Im vergangenen Dezember gab es wegen vieler anderer toller Nachrichten keinen Textschnipsel, aber weil ich gerade vorhin das lektorierte und von mir entsprechend überarbeitete Manuskript meines dritten Lichterhaven-Romans an meine Lektorin im Verlag zurückgeschickt habe, dachte ich mir, das ist ein guter Zeitpunkt, euch mit einem neuen kleinen Einblick in die Geschichte neugierig zu machen. Ausgewählt habe ich ein etwas längeres Textstück, in dem sich die beiden Hauptfiguren (oder genaugenommen die drei) erstmals in diesem Roman begegnen.
Aus dem 1. Kapitel
Sie hatte sich gerade an den Schreibtisch in ihrem kleinen Büro hinter den Behandlungsräumen gesetzt und die Dateien ihrer heutigen Patienten aufgerufen, als sie das Geräusch eines Autos vernahm, das mit hoher Geschwindigkeit auf den Vorplatz der Praxis geschossen und mit quietschenden Reifen zum Stehen kam.
Ahnungsvoll stand sie von ihrem Platz auf und hörte im nächsten Moment auch schon die Eingangstür gehen und eine ihr nur allzu bekannte, dunkle, leicht rauchige Männerstimme rufen. Unwillkürlich verkrampfte sich ihr Magen und ihr Herz zuckte heftig in ihrer Brust.
»Luisa? Luisa, bist du hier? Oder Dr. Weisenau? Ja, schon gut, Kleine, Hilfe kommt gleich. Nicht weinen. Luisa!«
So verzweifelt hatte sie Lars Verhoigen noch nie gehört, deshalb vergaß sie ihre spontane Reaktion auf seine Anwesenheit und rannte auf ihn zu. »Was ist passiert? O mein Gott, wen hast du denn da mitgebracht?« Abrupt blieb sie dicht vor ihm stehen und starrte auf das Bündel aus winselndem Welpen und grauem Sweatshirt. Ohne zu zögern fasste sie Lars am Arm und zog ihn mit sich in einen der beiden Behandlungsräume. »Leg ihn auf dem Tisch ab. Ist er angefahren worden?« Während sie sprach, zog sie sich bereits Einweghandschuhe an.
»Sie. Es ist eine Sie.« Sehr vorsichtig bettete Lars das Tier auf dem Tisch. »So ein Dreckskerl hat die Kleine und einen weiteren Welpen im Wald hinter einer Raststätte an der Autobahn … ausgesetzt.«
Sie hatte sein Zögern genau gehört und nach einem weiteren, genaueren Blick auf das fiepende Etwas sah sie stirnrunzelnd zu ihm auf. »Ausgesetzt?«
Er schob sein markantes, von einem Dreitagebart bedecktes Kinn vor. »In einen Jutesack gesteckt, gegen einen Baum geschleudert, getreten und liegengelassen. Für den anderen Welpen kam jede Hilfe zu spät. Die Süße hier hatte einfach nur wahnsinniges Glück, dass ich die Sache zufällig beobachtet habe. Wenn ich den Kerl noch erwischt hätte …« Er verstummte und ihm war anzusehen, was er am liebsten mit dem Tierquäler gemacht hätte.
Luisa konnte es ihm nachfühlen. »So ein Arsch. Hast du ihn schon angezeigt?« Sehr behutsam untersuchte sie den Welpen, der vollkommen erschöpft und verängstigt zu sein schien, jedoch anscheinend nicht mehr die Kraft besaß, sich zur Wehr zu setzen oder einen Fluchtversuch zu wagen.
»Nein, aber ich werde es noch tun. Auch wenn es nichts bringen wird, weil ich zwar beschreiben kann, wie der Typ ausgesehen hat, aber nicht weiß, wer er ist oder woher er gekommen ist. Sein Auto konnte ich auch nicht sehen.«
»Vielleicht ist er aber schon mal auffällig geworden und seine Beschreibung ist der Polizei bekannt. Na, na, ganz ruhig«, unterbrach Luisa sich, als das Hundekind laut aufschrie. »Was haben wir denn da?« Mit den Fingerspitzen tastete sie sachte an den Rippen des Tierchens entlang. »Möglicherweise angebrochen. Du arme Kleine, das wird noch eine ganz Weile wehtun.«
»Ich dachte mir, dass sie vielleicht innere Verletzungen hat.«
Luisa nickte. »Ich werde sie röntgen und noch ein paar andere Untersuchungen durchführen. Das wird eine Weile dauern. Du kannst sie gerne bei mir lassen und nach Hause fahren. Ich kümmere mich gut um sie.«
»Nein.« Zu Luisas grenzenloser Verblüffung schüttelte Lars vehement den Kopf und streichelten so sanft mit dem Zeigefinger über das Ohr des Welpen, dass ihr Magen sich doch wieder mit einem leisen Flattern meldete. »Ich lasse sie nicht allein.« Er stockte kurz und grinste schief. »Versteh mich nicht falsch, ich bin sicher, dass sie bei dir in den besten Händen ist. Deshalb bin ich ja gleich hierhergekommen. Aber …« Noch einmal berührte er das Ohr der Kleinen, die daraufhin schniefte und leise winselte. »Meinst du, ich kann sie einfach behalten?«
Was, wie? Behalten? Du mich? Nein, nein, du bist ein großer, böser Mann-Mensch. Ich bleibe nicht bei dir. Ganz bestimmt nicht. Du tust mir nur wieder weh, so wie der andere. Geh weg!
Das empörte und zugleich ängstliche Bellen und Knurren, das das Tier ausstieß, ließ Luisa die Augenbrauen hochziehen. »Du willst sie adoptieren?«
»Warum nicht? Sie hat ein gutes Zuhause verdient, oder etwa nicht?«
»Selbstverständlich. Aber sie wirkt nicht so, als hätte sie allzu großes Zutrauen zu dir.«
»Du offenbar auch nicht.« Lars blickte mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen auf den Welpen hinab. »Lass uns ein bisschen Zeit. Wir werden uns schon zusammenraufen.«
Luisa schluckte, als sie seine Miene sah. Obwohl sie wusste, dass er nur von dem Welpen sprach, fiel ihr doch die Doppeldeutigkeit seiner Worte auf. Geschäftig hantierte sie am Medizinschrank herum, zog zwei verschiedene Spritzen auf und legte beide neben dem Welpen ab. »Hast du überhaupt Erfahrungen in der Hundehaltung?«
»Nein. Das solltest du doch wohl wissen.« Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton angenommen, der sie dazu veranlasste, seinem Blick auszuweichen. »Aber einmal ist immer das erste Mal, oder nicht? Oder spricht etwas dagegen, dass ich sie behalte?«
Im ersten Moment wollte Luisa diese Frage bejahen, ihn daran erinnern, wie oberflächlich und verantwortungslos er den größten Teil seines Lebens gelebt hatte. Doch das wäre unfair, denn im vergangenen Jahr, seit er nach siebenjähriger Abwesenheit nach Lichterhaven zurückgekehrt war, hatte er der Stadt und seinen alten Freunden und Bekannten ein völlig anderes Bild von sich gezeigt. Er hatte in der Nähe des Hafens eine alte Werft übernommen, die sein Vater, ein reicher Bauunternehmer, vor langer Zeit erworben, jedoch nie genutzt hatte. Lars hatte sie umbauen lassen und mit neuem Leben erfüllt. Zumindest sah es so aus, als hätte er bereits Aufträge an Land gezogen. Ihr älterer Bruder Alex war schon seit seiner Schulzeit eng mit Lars befreundet und erzählte manchmal etwas von dem, was Lars so trieb.
Luisa saugte diese Informationen auf wie ein Schwamm, ganz automatisch, ohne sich dagegen wehren zu können, doch sie hielt sich selbst möglichst weit von Lars Verhoigen fern. Vor acht Jahren war sie dumm genug gewesen, sich von ihm das Herz brechen zu lassen. Mit der Zeit waren die Wunden geheilt, doch sie würde sich nicht erneut der Gefahr aussetzen und ihn in ihr Leben lassen.
Damals hatte sie gedacht, wirklich geglaubt, dass … Nein, stopp! Ehe sie den Gedanken auch nur ansatzweise zuließ, verbannte sie ihn rigoros in denselben dunklen Winkel ihres Herzens wie ihre ärgerliche, nicht beeinflussbare Reaktion auf Lars‘ Nähe. Sie war über Lars hinweg und dabei würde es auch bleiben.
»Es spricht nichts dagegen, dass du sie behältst. Der ursprüngliche Besitzer wollte sie ja ganz offensichtlich loswerden, und andernfalls würde sie ins Tierheim kommen.« Sie nahm eine der beiden Spritzen in die Hand. »Tut mir leid, Kleine, aber das pikst jetzt leider ein bisschen.«
Aua, aua, aua. Ihr Menschen seid so schrecklich gemein! Ich will das nicht. Hört auf. Wenn ich nicht so schwach wäre … schnüff. Oh, wie wird mir denn jetzt? Ganz seltsam … Warum tut es denn jetzt auf einmal immer weniger weh?
»Was gibst du ihr denn da?« Neugierig musterte Lars jede von Luisas Handbewegungen.
»Ein Schmerzmittel, das auch leicht beruhigend wirkt und auf die Narkose vorbereitet.«
»Narkose?« Alarmiert hob er den Kopf.
»Ich muss sie röntgen und, wie gesagt, einige weitere Untersuchungen anstellen, bei denen sie ganz stillliegen muss. Das geht am besten mit einer leichten Narkose.« Sie hob nur für einen Moment den Blick zu seinem. »Dir ist schon bewusst, dass du, wenn du sie adoptierst, für zehn bis fünfzehn Jahre eine große Verantwortung auf dich nimmst?«
»Vollkommen bewusst.« Seine Miene blieb ernst und ruhig, während er sprach. »Als Kind wollte ich immer einen Hund haben.«
»Jedes Kind will ein Haustier.« Ihr Blick zuckte erneut zu seinem. »Bei dir hätte ich das allerdings nicht vermutet.«
»Kann sein, dass ich diesen Wunsch für mich behalten habe. Aber du wirst zugeben, dass ich immer schon gut mit Hunden konnte. Mit euren sowieso. Sogar Polly konnte mich gut leiden, und die war echt wählerisch.«
Bei der Erinnerung an die Colliehündin ihrer Schwester musste Luisa lächeln. »Stimmt. Sie war ein toller Hund, aber wenn sie jemanden nicht mochte, war nichts zu machen.«
»Und Boss mag mich ebenfalls«, führte Lars den American Bulldog ins Feld, der Christina und ihrem frisch angetrauten Ehemann Ben gehörte.
»Boss mag einfach jeden Menschen, der nett ist.«
»Ich bin also nett?« Erneut schwang ein Unterton in seiner Stimme mit, diesmal eindeutig amüsiert.
Luisa richtete ihren Blick tunlichst auf den Welpen, der jetzt deutlich ruhiger wurde. »Nett zu Boss, meinte ich. Pass mal kurz auf sie auf, bis ich das Röntgengerät vorbereitet habe.« Eilig verließ sie den Raum und betrat das benachbarte Zimmer, in dem Röntgenapparat und Ultraschallgerät untergebracht waren.
***
Nachdenklich blickte Lars Luisa nach, als sie den Behandlungsraum verließ. Sie war eine besonnene und sehr kompetente Tierärztin, obwohl sie noch gar nicht so lange ihre Approbation besaß. Es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass sie voll und ganz in ihrem Beruf aufging, und genau deshalb wäre er mit dem verletzten Welpen niemals woanders hingegangen als zu ihr.
Sie liebte Tiere über alles, hatte ein natürliches Bedürfnis, ihnen zu helfen und sie, wenn möglich, zu heilen. Tierärztin war nicht einfach nur ihr Beruf, es war ihre Berufung, das war schon deutlich geworden, als sie mit sieben oder acht Jahren den ersten Igel mit verletztem Fuß gesund gepflegt hatte oder die Elster mit dem gebrochenen Flügel ein paar Jahre später.
Genau diese Hingabe zu dem, was sie liebte und wofür sie bestimmt war, war einer der Hauptgründe gewesen, dass er vor acht Jahren Lichterhaven verlassen hatte … und natürlich die Tatsache, dass er die Hosen gestrichen voll gehabt hatte, doch darüber dachte er lieber nicht weiter nach. Viel wichtiger war, dass er genau das Richtige getan hatte. Wenn er sie jetzt hier sah, mit einem in Rekordzeit abgeschlossenen Studium, einem anstehenden Doktortitel und inmitten ihrer nagelneuen Praxis, wusste er, dass der Schmerz, den er ihr – und damit auch sich selbst – zugefügt hatte, gerechtfertigt gewesen war. Sie hatten ihr die Kraft gegeben zu dem zu werden, was sie heute war und ihn hinter sich zu lassen.
Jetzt, all die Jahre später, konnten sie mit Gleichmut auf damals zurückblicken, jene Episode aus der Vergangenheit vergessen und als gute Freunde ihr jeweiliges Leben fortführen. Alles andere, da war er sich vollkommen sicher, wäre niemals – niemals! – gutgegangen.
»Wir müssen sie hierher umbetten.« Luisa kam mit einem rollbaren Behandlungstisch herein und schob ihn neben den, auf dem der Welpe lag und mittlerweile ganz ruhig und gleichmäßig atmete, die Augen halb geschlossen.
Umbetten? Was ist das? Mir ist so schwummrig und es tut fast gar nichts mehr weh. So merkwürdig. Huch, was ist das? Fliege ich? Oh, nein, jetzt liege ich auf etwas Kaltem. Aber egal, alles egal. Es tut nur einfach nicht mehr weh …
»Die Kleine ist ein bisschen benebelt«, erklärte Luisa. »Ich versetzte sie jetzt in eine ganz leichte Narkose und führe die restlichen Untersuchungen durch. Willst du hier warten, oder …?«
»Ich komme mit, wenn ich darf.«
Sie nickte leicht und schob den Tisch wieder nach nebenan. »Wie willst du sie denn nennen?«
»Nennen?« Er runzelte die Stirn.
»Sie braucht einen Namen.«
»Stimmt.« Er überlegte kurz, während er Luisa bei der Arbeit beobachtete. »Wie wäre es mit Jolie?« Er sprach das Wort französisch aus.
»Jolie?« Überrascht sah Luisa ihn über die Schulter an, widmete sich aber gleich wieder dem Tier. »Klingt hübsch.«
»Das bedeutet es ja auch. Das ist der erste Name, der mir jetzt eingefallen ist«, gab er zu. »Denn hübsch ist sie ja allemal.«
»Der erste Impuls ist häufig der richtige. Ich finde, Jolie ist ein sehr schöner Name für die Kleine.« Sie positionierte den Welpen in einer für Lars‘ Augen sehr unnatürlichen Haltung unter dem Röntgengerät. »Tritt bitte hinter den Wandschirm zurück«, forderte sie ihn auf, ohne ihn anzusehen. »Ich trage nicht umsonst eine Bleischürze. Wir wollen doch nicht, dass wir deinen Genpool versehentlich modifizieren.«
Lars tat, wie ihm geheißen. »Okay, mein Genpool hat sich in Sicherheit gebracht.«
Luisa kicherte leise. »Gut so. Obwohl ich nicht annehme, dass er jemals von Bedeutung werden könnte. Aber sicher ist sicher.«
»Stimmt, sicher ist sicher.« Von seiner Position hinter dem Wandschirm konnte er nur noch ab und zu ein Stück von Luisas Arm erkennen und einmal ihr äußerst ansehnliches Hinterteil, als sie sich ein wenig nach links beugte, um etwas an dem Röntgengerät zu richten. Sofort zwang er sich, seinen Blick woandershin zu richten. »Auch wenn ich derzeit tatsächlich keinerlei Pläne habe, mich zu vervielfältigen.«
»Fortzupflanzen, meinst du.« Er hörte sie wieder kichern.
»Genau.«
»Ist vielleicht auch besser so. Wer weiß, ob die Welt einen Ableger von Lars Verhoigen verkraften würde.«
»Kommt immer darauf an, mit wem sich mein Genpool vermischen würde, oder?« Er wusste selbst nicht, warum er das Gespräch auf einen derart schlüpfrigen Untergrund manövrierte, doch trotz aller Vorbehalte hatten sie plötzlich wieder zu dem ungezwungenen Ton gefunden, der ihnen früher zu eigen gewesen war. Was schadete es schon, wenn sie dort weitermachten, wo sie damals aufgehört hatten, weil ihnen Begehren und Leidenschaft dazwischengefunkt und alles auf den Kopf gestellt hatten? Diesmal, so beschloss er bei sich, würde er vorsichtiger sein und nicht noch einmal alles riskieren, was ihm jemals etwas bedeutet hatte.
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Luisa hat sich einen Traum erfüllt: Sie hat ihre eigene Tierarztpraxis eröffnet! Voller Hingabe beginnt sie nun, sich für ihre flauschigen Patienten einzusetzen. Da steht eines Tages Lars vor der Tür – ihre erste große Liebe. Im Arm hält er einen winselnden Golden-Retriever-Welpen. Luisa sieht sofort, wie dringend das Tier ihre Hilfe braucht. Wie gut, dass der Notfall sie von ihren Gefühlen für Lars ablenkt, die sofort wieder in ihr brodeln. Auf keinen Fall darf sie zulassen, dass dieser Mann ihr noch einmal das Herz bricht!
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Petra Schier, Jahrgang 1978, lebt mit Mann und Hund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel. Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2003 als freie Autorin. Ihre historischen Romane erscheinen im Rowohlt Taschenbuch Verlag, ihre Weihnachtsromane bei Rütten & Loening sowie MIRA Taschenbuch.
Unter dem Pseudonym Mila Roth veröffentlicht die Autorin verlagsunabhängig verschiedene erfolgreiche Buchserien.
Petra Schier ist Mitglied in folgenden Autorenvereinigungen: DELIA, Syndikat, Autorenforum Montségur
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