Unglaublich, oder? Meine Website ist tatsächlich schon runde 20 Jahre alt. Wo ist bloß die Zeit geblieben? Und könnt ihr euch noch erinnern, wie eine Website vor 20 Jahren ausgesehen hat?

Diese Frage habe ich mir über meine Website natürlich auch gestellt, konnte mich aber irgendwie so gar nicht mehr richtig erinnern. Zum Glück gibt es ein Archiv namens Wayback Machine im Internet, das bis ins Jahr 1996 zurück Abbilder von so gut wie allen jemals auf der Welt veröffentlichten Websites gespeichert hat. Ob das nun datenschutzrechtlich begrüßenswert ist, sei mal dahingestellt, aber ich finde dieses Archiv einfach wundervoll. Mit seiner Hilfe konnte ich nämlich Nachforschungen erstellen und werde euch in den kommenden Wochen auf eine Zeitreise in die Vergangenheit mitnehmen.

Zu jedem der vergangenen 20 Jahre werde ich einen Blogartikel verfassen und euch Screenshots beifügen, damit ihr mitverfolgen könnt, wie sich meine Website entwickelt und verändert hat.

2002 – So fing alles an …

Im Jahr 2002 war ich noch ein unbeschriebenes Blatt, hatte aber (Achtung, Wortspiel!) schon unzählige Blätter beschrieben. Mit anderen Worten: Ich hatte bereits einen historischen Roman verfasst und Ideen sowie wie angefangene Manuskripte zu etlichen weiteren Büchern. Verlegt war damals aber noch nichts von mir und auch eine Literaturagentur hatte ich noch nicht.

Das sollte sich zwar bald ändern, doch im Jahr 2002 wollte ich, wie viele andere Autorinnen und Autoren, erst einmal irgendwie auf dem Spielfeld des Literaturmarktes sichtbar werden. Ich gehöre vermutlich zu den allerersten und auch nur relativ wenigen Autorinnen und Autoren, die damals schon eine Website betrieben. Es war zu der Zeit auch tatsächlich eine gute Möglichkeit, Sichtbarkeit zu erlangen. Mehr dazu in späteren Blogartikeln.

Bis dahin war ich in einer Schreibgruppe aktiv, der WWG oder auch WebWritersGroup. Sie existiert schon lange nicht mehr, aber ich erinnere mich noch gut, dass wir uns über eine Mailingliste ausgetauscht und unsere Texte gegenseitig gelesen und kritisiert haben. Facebook, Instagram und Konsorten gab es noch nicht. Soziale Netzwerke waren damals eher Literaturforen und Websites, die zum Beispiel Leseproben unveröffentlichter Romane ausgestellt haben. Dort musste man sich in der Regel bewerben und anmelden und gewisse qualitative Mindeststandards erfüllen, um einen der begehrten Plätze zu ergattern. Denn tatsächlich tummelten sich dort damals auch Agenturen und Verlage, um sich diese Leseproben anzusehen und vielleicht den nächsten Bestseller zu entdecken.

Die “Romansuche.de” von Heike Prassel ins Leben gerufen, war eine der wichtigsten Plattformen in dieser Hinsicht, existiert aber heute nicht mehr. Ich hatte auch einige Leseproben dort positioniert, dazu gleich noch mehr.

Ich wollte also sichtbar werden, was mir auch gelungen ist, und gleichzeitig gleichgesinnten Autor:innen die Möglichkeit bieten, sich zu vernetzen und ebenfalls sichtbar zu werden. Deshalb hatte ich eine Autorengalerie, in der ebenfalls Leseproben anderer Schreibenden veröffentlicht wurden und auch damals schon eine Info- und Tipps-Rubrik für Autorinnen und Autoren. Nicht so umfangreich wie heute, aber immerhin schon mit vielen guten Ratschlägen und dem Beginn meiner Liste von seriösen Literaturagenturen, die bis heute besteht.

So sah meine Website im Jahr 2002 aus

Hier und da sind zwar ein paar Buttons nicht sichtbar, weil die Wayback Machine sie nicht mitgespeichert hat, aber ich denke, die folgende Fotogalerie gibt einen guten Eindruck davon, wie meine Website, damals noch unter www.petralit.de.vu erreichbar, ausgesehen und welche Rubriken es gegeben hat.

Wenn ihr auf die einzelnen Galerie-Bilder klickt, öffnet sich der jeweilige Screenshot in einem neuen Fenster größer, damit ihr es euch genauer anschauen könnt.

Wie ihr seht, gab es sogar damals auch bei mir ein Literaturforum. Dazu werde ich euch in einem der kommenden Blogbeiträge noch ein bisschen mehr berichten. Ich hoffe, ich finde im Archiv der Wayback Machine ein paar gute Abbildungen dazu.

Leseprobe aus dem Jahr 2002

In meiner damaligen Rubrik “Projekte” seht ihr drei verlinkte Geschichten, die ihr alle drei inzwischen kennen dürftet, wenn ihr meine Bücher lest.

Das hölzerne Kruzifix: Dies war der ursprüngliche Arbeitstitel meines ersten historischen Romans, den ich bereits geschrieben habe, als ich Abitur gemacht habe, also um das Jahr 1996 herum. 2002 hatte ich das Manuskript bereits unzählige Male überarbeitet und wollte es der Welt über meine Website (und die Romansuche) zugänglich machen. Natürlich in der Hoffnung, es würde von einer Agentur oder einem Verlag entdeckt.

Erst sieben Jahre später, im Jahr 2009, erschien dann der erste Teil dieses Manuskripts unter dem Titel Die Eifelgräfin bei Rowohlt, 2011 der zweite Band Die Gewürzhändlerin. Hierzu hatte ich die Geschichte allerdings noch einmal völlig neu geschrieben. Der ursprüngliche rote Faden blieb erhalten, aber ich hatte mich ja stilistisch deutlich weiterentwickelt und zudem sollten ja auch einem Buch zwei werden, sodass der Plot noch einmal erweitert wurde. 2015 setzte ich die Reihe dann noch einmal mit dem Roman Die Bastardtochter fort und machte die Kreuz-Trilogie komplett.

Weil ihr nun aber ganz bestimmt total neugierig seid, wie das ursprüngliche Manuskript sich lesen ließ, habe ich euch im Folgenden die Leseprobe aus den Untiefen des Webs herausgesucht, so wie sie im Jahr 2002 auf meiner Website zu finden war.

Leseprobe “Das hölzerne Kruzifix”

1. Kapitel

Spätsommer Anno Domini 1347

“… und so versenkte die edle Burgfrau eines Nachts die Schätze der Burg im tiefen, tiefen Brunnen, auf dass die Angreifer sie nicht rauben konnten …”

Um die Feuerstelle einer Bauernkate in dem Dorfe Blasweiler in der Eifel saß der Bauer Hein Bongert mit seiner Frau Traud, den Kindern Luzia, Tünn und Elsa und der Großmutter. Die Kinder blickten gespannt auf die alte Frau, die eine Geschichte erzählte, während in einem Topf über dem Feuer eine Gemüsesuppe köchelte, deren würziges Aroma den Raum durchzog.
“Doch das Schicksal wollte es, dass alle Burgbewohner beim Ansturm des Feindes umkamen, und so nahm die Burgfrau das Geheimnis um das Versteck mit ins Grab. Deshalb liegen die Schätze noch heute auf dem Grunde des Brunnens. Obwohl schon so mancher Edelmann und Bauer versucht hat, die Kostbarkeiten zu heben, ist es doch noch keinem gelungen. Die Bedingung ist nämlich, dass man es in völligem Schweigen tut, aber spätestens beim Anblick des prächtigen Schatzes brach bis jetzt ein jeder in freudigen Jubel aus …”

“Aber Großmutter”, unterbrach Luzia die alte Frau und stand auf, um die Suppe umzurühren. “Wenn die Burgfrau das Geheimnis mit ins Grab genommen hat, woher wissen es denn die Bauern und Edelleute?”

Die Großmutter lächelte geheimnisvoll.

“Das, mein Kind”, antwortete sie, ” ist das Geheimnis einer jeden Geschichte.”
Der zwölfjährige Tünn setzte eine altkluge Miene auf und meinte: “Wenn ich den Schatz fände, würde ich mir den Mund zubinden. Dann könnte ich nicht sprechen und bekäme das ganze Gold!”

“Eine gute Idee”, stimmte die Mutter zu und lächelte belustigt. “Vielleicht tust du das wirklich eines Tages, dann denke an deine alten Eltern.”

“Ha, was hätten wir denn davon”, knurrte Hein und strich sich über den dichten rotblonden Bart. “Der einzige, der sich freut, ist der Grundherr. Der kriegt das ganze Zeug und wir nur ‘ne Mahnung, den Zehnten pünktlich abzugeben. Nee, nee, uns ist der Reichtum nicht beschieden. Auch nicht mit dem bisschen freien Lehen vom alten Simon. Frau, ist die Suppe endlich fertig?”

“Aber ja”, antwortete Traud, und verteilte die Holzlöffel auf dem Tisch mit den beiden rohgezimmerten Bänken. Hein sprach ein kurzes Gebet, dann bedienten sich alle aus dem großen Topf und aßen schweigend.

Da am folgenden Morgen die Heuernte beginnen sollte, ging die Familie gleich nach dem Essen zu Bett. Das Schlaflager der Eltern lag in einer mit Sackleinen abgetrennten Nische. Die Kinder schliefen neben dem Tisch und die Großmutter hatte den wärmsten Platz in der Nähe des Feuers. Alle drei Betten bestanden aus Strohschütten, als Decken dienten Tierfelle.
In der Kate wurde es schnell ruhig. Luzia starrte noch eine Weile in die Glut des abgedeckten Feuers, dachte über die Geschichte nach, die die Großmutter erzählt hatte und träumte vom Reichtum, der ihr als Bauerntochter, wenn auch frei geboren, nicht zustand. Doch schließlich schlief auch sie ein.

Der nächste Tag begann mit dem ersten Hahnenschrei. Nach einem spärlichen Frühstück aus Brot und Milch machte sich Hein daran die Sensen zu schärfen. In der Zwischenzeit molk Traud die einzige Kuh und Luzia fütterte die Hühner und sammelte die Eier ein. Tünn sah seinem Vater zu, während Elsa bei der Großmutter blieb. Die beiden waren die einzigen, die heute nicht mit aufs Feld gehen konnten. Elsa war mit ihren fünf Jahren noch zu klein, die Großmutter würde auf sie und noch einige weitere Nachbarskinder aufpassen, und dabei grobe Wolle spinnen.
Sie genoss die Ruhe, als die ganze Familie fort war und setzte sich in die warme Morgensonne. Gegen Mittag bereitete sie einen Korb mit Brot und Käse vor, und schon bald kam Tünn, um das Essen abzuholen.

“Wie kommt ihr voran?”, fragte die Großmutter.

“Gut”, der Junge strahlte. “Ich kann als schnellster das Gras zusammentragen! Und Mertes hat gesagt, ich darf morgen auf seinem Karren mitfahren.”

“Schön”, stolz klopfte ihm die Großmutter auf die Schulter, “dann bist du ja jetzt schon stark genug das Heu aufzuladen.” Plötzlich hielt sie inne und lauschte. “Sind das etwa Pferde, die ich da höre? Tünn, geh hinaus und sieh nach, wer da kommt.”

Sofort rannte der Junge hinaus und kam schon wenige Augenblicke später wieder zur Tür herein.
“Schnell, Großmutter! Komm mal raus, da sind Reiter ins Dorf gekommen, Reiter von Burg Kempenich.”

“Heilige Maria, ausgerechnet heute, wo alle im Heu sind! Was wollen die denn hier?”

Die alte Frau legte ihre Handarbeit beiseite und trat vor die Kate. Sogleich kamen die beiden Berittenen auf sie zu getrabt.

“He, du da, Alte! Wir suchen den Bauern Hein Bongert. Ist er auf dem Feld?” Die Frau nickte und blickte argwöhnisch vom einen zum anderen.

“Aber ja, natürlich. Was wollt Ihr von ihm?”

“Er hat doch eine Tochter, oder nicht?”

Erschrocken riss die Großmutter die Augen auf.

“Ja”, antwortete sie, “sogar zwei. Diese hier”, sie deutete auf die kleine Elsa, die mit den anderen Kindern neugierig herangekommen war, “und Luzia, die älteste. Sie ist auch im Heu.”

“Wie alt?”, fragte der ältere der beiden Reiter barsch. Die Großmutter kratzte sich am Kopf.

“Ungefähr sechzehn oder siebzehn Lenze, glaube ich. Aber warum? Was wollt Ihr denn?”
Die beiden Männer sahen sich an und nickten. Dann deutete der, der vorher gesprochen hatte, auf Tünn.

“Du, Junge, lauf und hole Hein und die Tochter her!”

Tünn blickte kurz zu seiner Großmutter. Diese nickte kaum merkbar, und der Junge stob davon. Die Männer stiegen von ihren Pferden und verlangten etwas zu trinken. Inzwischen war die alte Frau sehr ängstlich geworden. Sie konnte den Reitern nur Wasser anbieten, das diese schweigend hinunterstürzten. Dann stiegen sie wieder auf ihre Pferde und warteten.
Nach einer Weile kam Hein mit seiner Familie ins Dorf gehastet, gefolgt von den anderen Dorfbewohnern, die ebenfalls wissen wollten, was los war. Als sie vor Bongerts Kate stehenblieben, beugte sich der jüngere Reiter auf dem Pferderücken vor.

“Bist du der freie Bauer Hein Bongert?”

Hein nickte halb grimmig, halb unsicher. “Der bin ich, Herr. Warum ruft Ihr mich mitten in der Heuernte vom Feld weg?”

“Es geht um deine Tochter. Unser guter Herr, Simon von Kempenich, erwartet in Kürze das Fräulein Elisabeth von Küneburg. Sie wird einige Zeit Gast auf der Burg sein und benötigt noch eine persönliche Dienstmagd oder Zofe. Deine Tochter ist im richtigen Alter, gesund und unverheiratet und deshalb genau richtig.”

Ein Raunen ging durch die Menge. Eine solche Arbeitsstelle war begehrt, bedeutete sie doch meistens für die betreffende Person ein gesichertes tägliches Brot und war so etwas wie eine Lebensversicherung, solange das betreffende Mädchen sich vor den Männern in Acht nahm und nicht auf die schiefe Bahn geriet.

Hein warf seiner Frau einen Blick zu. Sie sah erschrocken und erfreut zugleich aus. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und blickte dann wieder zu den beiden Reitern auf.

“Also wollt Ihr meine Luzia gleich nach Kempenich bringen?”
Der Jüngere der beiden antwortete: “Sie darf mitnehmen, was sie selbst tragen kann. Als Freigeborene bekommt sie einen Silberpfennig im Monat, wenn sie gut arbeitet.”
Hein nickte mit undurchdringlichem Gesicht.

“Das ist sehr großzügig”, und zu seiner Frau gewandt raunte er: “Bring das Mädchen in die Hütte und pack ihr ein paar Sachen ein!”

Traud gehorchte, nahm ihre Tochter am Handgelenk und zog sie ins Innere der Kate. Luzia ließ es mit sich geschehen. Wie erstarrt hatte sie hinter ihren Eltern gestanden und den Männern ungläubig zugehört. Erst als nun die Tür hinter ihr und ihrer Mutter zuklappte, kam Leben in sie.

“Mutter”, flüsterte sie mit zitternder Stimme, “ich will nicht nach Kempenich. Ich war doch noch nie auf einer Burg!”

Traud packte Luzia energisch an den Schultern und drückte sie an sich.

“Kind, so eine Gelegenheit hast du nur einmal im Leben! Bedenk doch, du bekommst jeden Tag reichlich zu essen und sogar einen Silberpfennig im Monat. Der Simon ist ein guter Herr, du wirst dich ihm nicht widersetzen, hörst du! Du wirst ihm und diesem Fräulein dienen und uns keine Schande machen.” Sie schob Luzia ein Stück von sich und sah ihr in die Augen. Das Mädchen schluckte hart.

“Mutter, ich will euch keine Schande machen. Das geht nur alles so schnell, ich hab Angst!”

Das Gesicht der Mutter wurde weich und sie strich Luzia zärtlich übers Haar.

“Hab keine Angst, Gott wird dich leiten. Er meint es gut mit dir, glaub mir. Und du wirst es besser haben als deine Eltern. Nun schnür rasch ein Bündel zusammen, die zwei Männer werden sonst ungeduldig.”

Luzia sah sich in der Hütte um, in der sie aufgewachsen war. So ganz konnte sie noch nicht begreifen, was ihr gerade widerfuhr. Mechanisch wickelte sie ein paar Gegenstände und ihr zweites Kleid in ein Tuch ein und verschnürte das Ganze sorgfältig. Dann traten Mutter und Tochter wieder nach draußen. Die Leute standen noch da wie eben und tuschelten miteinander. Der jüngere Reiter nickte ihr zu.

“Fertig? Willst du dich noch verabschieden? Es wird Zeit.” Wie zur Bestätigung tänzelte sein Pferd unruhig hin und her.

Unsicher legte Luzia ihr Bündel auf den Boden und ging zu ihrem Vater. Schweigend sahen sich die beiden einige Augenblicke an, dann hob Hein die rechte Hand und drückte kurz ihren Arm. Leise, dass nur sie es hören konnte, sagte er: “Nimm dich in Acht und arbeite hart, wie es uns der Herrgott bestimmt hat!”

Das Mädchen neigte leicht den Kopf und wandte sich dann an ihren Bruder Tünn, der sie frech angrinste und ihr kräftig auf die Schulter schlug: “Guck mal, ob sie auf der Burg nich’ einen Stallburschen brauchen!”

Ehe sie eine Antwort geben konnte, zog die kleine Elsa an Luzias Schürze.
“Gehste jetz’ weg, Luzia?”, wollte sie verwirrt wissen.

Das Mädchen hockte sich vor die kleine Schwester und nahm sie in die Arme.

“Ja, ich geh’ jetzt weg. Ab sofort musst du der Mutter helfen beim Kochen, Waschen und auf dem Feld. Machst du das?”

Elsa nickte mit ernstem Gesicht. “Mach’ ich. Kommste uns denn mal besuchen?”
Luzia zuckte mit den Schultern. “Das weiß ich noch nicht. Vielleicht komm’ ich mal her, wenn ich darf, Kempenich ist ja nicht weit. Zu Martini zum Beispiel, da muss ich doch kommen, wenn die Feuer angezündet werden!”

Neben Elsa stand die Großmutter und lächelte ihrer ältesten Enkelin wohlwollend zu. Sie nahm eine von Luzias Händen zwischen ihre knochigen Finger und meinte mit einem Zwinkern: “Du bist recht, so wie du bist. Bleib so und lass dir von den jungen Rittern nichts gefallen!” Luzia wurde rot.

“Großmutter, ich soll arbeiten auf Burg Kempenich!”

Die alte Frau lachte und drückte sie kurz an sich.

“Recht so”, flüsterte sie, “recht so.”

Zum Schluss wandte sich das Mädchen noch einmal ihrer Mutter zu. Traud hatte das Bündel aufgehoben und unbemerkt etwas hinein geschoben.

“Hier, Kind, es wird Zeit.”

Luzia nahm das Bündel und umarmte ihre Mutter herzlich.
Der ältere der beiden Reiter wurde ungeduldig.

“Weiber”, knurrte er und verzog unwillig das Gesicht. “Bist du endlich fertig, Mädchen? Dann komm, du reitest bei mir mit.”

Zögernd löste sich Luzia von ihrer Mutter und ging zu dem Mann hin. Mit hartem Griff zog er sie hinter sich auf sein Pferd.

“Auf geht’s!”, rief er dem anderen zu und sie setzten sich in Bewegung. Sie ritten an den Dorfbewohnern vorbei, die nun Luzia lautstark alles Gute und viel Glück wünschten und noch ein Stück hinter den Reitern her liefen und winkten. Als sie sich noch einmal zu ihrer Familie umdrehte, sah sie, wie ihre Mutter die weinende und zappelnde Elsa auf den Arm nahm und begütigend auf das kleine Mädchen einredete.

Kaum hatten sie das Dorf hinter sich gelassen, gaben die Männer den Pferden die Sporen. Das Mädchen hatte Mühe, sich festzuhalten und nicht herunter zu fallen oder ihr Bündel zu verlieren. Erst in dem Dorf Cassel verlangsamten sie ihr Tempo und sie atmete erleichtert auf. Sie hatte einen grimmigen Zug um den Mund, so sehr konzentrierte sie sich aufs Reiten. Der jüngere Reiter sah es und grinste vor sich hin.

“Du darfst dich nicht so verkrampfen”, riet er ihr, woraufhin sie ihn wütend anfunkelte.

“Ihr habt gut reden, Herr, Ihr tut wahrscheinlich den ganzen Tag nichts anderes als über die Felder zu galoppieren. Unsereins hat aber leider nicht so oft die Zeit, sich auf etwas besseres als einen Zugochsen zu setzen.”

Der junge Mann lachte schallend.

“Bertram, hörst du das?” rief er. “Die Kleine gefällt mir! Die ist nicht auf den Mund gefallen!”

“Ich würde eher sagen, sie ist ziemlich frech für eine Bauerngöre”, brummte Bertram. “Vielleicht will sie ja den Rest des Weges zu Fuß gehen, Johann.”

“Ach was”, Johann von Manten grinste immer noch, “sie ist doch ganz unterhaltsam!”
Luzia starrte ihn finster an, doch er tat, als bemerke er ihren Zorn gar nicht. Er musterte sie aufmerksam. Sie war mittelgroß, schlank, mit für ihr Alter recht fraulichen Formen, soweit er das durch das sackartige graubraune Wollkleid, das sie in der Leibesmitte mit einem Lederriemen gegürtet hatte, erkennen konnte. Das rotblonde Haar war streng geflochten und um ihren Kopf geschlungen, wie man es meist bei unverheirateten Bauernmädchen sah. Ihre Haut war sonnengebräunt. Sinnend betrachtete er ihr Gesicht, das, wie ihm aufgefallen war, ungewöhnlich hübsch war mit den leuchtenden graublauen Augen, der weich geschwungenen Wangenlinie und den vollen roten Lippen. Die kleine, leicht stupsige Nase wies ein paar vereinzelte Sommersprossen auf und gab ihrem Gesicht etwas Aufsässiges.

Sie ritten mittlerweile auf einem breit ausgefahrenen Waldweg und die Männer trieben ihre Pferde erneut zu einer flotteren Gangart an, so dass Luzia sich wieder krampfhaft an dem Ritter festklammerte.

***


Kempenich war ein großes Dorf mit sauberen Hütten und Häuschen, die sich rund um den Kirchhof scharten. Im Süden lag die Burg auf einer Anhöhe. Luzia blickte sich neugierig um, als sie auf die Vorburg zuritten, die nur aus einem Mauerring bestand. Das Tor, breit genug für große Fuhrwerke, war mit einem Turm überbaut und durch ein Fallgitter gesichert. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es ebenfalls ein Tor und dahinter lagen nach wenigen Metern die beiden Burggräben. Sie überquerten die erste Brücke und dann die zweite, und jedesmal starrte Luzia unbehaglich auf das Wasser unter ihnen, das in der Nachmittagssonne dunkelgrün schimmerte.
Wieder kamen sie durch einen breiten, mit einem Fallgitter gesicherten Torbogen und befanden sich nun in einem Gang, dessen sehr hohe Mauern unüberwindlich schienen und der gerade breit genug für eine Kutsche war. Später erfuhr sie, dass dieser Gang ‚Zwinger’ genannt wurde.
Nun ritten sie langsam durch den leicht nach rechts gebogenen Zwinger auf einen weiteren Durchlass zu. Dieses letzte Tor war von zwei Pforten flankiert und führte in den großen Burghof. Hier herrschte geschäftiges Treiben. Mägde liefen hin und her, in einer Ecke waren Knechte mit Holzhacken beschäftigt, andere luden gerade Weinfässer von einem Fuhrwerk ab. Mitten im Hof übten sich junge Männer – Knappen oder Ritter – im Umgang mit dem Schwert. Ganz rechts gab es eine Remise und daneben war der Pferdestall an das Gemäuer eines hohen Turms gebaut. Gegenüber dem Torbogen lag das Wohnhaus, hinter dem ebenfalls ein Turm aufragte.
Johann stieg von seinem Pferd und half Luzia von Bertrams Reittier herunter. Sie fühlte sich etwas wackelig auf den Beinen, als sie ihm auf sein Winken hin folgte. Breite Stufen führten zum Eingang des Wohnhauses hinauf. Die Tür war weit geöffnet. Im Palas standen einige Männer herum und unterhielten sich gestenreich. An der linken Wand gab es einen riesigen offenen Kamin, neben dem mehrere Frauen in wertvollen Kleidern und mit aufwendigen Kopfbedeckungen saßen. Johann steuerte auf eine von ihnen zu.

“Dame Hedwig”, sprach er sie mit einer knappen Verbeugung an. Sie nickte ihm freundlich zu.

“Johann, Ihr seid schon zurück, schön. Ist das die kleine Bongert aus Blasweiler?” Sie wies mit dem Kinn in Luzias Richtung. Johann nickte.

“Gut, ich werde mich um sie kümmern. Ihr könnt gehen.”

Als Johann verschwunden war, musterte Hedwig das Mädchen und lächelte dann zufrieden.

“Gut, gut”, sagte sie, “du wirst dem Fräulein Elisabeth von Küneburg als Magd dienen. Sie wird morgen im Lauf des Tages hier eintreffen. Bis dahin gehst du mit einer der anderen Mägde mit und lässt dir von ihr erklären, was du im Einzelnen zu tun hast und wie der Tagesablauf auf einer Burg aussieht. Arbeitest du gut, bekommst du im Monat einen Silberpfennig. Hast du mich verstanden?”
Luzia nickte stumm, besann sich dann aber und sagte: “Danke, Herrin.”
Hedwig wandte sich um und winkte eine andere Magd heran.

“Kümmere dich um die Kleine”, befahl sie, wandte sich ab und ließ die beiden stehen.

“Bist du die Neue für das Grafen-Fräulein? Ich bin Leni und wie heißt du?” Leutselig hakte sich Leni bei Luzia unter und zog sie mit sich in Richtung Ausgang. Sie war eine strohblonde, dralle junge Frau mit einem runden Gesicht und großen blauen Augen. Luzia fand sie nicht unsympathisch und lächelte freundlich zurück.

“Ich heiße Luzia. Sie haben mich einfach von zu Hause weggeholt wegen dieser Elisabeth. Ich hatte kaum Zeit, ein paar Sachen zusammenzupacken”, sie hob zum Beweis ihr kleines Bündel. Leni nickte wissend.

“Ja, ja, so machen sie es immer. Und ich wette, ihr wart gerade im Heu und hattet eine Menge Arbeit. Stimmt es eigentlich, dass du frei geboren bist?”

“Ja, das stimmt. Wie ist es denn hier? Ich war noch nie auf einer Burg.”
Leni führte sie zurück in den Burghof.

“Es ist gar nicht so übel. Gutes Essen, saubere Schlafplätze, und wenn du gut arbeitest, wirst du auch gut behandelt. Nur vor den Knappen und den unverheirateten Rittern musst du dich in Acht nehmen, wenn du keinen Wert auf einen dicken Bauch legst. Die treiben sich nämlich gern mit den Mägden in dunklen Ecken herum”, sie lachte, als fände sie das besonders lustig. “Na komm”, meinte sie dann, “ich zeig dir alles. Da draußen”, sie deutete auf das große Tor, “das Gebäude am Anfang des Zwingers hast du bestimmt schon gesehen? Das ist die Schmiede. Und hier rechts geht es in den Viehhof und zu den Ställen.”

Luzia folgte Leni durch eine breite Öffnung in der Mauer, die zwischen Tor und Wohnhaus verlief und fand sich mit einem Mal zwischen Hühnern, Enten und Gänsen wieder. Leni führte sie der Reihe nach durch die Scheune, den Schweine-, Schaf- und Kuhstall und zeigte ihr schließlich noch die Kaninchenzucht.

Neben den Ställen lag das Gesindehaus.

“Es ist ganz neu gebaut worden, damit im Wohnhaus mehr Platz ist. Ich habe dir einen Schlafplatz vorbereitet”, erklärte Leni und zeigte dem Mädchen eine frische Strohschütte.
Luzia legte ihr Bündel dort ab und ließ sich weiterziehen. Sie lernte das Backhaus, die Molkerei und die Brauerei kennen, die sich alle rechts neben dem Wohngebäude befanden und bewunderte den kleinen Kräuter- und Gemüsegarten, den Dame Hedwig selbst angelegt hatte. Dann betraten sie durch einen Seiteneingang das Wohnhaus und standen in einer großen Küche mit drei Feuerstellen, mehreren Tischen und vollgepackten Holzregalen und allerlei Gerätschaften, die Luzia noch nie zuvor gesehen hatte. Eine Menge Menschen wuselten hier herum und waren bereits mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt. Die Luft war heiß und stickig. Essensgerüche vermischten sich mit Fett, Rauch und Schweiß.

Neben der Küche lagen die Wäscherei und ein großer Lagerraum. Außerdem gab es noch eine Kapelle und eine kleine Schreibstube.
Am hinteren Ende war der Palas durch eine Treppe mit dem Turm und dem oberen Stockwerk des Wohnhauses verbunden.

“Da oben sind die Schlafräume der Herrschaften und der Fräulein, und im Turm schlafen die Knappen und unverheirateten Ritter. Die verheirateten haben entweder ein eigenes kleines Gut in der Nähe oder sie wohnen in dem Turm hinter dem Pferdestall.”
Während sie noch an der Treppe standen, wurden im Palas schon die Schragentische und Bänke für das Abendessen aufgebaut. Nach und nach fanden sich immer mehr Menschen in dem Saal ein. Leni brachte Luzia zu einem Tisch in der hintersten Ecke, an dem schon einige weitere Mägde Platz genommen hatten.

“Ei, wen haben wir denn da?”, rief eine von ihnen. Die Frauen starrten Luzia neugierig an.

“Das ist Luzia und sie ist die Neue für das Grafen-Fräulein, das morgen kommen soll”, erklärte Leni.
“Ich hab sie schon überall herumgeführt und jetzt haben wir Hunger. Also macht Platz und lasst uns auch an den Tisch.”

Sofort rückten einige der Frauen zusammen, so dass auf einer der Bänke zwei Sitzplätze frei wurden.

“So so, du bist also die Neue”, stellte eine grauhaarige Frau am Kopfende des Tisches fest. “Ich hab gehört, du seiest aus Blasweiler und frei geboren.” Luzia nickte.

“Ja, mein Vater hat vor etlichen Jahren vom alten Simon II. ein kleines freies Lehen für einen Kriegsdienst erhalten und meine Mutter ist freigeboren …”

“Für einen Kriegsdienst, sagst du?”, unterbrach die Alte sie, “das muss aber schon ein großer Dienst gewesen sein. Wie haben sie dich überhaupt hierher gebracht, wo doch alle Esel und Maultiere auf den Feldern bei der Heuernte waren? Etwa zu Fuß?”

“Ich hab’s gesehen!”, rief ein schwarzhaariges Mädchen, noch ehe Luzia antworten konnte. “Sie saß auf Herrn Bertrams Pferd!”

“Auf seinem Pferd?” Leni fasste sie am Arm. “Das hast du mir ja noch gar nicht erzählt. Hat er dich alleine geholt?”

Luzia schüttelte leicht den Kopf.

“Herr von Manten war auch dabei.”

Begeistertes Kreischen der Frauen und ehrfürchtige Blicke waren die Antwort.

“Johann von Manten”, seufzte die Magd, die direkt neben Luzia saß und verdrehte verzückt die Augen. “Sag, hat er mit dir gesprochen?”

Luzia zuckte mit den Schultern. Sie verstand die Reaktion der anderen nicht ganz.

“Er hat mir einmal gesagt, ich soll mich nicht verkrampfen, weil ich fast herunter gefallen wäre.”

“Oh”, der schwärmerische Ausdruck auf dem Gesicht der jungen Frau neben ihr verstärkte sich noch, “ein wahrer Ritter. Auf der ganzen Burg gibt es keinen zweiten wie ihn!”

“Deshalb bemerkt er dich trotzdem nicht, Nelly, auch wenn du ihn anspringen würdest”, sagte Leni mit einem Grinsen, und zu Luzia gewand erklärte sie: “Nelly hofft schon seit Ewigkeiten auf ein Stelldichein mit von Manten. Ich hab dir ja schon gesagt, wie es manche Ritter mit uns Mägden halten, aber von Manten hat auf der Burg noch keine der Frauen angerührt. Auch nicht eins der Edelfräulein, und das ist doch schon recht sonderbar, findest du nicht? Aber man sagt, er sei in Liebe entbrannt zu einer Dame oder einem Fräulein, die einem anderen versprochen ist, und weil er sie nicht kriegen kann, soll er geschworen haben, enthaltsam zu leben wie ein Mönch.”

“Paperlapapp”, mischte sich die Alte wieder ein, “er soll eine Geliebte in Ahrweiler haben. Sie ist die Frau eines reichen Kaufmanns oder Advokaten, und deshalb gibt er sich mit sowas wie euch nicht ab.”

Während sie sprachen, war an den Tischen der Herrschaften auf der Estrade bereits das Essen aufgetragen worden, mit welchem die Knappen nun den Rittern elegant aufwarteten. Diese wiederum boten den Damen besonders schmackhafte Stücke mit den Fingern an. Luzia beobachtete alles neugierig und entdeckte dabei auch Johann von Manten, der neben einem stattlichen, reich gekleideten Mann, dem Burgherrn Simon, saß. Die beiden Männer unterhielten sich angeregt.
Luzias Blick wanderte weiter zum nächsten Tisch, an dem weitere Ritter und die Edelfräulein aßen. Ihr fiel auf, um wieviel gesitteter es dort zuging im Vergleich zu den Tischen der Knappen und des Gesindes.

Als endlich auch bei ihnen das Essen aufgetragen wurde, musste Luzia sich sehr vorsehen, um nicht von einem der zustechenden Messer verletzt zu werden. Viele Hände griffen gleichzeitig nach dem Brot und in die Schüsseln. Mit einiger Mühe gelang es ihr, ein Stück Schweinefleisch zu ergattern. Viel war es nicht, aber wenigstens hatte sie noch alle ihre Finger. Leni reichte ihr grinsend eine dicke Scheibe Brot.

“Du musst schneller werden, wenn du jeden Tag satt werden willst. Aber keine Angst, es gibt gleich noch einen zweiten Gang.”

Luzia sah sie erstaunt an.

“Einen zweiten Gang?”

“Ja, es gibt zu jeder Mahlzeit eine Speisenfolge in mehreren Gängen. Das hier”, sie hielt ihr Stück Fleisch hoch, “ist der erste Gang. Danach gibt es wahrscheinlich Fisch oder Gemüsepastete.”

“Gemüsepastete und Grütze”, erklärte eine der Frauen. Leni nickte ihr zu.

“Wenn du wissen willst, was es zu essen gibt, frag Trude, sie arbeitet in der Küche, und das sieht man ihr auch an, meinst du nicht? Die Küchenmägde haben ein fettes Leben.”
Trude lachte fröhlich.

“Lange nicht so fett wie das Leben unserer Herrschaften. Einmal möchte ich all die guten Sachen essen, die auf der Estrade serviert werden!”

“Essen sie denn nicht das gleiche wie wir?”, wollte Luzia wissen.
Trudi schüttelte den Kopf.

“Die Herren und Damen kriegen natürlich was besseres als wir. Heute zum Beispiel hatten sie als ersten Gang Hähnchenpastete mit gebackenen Eiern, danach überbackenes Wildbret in Kräutersauce und inzwischen dürften sie bei den gebratenen Wachteln und dem Erdbeerpudding angekommen sein.”

Luzia starrte die Küchenmagd ungläubig an. Sie konnte sich nicht vorstellen zu einer einzigen Mahlzeit drei oder mehr verschiedene Gerichte vorgesetzt zu bekommen.
Leni kaute genüsslich auf dem letzten Bissen Fleisch herum und meinte dann: “Das ist noch gar nichts. Warte erst einmal ab, was alles aufgefahren wird, wenn ein Fest gefeiert wird! Ah, da kommt unsere Gemüsepastete und der Würzwein. Hast du schonmal Würzwein getrunken? Wenn nicht, sei lieber vorsichtig, sonst bist du im Handumdrehen betrunken.”
Luzia nahm sich den Rat zu Herzen, und tatsächlich spürte sie schon nach den ersten Schlucken, wie ihr der Alkohol zu Kopf stieg und sie innerlich wärmte.
Das Abendessen zog sich in die Länge und nachdem alle Schüsseln und Platten geleert waren, wurde Bier und Wein kräftig zugesprochen. Luzia, die es gewohnt war, früh schlafen zu gehen, fielen bald die Augen zu, deshalb stand sie auf und nickte Leni und den anderen freundlich zu.
“Ich glaube, ich gehe jetzt schlafen. Das war heute doch etwas viel für mich.”
Leni lächelte ihr verständnisvoll zu.

“Gute Nacht, Luzia, oder soll ich dich bis zum Gesindehaus begleiten?”

“Nein, das ist nicht nötig”, lehnte Luzia ab. “Ich finde mich schon zurecht.”

Es war noch nicht dunkel, als sie durch die Palastür ins Freie trat, also konnte es doch nicht so spät sein, wie sie gedacht hatte. Durch die schmalen Fenster in der dicken Palasmauer drang nur wenig Helligkeit ins Innere des Wohnhauses, so dass dort immer ein dämmriges Licht herrschte und den ganzen Tag über Fackeln und Kerzen oder Talglichter brannten. Langsam stieg Luzia die Treppe hinunter und sah sich um. Der Burghof lag in der Abenddämmerung ruhig da, nur beim Pferestall liefen ein paar Knechte herum. An der Durchfahrt zum Zwinger und auf den Türmen standen je zwei Wachmänner.

Sie wandte sich in Richtung Viehhof, überquerte ihn und stand dann vor dem Gesindehaus. Die Tür war nur angelehnt und der große Raum dahinter menschenleer. Ihr Bündel lag noch genauso auf der Strohschütte, wie sie es am Nachmittag hinterlassen hatte. Sie öffnete die Schnüre und wickelte ihre wenigen Habseligkeiten aus. Doch plötzlich stutzte sie und starrte auf den Gegenstand, den sie in der Hand hielt. Es war ein hölzernes Kruzifix, an dem oben eine Öse angebracht war, damit man es an einem Nagel oder Holzsplint an die Wand hängen konnte. Ihr Vater hatte es als junger Mann geschnitzt, weihen lassen und ihrer Mutter zur Hochzeit geschenkt. Luzia strich mit den Fingern über das dunkle Holz und mit einem Mal stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie dachte an die enge Bauernkate in Blasweiler, an ihre Eltern und Geschwister und an die Großmutter, die heute bestimmt wieder eine ihrer unzähligen Geschichten erzählt hatte.
Wie bin ich nur hierher gekommen, fragte sie sich. Ich sollte bei ihnen sein und nicht auf dieser Burg, wo ich mich nicht auskenne und wo so ein ganz anderes Leben herrscht! Warum hat der Burgherr ausgerechnet mich für dieses Fräulein Elisabeth ausgesucht? Ob sie auch so hochnäsig dreinschaut und so schöne Kleider anhat wie die anderen Edelfräulein? Und warum bringt sie nicht eine eigene Magd mit?

Diese und weitere Fragen kreisten ihr im Kopf herum, während sie ihr Kleid auszog und unter die Schaffelldecke schlüpfte. Das Kruzifix versteckte sie unter ihrer Strohschütte, dann versuchte sie einzuschlafen.

Es wurde eine unruhige Nacht für sie, denn sie wachte jedes Mal auf, wenn mehr oder weniger betrunkene Knechte und Mägde ihre Schlafstätten aufsuchten. All die fremden Geräusche verunsicherten sie und sie lag lange mit geöffneten Augen da und starrte in die Dunkelheit.

Wie findet ihr diese uralte Leseprobe? Erkennt ihr vielleicht Ähnlichkeiten und/oder Unterschiede zum historischen Roman Die Eifelgräfin?

Und wie findet ihr meine Idee, euch in dieser neuen Blogartikelreihe durch die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte meiner Website zu führen?

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