Banner Vier Pfoten am Strand

Es sind jetzt nur noch ganz knapp drei Wochen, bis mein zweiter Lichterhaven-Roman erscheint, das ist ein ausgesprochen guter Grund für einen weiteren Sneak Peek, findet ihr nicht auch? Nachdem der letzte ja durchaus ein bisschen heiß war, dürft ihr euch diesmal ansehen, wie es in den Tagen danach weitergeht. Möglicherweise nicht ganz so, wie alle Beteiligten sich das vorgestellt hatten … oder vielleicht doch? ;-)

Viel Vergnügen!

Ben hustete trotz des Mundschutzes, den er bei seinen Schleifarbeiten aufgesetzt hatte, riss ihn sich vom Gesicht und ging zum Kühlschrank, um sich eine Cola herauszunehmen. Er hatte die kleine Flasche bereits mit einem Zug bis zur Hälfte geleert, als sein Blick auf das verlassene Hundekissen und den Wassernapf daneben fiel. Das Kissen war mit einer feinen Schicht Steinstaub bedeckt. Auf dem Wasser hatten die feinen Staubpartikel einen hässlichen und unappetitlichen Film gebildet. Obwohl in Gedanken noch immer mehr bei seinem Kunstwerk als im Hier und jetzt, griff er nach dem Kissen und schüttelte es kräftig, fluchte aber, weil er damit alles nur noch schlimmer machte. Etwas vorsichtiger klopfte er den Staub heraus, sodass er zu Boden rieselte, und machte sich eine mentale Notiz, so bald wie möglich den großen Industriestaubsauger anzuwerfen. Das Wasser im Napf schüttete er in den Ausguss und füllte frisches nach. Erst dann wurde ihm bewusst, dass er seinen Hund nirgends sehen konnte.
»Boss? Komm her, ich habe frisches Wasser für dich.« Er wartete kurz, doch nichts rührte sich. »Boss?« Stirnrunzelnd sah er sich um. »Komm schon, spiel nicht die beleidigte Leberwurst. Das Wasser ist jetzt wieder ganz sauber.« Noch während er sprach, sah er Boss’ Ohrenschützer mitten in der Halle auf dem Boden liegen. Im nächsten Moment nahm er einen leichten Luftzug wahr und sah, dass die Eingangstür weit offenstand.
»Scheiße!« Mit wenigen Schritten war er an der Tür. »Boss? Boss, komm her! Wo steckst du denn?« Obwohl ihm klar war, dass es sinnlos sein würde, durchquerte Ben noch einmal die Lagerhalle und blickte in jeden Winkel. »Verdammter Mist!« Sein Herzschlag hatte sich unangenehm beschleunigt und ihm wurde schlagartig bewusst, wie sehr er mittlerweile an dem sturen Vierbeiner hing. In Panik zu verfallen, würde aber nicht helfen, also trat er erneut nach draußen und tastete mit den Blicken die Umgebung ab.
Wohin könnte Boss gelaufen sein? Vielleicht runter ans Watt? Ein Blick auf seine Armbanduhr, deren Ziffernblatt er erst einmal ebenfalls von einer dünnen Schicht Steinstaub befreien musste, sagte ihm, dass es früher Nachmittag war. Um diese Zeit zog sich das Wasser gerade zurück und Boss hatte Gefallen an schlammigen Spaziergängen gefunden.
Im Laufschritt steuerte Ben auf den Hafen zu und erklomm von dort aus den Deich. Hoffentlich jagte Boss niemandem Angst ein. Er war zwar harmlos, aber allein durch seine Größe und seinen schweren Körperbau konnte er bedrohlich wirken. Während Ben rannte, wollte er nach seinem Handy greifen, doch es befand sich nicht wie üblich in seiner Gesäßtasche. Irritiert runzelte er die Stirn, bis ihm einfiel, dass er das Mobiltelefon am Morgen an die Ladestation in der kleinen Küchenecke des Lagerhauses gehängt hatte. Fluchend sah er sich um, ließ seine Blicke noch einmal schweifen. Weder auf den Liegewiesen noch auf dem erst schmalen Streifen Watt war weit und breit eine Spur von Boss zu sehen.
Ben hatte inzwischen eine leichte Verzweiflung ergriffen. Er raufte sich die Haare, dann machte er kehrt und eilte zurück zum Lagerhaus. Er musste Christina anrufen. Vielleicht hatte sie eine Idee, wo Boss hingelaufen sein könnte. Dass ihn sein innerer Schaffensdrang beständig aufforderte, zurück an die Arbeit zu gehen, ignorierte er zum ersten Mal seit langer Zeit. Er fühlte sich unwohl dabei, wie gehetzt und von einer merkwürdigen Übelkeit erfasst. Ben konnte nicht recht einordnen, ob sie von seiner Sorge um Boss herrührte oder von der Tatsache, dass dessen Ausreißen ihn selbst von seiner Bestimmung abhielt, dieses verdammte Kunstwerk fertigzustellen.
Die Vision hatte sich ihm mit Macht aufgedrängt und ließ ihn seit Tagen nicht mehr los. Er konnte an kaum etwas anderes denken als an sein Werk – und an die Frau, die die Idee dazu in ihm ausgelöst hatte. Während das Bild der Skulptur sich in seinem Kopf festgesetzt hatte, nahm Christina fast vollständig seine Empfindungen ein. Er befand sich in einem ständigen Zwiespalt, denn er wusste genau, dass er sie mies behandelte.
Mit einer Frau zu schlafen und sich danach nicht mehr bei ihr zu melden, war unterste Schublade. Mit einer Frau wie Christina zu erleben, was sie miteinander erlebt hatten, und danach kein Lebenszeichen mehr von sich zu geben, degradierte ihn in menschlicher Hinsicht so weit, dass er kaum noch tiefer sinken konnte.
Doch er konnte nicht anders. Das Verlangen, diese Skulptur zu erschaffen, vereinnahmte ihn auf eine besondere Weise, die eng mit seinem ganzen Sein verstrickt war. Er musste diesem Bedürfnis nachgeben. Dass gerade dieses Werk noch dazu so eng mit dem, was er gerade erlebt hatte, verbunden war, ja die Idee dazu direkt durch das Zusammensein mit Christina ausgelöst worden war, beruhigte zwar sein Gewissen nicht im Geringsten, ließ ihn jedoch mit einer merkwürdigen, neuartigen Form von Energie zurück. Der Drang, diesem verdammten Stein die Form zu geben, die er vor sich sah, ließ ihm keine ruhige Minute mehr.
Dass Boss weggelaufen war, riss ihn nun so unsanft aus diesem Energiefeld, dass Ben kaum noch wusste, wo ihm der Kopf stand. Sorge vermischte sich mit Zorn, Zorn mit Hilflosigkeit, Hilflosigkeit wurde zu schlechtem Gewissen, was wiederum dazu führte, dass er sich ärgerte, denn ein schlechtes Gewissen hatte er bisher niemals gehabt. Jedenfalls nicht wegen seiner Arbeit und in solch einem Ausmaß.
Was das zu bedeuten hatte, darüber würde er später ausführlich nachdenken müssen, sobald die Skulptur vollendet war. Das hingegen würde nur passieren, wenn er Boss fand. Hoffentlich war dem sturen Hund nichts passiert! Schon stiegen vor Bens innerem Auge Bilder von Autounfällen auf und er fluchte erneut. Als er das Lagerhaus erreichte, umrundete er es zunächst einmal und rief dabei immer wieder nach Boss – vergeblich. Gerade, als er hineingehen und sein Handy holen wollte, vernahm er ein vertrautes, tiefes Bellen.
Er fuhr um seine eigene Achse und starrte Boss an, der von Christina an der Leine geführt auf den Hof kam. Ein Fahrrad neben sich her schiebend, vollendete Christinas Schwester Luisa das Gespann. Die Erleichterung, die ihn durchflutete, nahm ihm für einen kurzen Moment die Luft.
»Boss!« Der Ärger, den er eben noch gespürt hatte, mischte sich mit Freude und letztere überwog eindeutig. Mit wenigen Schritten war er bei seinem Hund, ging vor ihm in die Knie und zog ihn einfach an sich. »Wo warst du denn bloß? Ich bin fast gestorben vor Sorge.«
Huch, wirklich? Das kann ich gar nicht … Du liebe Zeit, so fest hast du mich aber noch nie umarmt. Und gekrault werde ich auch? Hm, das fühlt sich toll an.
Boss stieß ein Brummeln aus, gefolgt von wohligen Knurrlauten.
»Er ist zur Hundeschule gelaufen«, erklärte Christina. »Anscheinend wollte er mich besuchen.«
Ben sah nur kurz zu ihr hoch, konzentrierte sich aber gleich wieder auf den Hund, den er noch immer an sich drückte. »Wie kannst du denn bloß einfach abhauen? Mir ist fast das Herz stehengeblieben. Ich dachte, wir wären inzwischen so was wie Kumpels.«
Kumpels? Also ich weiß nicht. Aber, nun gut, ich gebe zu, dass ich nicht damit gerechnet hätte, dass du so besorgt sein würdest. Du freust dich ja wirklich, dass ich zurück bin. Na ja, ich ehrlich gesagt auch, wenn ich so überschwänglich begrüßt werde. Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Das war so gar nicht meine Absicht. Ich wusste ja nicht, dass ich dir so wichtig bin.
Boss drückte seinen schweren Kopf gegen Bens Brust, hob ihn aber gleich darauf und fuhr mit der Zunge über Bens Kinn.
Hoffentlich bist du jetzt nicht böse mit mir. Das wollte ich nämlich irgendwie gar nicht. Ich war nur so neugierig und mir war langweilig und … Ich dachte, ich wollte weg, aber anscheinend ist dem doch nicht so. Christina zu besuchen ist ganz toll, aber vielleicht warte ich damit beim nächsten Mal, bis wir zusammen gehen. Was meist du?
»Vielleicht war ihm langweilig.« Luisa warf einen kurzen Blick durch die offene Tür des Lagerhauses. »Wie ist er denn überhaupt da rausgekommen?«
Ben erhob sich wieder und nahm von Christina die Leine entgegen. »Ich hatte wohl die Tür nicht richtig hinter mir zugezogen. Keine Ahnung.« Jetzt, da die Sorge um Boss wie ein Stein von ihm abfiel, drängte sich der Energieschub wieder in sein Bewusstsein. Die Vision. Etwas hilflos blickte er von Boss zu Christina, dann schob er den Hund nach drinnen. »Danke.«
Rasch schloss er die Tür hinter sich und blickte zu dem halb fertigen Kunstwerk. Die Energie schwand wieder und er schloss kurz die Augen. »Verdammt!«

***

Christina blickte konsterniert auf die geschlossene Tür. Danke? Das war alles, was er ihr zu sagen hatte? Sie wehrte sich gegen den Ärger, der in ihr aufstieg. Sie hatte kein Recht, wütend zu sein. Es war kindisch. Er war nun einmal, wie er war. Ein exzentrischer Künstler durch und durch. Sie würde sich davon auf keinen Fall beeindrucken und schon gar nicht runterziehen lassen. Sie besaß ein eigenes, erfülltes Leben, das sie unter keinen Umständen von einem Mann vereinnahmen lassen wollte. Auch nicht von ihm.
Betont gelassen, weil Luisa sie fassungslos anstarrte, drehte sie sich um und ging, ebenfalls betont langsam und gelassen, davon.
»Chris, warte mal. Willst du dir das einfach gefallen lassen?« Luisa schloss zu ihr auf und fasste sie bei der Hand. »So kann er dich doch nicht behandeln! Das ist …« Sie stockte und wich zurück, als die Tür des Lagerhauses aufflog und Ben mit erboster Miene auf sie zugestürmt kam.
»Christina!« Dicht vor ihnen blieb er stehen, fasste Christina bei den Schultern und drehte sie unsanft zu sich herum. Für einen langen Moment blickten sie einander stumm in die Augen, dann zog er sie fest an sich und presste seine Lippen auf ihre.
Verblüfft rang Christina nach Atem, was dazu führte, dass er den Kuss sofort vertiefte. Wild und leidenschaftlich küsste er sie, schob ihre Kapuze zurück und vergrub seine Hände in ihren Haaren. Feurige Blitze zuckten zwischen ihnen auf, oder zumindest fühlte es sich für Christina so an. Im nächsten Augenblick löste er sich jedoch schon wieder von ihr. Sein Blick suchte sofort den ihren und ließ ihn nicht mehr los.
»Danke«, wiederholte er dieses eine Wort und es klang beinahe wie ein erleichtertes Seufzen, als er es ausstieß. Für einen kurzen Moment lehnte er seine Stirn gegen ihre. Dann ließ er sie los. »Geh jetzt.« Ohne sie noch weiter zu beachten, kehrte er ins Lagerhaus zurück. Das letzte, was Christina sah, war Boss, der neben einer schwarzen Steinskulptur saß, bevor sich die Tür hinter Ben mit einem vernehmlichen Krachen schloss.
Ihr Herz vollführte einen wilden Tanz in ihrer Brust, ihre Wangen glühten und ein seltsam leichtes Gefühl erfasste sie von Kopf bis Fuß. In ihrer Magengrube flatterten tausend Schmetterlinge um die Wette.
»Wow.« Luisa stieß neben ihr hörbar die Luft aus. »Das war …«
»Ich weiß.« Christina legte kurz ihre Hände an die Wangen.
Luisa sah sie forschend von der Seite an. »Bist du dir da wirklich sicher?«
Verwundert sah Christina ihre Schwester an. »Was meinst du?«
»Dieser Kuss eben … der war geradezu episch.«
»Episch?« Irritiert und mit einem Anflug von Spott musterte sie Luisa. »Was soll das denn heißen?«
Ihre Schwester knabberte nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Ich weiß auch nicht. Bist du ganz sicher, dass er und du … dass ihr nur eine Affäre habt? Für mich sah das eben nämlich nach einer ganzen Menge mehr aus.«
Das Flattern in Christinas Magengrube verstärkte sich noch. »Du irrst dich. Er ist einfach so. Leidenschaftlich.«
»Mhm, deshalb strahlst du auch wie ein Honigkuchenpferd.« Auf Luisas Lippen erschien ein Lächeln. »Was auch immer es ist, es scheint dich glücklich zu machen. Und er ist anscheinend doch kein so großes Arschloch, wie ich dachte.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass er arbeitet.«
»Und wie er das tut.« Luisa wurde wieder ernst. »Hat du den Stein gesehen? Er sah aus wie ein Auge, aus dem ein Stern herausgebrochen ist.«
»Ja.« Christinas Herzschlag beschleunigte sich erneut und eine Welle undefinierbarer Gefühlen überrollte sie. »Genauso sah er aus.«

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Ein Sommer Auszeit um an seinen Skulpturen zu arbeiten, mehr sucht Ben eigentlich nicht in dem kleinen Ort am Meer! Aber dann stolpert ihm der junge Rüde Boss über den Weg und Ben beschließt, ihn bei sich aufzunehmen. Der Hund stellt Bens Leben auf den Kopf und seine Geduld auf eine harte Probe. Niemals wird er es alleine schaffen, ihn zu bändigen. Zum Glück ist da noch Christina. Sie leitet die Hundeschule und scheint genau die Richtige für Boss zu sein. Und vielleicht auch für sein neues Herrchen …

 Cover Vier Pfoten am Strand
Vier Pfoten am Strand
Petra Schier

MIRA Taschenbuch, 428 Seiten
ISBN: 978-3-955767-88-4
9,99 €

Auch als eBook erhältlich.

Erscheint am 3. April 2018

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