Der erste Rosenmontagszug fand in Köln am 10. Februar im Jahr 1823 statt. Zwar gab es auch schon vorher den Kölner Karneval und das schon mindestens seit dem Mittelalter, doch erst nach der Zeit der französischen Besatzung wurden die Festlichkeiten von der Obrigkeit organisiert. Bis dahin hat das gemeine Volk den Straßenkarneval (meist unmaskiert) unter einfachsten Bedingungen in den Wirtshäusern oder eben auch unter freiem Himmel gefeiert, während die wohlhabenden Bürger und Kaufleute seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend ihre Maskenbälle in Privathäusern feierten.
Napoleon hatte dem Fastnachtstreiben, vor allem im Rheinland, zunächst rigoros einen Riegel vorgeschoben, es jedoch ganz auszurotten, hatte selbst er nicht geschafft. Nachdem er Fastnachtsumzüge 1795 noch verboten hatte, wurden sie bereits 1804 wieder erlaubt. Nach dem Wiener Kongress 1815 sollte der Kölner Karneval dann grundlegend reformiert und nach preußischen Regularien geordnet werden. Karnevalsgesellschaften wurden gegründet, die ab 1822 dann auch Maskenbälle im Gürzenich veranstalteten. Ein Jahr zuvor war die von den Franzosen eingeführte Lustbarkeitsteuer abgeschafft worden, denn das Interesse der Kölner Bürgerschaft an Maskeraden und dergleichen Veranstaltungen hatte während der gerade herrschenden Wirtschaftskrise und durch die Bemühungen der Franzosen in den Jahren der Besatzung, das Karnevalstreiben gänzlich zu unterbinden, deutlich abgenommen. Die Steuer hatte dazu dienen sollen, die Armenhäuser und sozialen Einrichtungen der Stadt mitzufinanzieren.
Da die Unterhaltung der Kranken- und Waisenhäuser jedoch schon seit jeher auch ein gesellschaftliches Spielfeld und manchmal auch ein Politikum für die wohlhabenden Kölner war, plädierten diese dafür, die Lustbarkeitssteuer wieder einzuführen und an die Veranstaltung eines Maskenumzugs zu knüpfen. Einige der Stadträte gründeten im November 1822 ein “Festordnendes Comité”, das bis heute unter dem Namen Festkomitee Kölner Karneval existiert und agiert. Der erste Präsident dieses Komitees war Heinrich von Wittgenstein.
Der Name “Rosenmontagszug” war zu Beginn dieser neuen Art von Maskenzügen noch nicht verbrieft. Vielmehr wurden die Karnevalszüge Maskenzüge oder Fastnachts- oder einfach nur Festzüge genannt. Woher genau der Name “Rosenmontagszug” stammt, ist nicht abschließend geklärt. Möglicherweise stammt er vom christlichen Rosensonntag, dem vierten Fastensonntag (auch Laetare genannt), an dem der Papst stets eine goldene Rose segnete und an eine verdiente Persönlichkeit überreichte. Am Montag nach dem Rosensonntag (also vier Wochen nach Karneval) trafen sich die Mitglieder des “Festordnenden Comités” regulär zu ihrer jährlichen Sitzung. Deshalb wurde die Gesellschaft auch “Rosenmontagsgesellschaft” genannt. Möglicherweise geht also der Name des Umzugs darauf zurück.
Laut dem “Deutschen Wörterbuch” von Jakob und Wilhelm Grimm hingegen hat sich der Name aus dem mittelhochdeutschen “Rasenmontag“, also den „rasenden Montag“ entwickelt. Hier wird das Wort “rasen” aus dem Wort “rosen” des kölschen Dialekts hergeleitet, was so viel wie “tollen” bedeutet.
In den Anfängen des modernen Kölner Karnevals wurden übrigens keine oder nur wenige Süßigkeiten, die heute so begehrten Kamelle, unter das Volk geworfen. Dieser Brauch entwickelte sich erst eine ganz weile später. Das Wort Kamelle ist von Karamelle abgeleitet, also Karamellbonbons. Möglicherweise wurden diese als Wurfmaterial benutzt, weil sie an die bevorstehende Fastenzeit erinnern sollten, vor der man sich noch einmal gehörig den Bauch mit gutem Essen vollschlagen wollte. Vermutlich um Kosten zu sparen, mischte man die Süßigkeiten jedoch lange Zeit mit Konfetti, Erbsen, Bohnen und Gipskügelchen als Wurfmaterial. Und diese wurden nicht nur von den Zugteilnehmern auf die Zuschauer geworfen, sondern auch umgekehrt. Das führte in späteren Jahren sogar zu Konfettischlachten, die die Obrigkeit teilweise wegen der Verletzungsgefahr verbot.
Einen ganz kleinen Einblick in das Treiben des Kölner Karnevals im Jahr 1824 findet sich in meinem historischen Roman Das Haus in der Löwengasse. Im Folgenden habe ich eine Leseprobe zusammengestellt, die euch sowohl zum Straßenkarneval als auch zum Maskenball im Gürzenich führt. Im Roman benutze ich bereits den Begriff “Rosenmontagszug”, obgleich er, wie oben bereits erwähnt, nicht unbedingt schon verbrieft war. Ab Anfang der 1830er Jahre tauchte er jedoch bereits für diesen Maskenumzug auf und bürgerte sich im Lauf der folgenden Jahrzehnte als feststehender Begriff ein.
Das Haus in der Löwengasse, aus dem 20.Kapitel:
„Sie sehen heute ganz bezaubernd aus, Fräulein Schmitz“, sagte der Hausdiener. „Bestimmt werden Sie sämtliche Männerherzen auf dem Ball im Sturm erobern.“
„Danke, Jakob, das ist sehr nett von Ihnen.“ Pauline lächelte ihm herzlich zu.
Jakob verbeugte sich leicht und wandte sich an Julius. „Wenn ich das sagen darf, gnädiger Herr, auch Sie sind heute äußerst elegant. Sie beide ergeben ein sehr attraktives Paar.“
Ehe Pauline protestieren konnte, winkte Julius bereits ab. „Ach was, Köbes. Dieser ganze Zinnober geht mir jetzt schon auf den Geist. Gut, dass ich mich heute wenigstens hinter dieser lächerlichen Maske verstecken kann.“ Er hielt kurz die schwarze Teufelsmaske vor sein Gesicht, die er auf dem Ball tragen würde. „Also, lassen Sie uns aufbrechen und gute Miene zum bösen Spiel machen!“ Er bedeutete Pauline, ihm voran das Haus zu verlassen.
Auf dem Weg zum großen Festsaal im Gürzenich saßen Pauline und Julius einander schweigend gegenüber. Pauline, die bei sich beschlossen hatte, sich den Abend nicht verderben zu lassen, konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu den Ereignissen des Tages zurückwanderten. Sie war mit Julius und den Kindern am späten Vormittag zu Fuß bis zum Neumarkt gegangen, um den Rosenmontagsumzug zu sehen. Sie hatte sich nichts darunter vorstellen können und war – ebenso wie die Kinder – überwältigt von dem Ereignis. Der Platz und die angrenzenden Straßen waren voller Menschen gewesen. Jung und alt, arm und reich, Männer und Frauen – viele maskiert – drängten sich dicht an dicht. Einige hatten Beutel und Körbe mit Erbsen und gipsernen Kügelchen dabei – wozu, war Pauline ein Rätsel gewesen.
Dann begann der Umzug. Offene Wagen reihten sich hintereinander auf, ihre Zugpferde mit bunten Federn und Girlanden geschmückt. Dazwischen gab es Gruppen von Musikanten. In den Wagen saßen wunderlich kostümierte und größtenteils maskierte Damen und Herren, die der jubelnden Menge zuwinkten und witzige Parolen ausriefen.
Das Gedränge war immer dichter geworden; jeder wollte einen Blick auf die herrlich dekorierten Gefährte erhaschen. Pauline hatte Mühe gehabt, die Kinder im Zaum zu halten.
Und dann lüftete sich das Rätsel um die Erbsen und Gipskügelchen: Die Menschen warfen sie auf die vorüberziehenden Wagen. Deren Insassen besaßen ebenfalls Körbe voll davon und verstreuten das Konfetti munter über den Zuschauern. Schon nach kurzer Zeit hatte Pauline Gipskügelchen in den Haaren, im Kragen und in der Kapuze ihres Mantels. Doch sie achtete nicht darauf. Die befreite, ausgelassene Stimmung und die lustige Lieder, die rings um sie angestimmt wurden, der fröhliche Lärm, den die jubelnden und lachenden Menschen verursachten, übten einen ungekannten Reiz auf sie aus und ließen sie alle Sorgen für eine kurze Weile vergessen. Selbst Julius schien nicht unbeteiligt, auch wenn er nur hin und wieder jemandem auf den Wagen zuwinkte. Pauline nahm Ricarda und Peter bei den Händen und drängte sich bis in die erste Reihe vor, damit die Kinder eine bessere Aussicht hatten. Was für ein Spaß musste es sein, in einem dieser Festwagen mitzufahren! Auf dem Heimweg schwärmten die Kinder von dieser Möglichkeit, was Julius tatsächlich dazu veranlasste, ihnen zu versprechen, sich beim Festkomittee des Kölner Karnevals danach zu erkundigen.
Während des gemeinsamen Eintopfessens in einer überfüllten Schankwirtschaft war er aufgeräumter Stimmung und scherzte sogar ein bisschen mit den Kindern. Zurück in der Löwengasse spürte Pauline jedoch, dass seine gute Laune nur aufgesetzt gewesen war. Sie hätte ihn zu gern gefragt, was geschehen war, doch sie traute sich nicht. Er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und tauchte erst wieder auf, als es Zeit war, sich für den Ball fertigzumachen.
***
Hätten sie nicht bereits vor dem Eingang zum Gürzenich – und noch unmaskiert – die Familie Oppenheim getroffen, so wäre sich Pauline auf dem Ball schrecklich verloren vorgekommen. Sie war überwältigt von der herrlichen Dekoration, den bunten Girlanden und Tüchern, die Wände und Decke des riesigen Saales zierten. Auf dem Ball wurden über vierhundert Menschen erwartet; alles, was in Köln Rang und Namen hatte, aber auch viele Kaufleute und wohlhabende Handwerker hatte sich Karten für dieses Ereignis reservieren lassen. Der Saal summte wie ein Hornissennest. Die Musiker spielten beinahe unablässig flotte Tanzmusik. Im hinteren Teil des Raumes waren üppige Büffets sowie Tische und Stühle für die Gäste aufgebaut; Wein und Bier flossen in Strömen.
„Kommen Sie“, forderte Frieda Pauline auf. „Lassen Sie uns den Saal erkunden und sehen, ob wir jemanden erkennen. Die Herren müssen ja erst ein wenig auftauen, bevor sie Freude an einem Maskenball vortäuschen können. Sie sehen übrigens ganz hinreißend aus, liebe Freundin. Jede Wette, dass Sie in Windeseile eine ganze Reihe von Verehrern Ihr Eigen nennen werden.“
Pauline lachte. „Um Himmels willen, darauf lege ich es gar nicht an.“
„Das müssen Sie auch nicht. Solche Dinge fügen sich immer von selbst.“ Fröhlich hakte sich Frieda bei ihr unter und zog sie mit sich durch den Saal.
„Sie selbst lenken aber auch nicht wenige anerkennende Blicke auf sich“, raunte Pauline ihr zu. „Dieses weinrote Kleid steht Ihnen ganz ausgezeichnet zu Gesicht. Pardon, zu Ihrer Maske.“
Frieda kicherte. „Ich weiß. Wir haben lange gesucht, bis wir einen Farbton fanden, der mit meinen roten Haaren harmoniert. Ich wollte unbedingt ganz in Rot gehen. Das ist so herrlich frivol und schickt sich im Alltag nicht. Aber zu Karneval ist es doch beinahe eine Pflicht, einmal etwas Außergewöhnliches zu wagen.“ Sie neigte sich etwas näher zu Pauline hinüber. „Haben Sie übrigens bemerkt, dass meine Maske das Pendant zu der von Julius ist? Nur, dass die seine Schwarz ist. Rot hätte auch nicht zu ihm gepasst, nicht wahr? Es bedurfte einiges Geschick meiner Mutter und mehrere Treffen mit Annette Reuther, bis sie herausgefunden hatte, welches Modell er für den heutigen Ball wählen würde.“
„Tatsächlich.“ Pauline musterte Friedas Teufelinnenmaske und konnte wirklich eine deutliche Ähnlichkeit mit der von Julius erkennen. Was ihr jedoch auf den Magen schlug, war etwas anderes. „Meine Liebe, Sie nennen Herrn Reuther jetzt beim Vornamen?“
Frieda, die ihre Blicke über die Menschen im Saal hatte schweifen lassen, wandte sich ihr wieder zu. Trotz der Maske, die die obere Hälfte ihres Gesichts bedeckte, war ihr das Strahlen deutlich anzusehen. „O ja, seit wenigen Tagen. Mein Vater hat uns praktisch dazu genötigt, als Julius bei uns zu Gast war. Er hat sich ein bisschen geziert, aber ich bin sicher, er war am Ende genauso erleichtert wie ich. So spricht es sich doch weit besser unter … nun ja … unter den gegebenen Umständen. Meine Mutter hat sogar die Hoffnung geäußert, dass er mir heute auf dem Ball einen Antrag machen wird. Wäre das nicht romantisch?“
Pauline schluckte krampfhaft. „Ja, das wäre es in der Tat.“ Wenn Julius von romantischer Natur wäre, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Kommen Sie, wir gehen zu meinen Eltern zurück, damit er weiß, wo er mich finden kann. Außerdem hoffe ich, dass er mich bald zum Tanzen auffordern wird. Ganz bestimmt ist er ein guter Tänzer. Bei seiner Statur und Haltung.“ Sie lachte und klang tatsächlich ein wenig verliebt. „Schauen Sie ihn sich doch nur einmal an“, flüsterte sie Pauline zu, als sie sich Friedas Eltern näherten.
Julius stand ein wenig abseits, offensichtlich darauf bedacht, sich so wenig wie möglich an den allgemeinen Gesprächen zu beteiligen. Pauline hatte den Eindruck, dass er sie beobachtete, als sie an Friedas Seite zu den anderen stieß, doch seine Miene blieb hinter der Maske weitgehend verborgen. Sie hatten das Ehepaar Oppenheim gerade erreicht, als sich Pauline ein Mann in schwarzem Anzug und mit einer giftgrünen Maske näherte. Er blieb vor ihr stehen und verbeugte sich. „Gnädiges Fräulein, Sie rauben allen Männern im Saal den Atem! Mir ganz besonders. Würden Sie mir die Ehre des nächsten Tanzes erweisen?“
Frieda stieß sie kichernd an. „Sehen Sie, ich habe es doch gesagt!“, raunte sie. „Gehen Sie schon! Amüsieren Sie sich.“
Pauline lächelte. „Vielen Dank, mein Herr. Die Ehre erweise ich Ihnen gerne.“
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Nur das Schicksal kennt ihren Weg
1823. Pauline Schmitz ist Waise. Nach dem Tod ihres Onkels auf sich gestellt, findet die junge Frau eine Anstellung als Gouvernante in Bonn. Der Hausherr hat Hintergedanken: Als sich Pauline gegen seine Nachstellungen zur Wehr setzt, steht sie plötzlich auf der Straße – mit nicht mehr, als in einen Koffer passt. Mittellos und ohne Beziehungen droht Pauline das Schlimmste.
Dann kommt ihr das Glück zuhilfe: Der Kölner Textilfabrikant Reuther nimmt sie in seine Dienste. Und er verliebt sich in sie. Doch Julius Reuther braucht eine Frau mit Geld, will er sein Unternehmen retten. Und Pauline muss sich entscheiden: Folgt sie ihrem Herzen und lebt ein Leben als Mätresse im Verborgenen? Oder geht sie ihren eigenen Weg?
Das Haus in der Löwengasse
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Petra Schier, Jahrgang 1978, lebt mit Mann und Hund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel. Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2003 als freie Autorin. Ihre historischen Romane erscheinen im Rowohlt Taschenbuch Verlag, ihre Weihnachtsromane bei Rütten & Loening sowie MIRA Taschenbuch.
Unter dem Pseudonym Mila Roth veröffentlicht die Autorin verlagsunabhängig verschiedene erfolgreiche Buchserien.
Petra Schier ist Mitglied in folgenden Autorenvereinigungen: DELIA, Syndikat, Autorenforum Montségur
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