie …«
»Aufgeblüht?«, hakte Thorsten nach, als sein Bruder kurz stockte.
»Ja, aber auf eine ganz stille Art. Sie hat anscheinend in ihm genau den Typ Mann gefunden, an den sie sich anlehnen konnte.«
»Für einen ehemaligen Herumtreiber hast du einen scharfen Blick auf die Menschen«, befand Thorsten lächelnd.

 

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In dem maritimen Lichterhaven hat Thorsten ein Zuhause gefunden. Gemeinsam mit seinem Halbbruder baut er in der Familienwerft hochwertige Holzboote – und erfüllt sich damit einen lang gehegten Traum. Alles, was ihm jetzt noch zu seinem Glück fehlt ist ein Date mit Martina. Doch seit ihrer ersten Begegnung weiß er: Er wird kämpfen müssen, wenn er diese umwerfende Frau für sich gewinnen will. Aber er scheint einen Verbündeten zu haben. Martinas vierbeiniger Begleiter, der ungarische Hirtenhund Capone, schafft es irgendwie immer wieder, dass die beiden sich wie zufällig treffen …

 

Die Liebe gibt Pfötchen

Die Liebe gibt Pfötchen

Petra Schier

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Erscheint am 18. Februar 2020

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