Seit dem letzten Textschnipsel zum meinem fünften Lichterhaven-Roman sind schon wieder gute sechs Wochen vergangen, deshalb wird es allmählich Zeit, dass ihr einen weiteren Blick in den Text werfen dürft. Diesmal habe ich euch eine sehr emotionale Szene herausgesucht und bin schon sehr darauf gespannt, wie ihr sie findet bzw. empfindet. Ihr dürft mir in den Kommentaren gerne eure Eindrücke übermitteln, wenn ihr möchtet.

Aus dem 5. Kapitel

Für einen Moment blickte Ella zufrieden auf ihr Werk. Es gab direkt vor dem Haus keine Straßenlaterne, deshalb hatte sie mehrere Erdspieße mit bunten, kugelförmigen Solarleuchten vor dem Eingang verteilt, die ihr kleines Häuschen und den Vorgarten nun in ein fast schon märchenhaftes Licht tauchten. »Das ist ein Vorgarten, wie er sein sollte«, murmelte sie und warf Jörn einen Blick zu, doch er war bereits ausgestiegen, und ehe sie sich’s versah, hatte er ihr schon wieder die Tür geöffnet. Fehlte nur noch, dass er ihr helfend eine Hand hinstreckte. Ehe er das womöglich tatsächlich tun würde, stieg sie rasch aus und strich ihre Bluse glatt. »Danke fürs Nachhausebringen.«

»Kein Problem.« Nachdem er Barnabas aus dem Kofferraum gelassen hatte, reichte er ihr die Leine. »Versuch, ein bisschen weniger hektisch mit ihm umzugehen. Oder gib ihm zumindest Zeit, sich an dich zu gewöhnen.«

Widerwillig nickte sie. Gerne hätte sie im Kontra gegeben, wusste aber nicht recht, ob das sinnvoll war, da er ihr ja gerade einen lukrativen Nebenjob angeboten hatte. Ganz zu schweigen von seinem Angebot, ihr die Handzeichen beizubringen, auf die Barnabas so perfekt zu reagieren schien. »Ich wusste gar nicht, dass ich so schwierig bin, dass man sich erst an mich gewöhnen muss.«

»Schwierig vielleicht nicht, aber anstrengend.« Er grinste schief. »Was das angeht, hat Barnabas hoffentlich mehr Glück als ich.« Auf ihr fragendes Stirnrunzeln hin zuckte er mit den Achseln. »Mir ist es bis heute nicht gelungen, mich an dich zu gewöhnen.«

»Na, vielen Dank für die Blumen.« Sie wusste nicht recht, warum seine Worte sie so trafen. Immerhin ging es ihr mit ihm doch genauso. »Ich hoffe, ich bin für dich keine allzu schlimme Belastung.« Schon wollte sie sich abwenden und zur Haustür gehen, doch er hielt sie am Arm fest.

»Warte mal.« Er musterte sie im dämmrigen Licht der Solarleuchten eingehend. »Das sollte keine Beleidigung sein.«

»Schon klar.« Missmutig entzog sie sich seinem Griff.

»Nein, offenbar ist dir das nicht klar, Ella.«

»Doch, doch.« Sie nahm die Leine kürzer und zog Barnabas einfach mit sich. »Glasklar. Also … bis …« Sie schluckte. »Bis Samstag dann.« Ohne ihn noch einmal anzusehen, schloss sie die Haustür auf und zerrte Barnabas hinter sich her ins Haus.

He, warte mal, was soll das denn? So unsanft brauchst du nun auch nicht mit mir umzugehen. Knurr!

»Halt die Klappe.« Wütend – auf sich selbst ebenso wie auf Jörn – knallte sie die Tür ins Schloss, ließ Barnabas von der Leine und ging, ohne das Licht einzuschalten, hinüber in den kleinen Wohnbereich. Dort warf sie sich auf die alte, schon etwas abgeschabte Zweisitzercouch.

»Ella?« Jörn klopfte gegen die Tür. »Komm schon, was ist denn los mit dir? Mach die Tür auf.«

Sie hielt sich die Ohren zu, kniff die Augen zusammen und fühlte sich dumm und kindisch. Trotzdem ließ sie die Hände erst wieder sinken und öffnete die Augen, als sie sich sicher sein konnte, dass Jörn weggefahren war.

Hallo? Was ist denn los? So komisch habe ich dich ja noch nie erlebt. Barnabas trat neben sie und schnüffelte an ihrem Bein. Als sie nicht reagierte, legte er ihr den Kopf auf den Oberschenkel. Ach, und übrigens, mein Wassernapf ist leer. Wenn du den wohl auffüllen könntest?

»Lass mich in Ruhe.« Ella zog die Beine an und drehte sich so, dass sie auf dem Sofa halb lag und halb saß. Müde legte sie den Kopf in den Nacken und schloss erneut die Augen. »Lass mich einfach in Ruhe.«

Aber … Ich habe Durst, Ella. Wirklich. Ganz arg. Mit einem Winseln stupste Barnabas Ella seine Nase gegen den Unterarm.

»LASS MICH IN RUHE!« Ihre Stimme kippte über.

Barnabas machte einen entsetzten Satz rückwärts, stieß dabei gegen den Couchtisch, bellte erschrocken, als ein Stapel Zeitschriften zu Boden flog, und flüchtete mit eingezogenem Schwanz hinter die winzige Kücheninsel.

Hilfe, was machst du denn? Warum schreist du mich denn so an? Ich habe doch nur ganz nett um Wasser gebeten.

Entgeistert blickte Ella Barnabas hinterher, und plötzlich kamen ihr die Tränen. »O Gott. Scheiße. Tut mir leid.« Obwohl sie kaum etwas sah, rappelte sie sich auf und eilte hinüber zur Küchenzeile, die dem Wohnraum offen angeschlossen war. Barnabas kauerte zitternd und mit eingeklemmter Rute hinter der Insel und wich vor ihr zurück, als sie näher kam. In ihrer Kehle wuchs ein schmerzhafter Kloß, und noch mehr Tränen schossen ihr in die Augen. »Barnabas.« Schluchzend kniete sie sich hin. »Tut mir leid, ich wollte nicht so schreien.«

Hast du aber gemacht und mir einen Riesenschrecken eingejagt. Mit argwöhnischem Blick blieb Barnabas auf Abstand.

Schniefend wischte Ella sich mit dem Handrücken über die Augen. »Tut mir so leid. Ich mache einfach alles falsch. Vielleicht sollte ich ein neues Zuhause für dich suchen. Offenbar bin ich als Hundefrauchen null geeignet. Du hast echt was Besseres verdient.« Der Kloß in ihrer Kehle wuchs noch weiter und verursachte ihr immer mehr Schmerzen. Keuchend stützte sie sich mit den Händen auf dem Boden ab und versuchte, ruhiger zu atmen, doch das machte es noch schlimmer. Schließlich rollte sie sich einfach auf dem Fußboden zusammen, zog ihre Knie an und schlang ihre Arme so fest darum, wie es nur ging.

Äh … Ella? Was ist denn jetzt los? Geht es dir nicht gut? Oje, mit Ella stimmt etwas nicht. Nun mache ich mir doch ziemliche Sorgen. Vorsichtig tappte Barnabas näher und schnüffelte an Ellas Haaren, woraufhin sie jedoch noch heftiger schluchzte. Oh, oh, oje, da stimmt aber etwas ganz und gar nicht. Was mache ich denn jetzt? Ella? Hallo? Wuff? Vollkommen verunsichert schnüffelte Barnabas weiter an Ella und versuchte, ihr übers Gesicht zu lecken.

Zunächst versuchte Ella, der Hundezunge auszuweichen, doch dann stieg ein trockenes, verzweifeltes Lachen in ihr auf. »Nicht, Barnabas, hör auf.« Ihre Stimme zitterte stark. Nur mit Mühe rappelte sie sich in eine sitzende Position auf und wischte sich den Hundesabber von der Schläfe. »Du bist viel zu nett zu mir, und das, obwohl ich dich so garstig angeschrien habe.«

Kann sein, aber ich mache mir trotzdem Sorgen um dich. So seltsam hast du dich noch nie verhalten und auf dem Boden gelegen und geweint. Das ist mir total unheimlich. Noch viel unheimlicher als dein Geschrei eben. Mit fragendem Blick ließ Barnabas sich auf sein Hinterteil sinken und wedelte verunsichert mit der Rute. Geht es dir jetzt wieder besser?

»O Mann, ich bin echt nicht mehr zu retten.« Kopfschüttelnd stand Ella auf. Dabei entdeckte sie den leeren Wassernapf und schnappte ihn sich. »Du hast ja gar nichts mehr zu trinken.«

Sagte ich doch. Ich habe Durst.

Rasch füllte sie den Napf und stellte ihn wieder an seinen Platz. Barnabas tauchte sofort seine Schnauze hinein und trank gierig. Ella sah ihm zu und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kühl-Gefrierkombi. »Wahrscheinlich bin ich wirklich nicht das richtige Frauchen für dich. Am Montag werde ich zu Christina in die Hundeschule gehen und sie fragen, ob sie ein gutes Zuhause für dich weiß. Eins, in dem du nicht wie blöd angeschrien wirst.« Obwohl allein der Gedanke, Barnabas wegzugeben und ihre Großmutter damit schwer zu enttäuschen, ihre Augen erneut brennen ließ, beschloss sie, diesen Plan unbedingt in die Tat umzusetzen. Nachdem sie auch noch ein paar Hundekuchen in Barnabas’ Futternapf gelegt hatte, schleppte sie sich zurück zum Sofa und kauerte sich erneut darauf. Jörn hatte gesagt, sie müsse sich und Barnabas Zeit geben. Vielleicht hatte er sogar recht, doch es war nun einmal so, dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wie sie mit dem Hund umgehen sollte.

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