Flammen und Seide Textschnipsel

 

Nun sind es nur noch knapp zwei Monate, bis Flammen und Seide erscheint, übrigens, falls ihr es noch nicht mitbekommen habt, auch als ungekürztes Hörbuch. Svenja Pages ist die Sprecherin, und momentan ist sie gerade feste bei der Arbeit und hat auch schon ein paar Aussprachedetails mit mir geklärt. Ich bin bestimmt ebenso gespannt auf das Ergebnis wie ihr.

Auch wenn inzwischen schon wieder ein Monat vergangen ist, befinden wir uns mit dem aktuellen Textschnipsel immer noch im 7. Kapitel.

Ich wünsche euch gute Unterhaltung mit Lucas und Peter, den beiden männlichen Hauptfiguren des Romans.

Als Lucas sich unauffällig in dem geräumigen Zimmer umsah, das der Familie von Werdt als gute Stube diente, wurde ihm bewusst, dass er, obwohl er schon hunderte und aberhunderte Male vorbeigegangen war, niemals eingeladen worden war, es zu betreten. Der Grund war nur allzu offensichtlich, denn als Sohn eines kleinen Lederhändlers gehörte er ganz und gar nicht zu den Menschen, mit denen sich die Familie Werdt gerne umgab. Sie zeigten zwar wenig Standesdünkel, blieben aber dennoch weitgehend unter ihresgleichen.

Die Einrichtung bestand aus dunkeln Eichenmöbeln, klobig und so massiv, dass sie Generationen zu überleben imstande waren. Truhen unter den Fenstern, über und über mit Schnitzereien verziert, an den Wänden hohe Regale, in denen das wertvolle Silbergeschirr ausgestellt wurde, daneben in Leder gebundene Bücher und reich verzierte Krüge und Schalen. Der Tisch bot Platz für sechs Personen, für die jeweils ein hochlehniger Stuhl mit grün bezogenem Polster zur Verfügung stand. Die Fenster waren mit Butzenscheiben verglast, durch die man verschwommen hinaus in den Hof sehen konnte. Kein Vergleich zu der winzigen Stube in seinem Elternhaus, die noch dazu beinahe ständig im Dunklen lag, weil die Fenster mit Lederhäuten abgedichtet waren, die nur in den warmen Frühlings- und Sommertagen fortgenommen wurden.

Mit einem Mal war Lucas froh, dass er erst jetzt mit dieser Zurschaustellung von Wohlstand konfrontiert wurde. Als Kind oder Heranwachsender wäre er vermutlich weitaus beeindruckter gewesen und hätte sich deplatziert gefühlt. Inzwischen hatte er dank seines Postens im Bischöflichen Regiment noch weitaus prunkvollere Häuser betreten und mit sehr viel hohergestellten Persönlichkeiten sprechen dürfen. Deshalb setzte er sich auf von Werdts Wink hin entspannt auf einen der Stühle und lächelte höflich. »Behaglich, fürwahr, das ist der rechte Ausdruck für euer Haus, von Werdt. Man fühlt sich gleich willkommen und wohl. Die Blumen dort in der Vase sind wohl das Werk deiner Mutter, nehme ich an? Sie sind sehr geschmackvoll arrangiert.«

»Die Blumen?« Von Werdt warf der Vase einen kurzen, leicht irritierten Blick zu, so als sehe er sie zum ersten Mal. »Ja, natürlich, die stellt meine Mutter zusammen.«

»Und das Gemälde mit den Jagdmotiven hat bestimmt dein Vater ausgesucht. Der Fürstbischof hat ein ganz ähnliches in seinem Arbeitszimmer hängen.«

»Tatsächlich?« Sichtlich aus dem Konzept gebracht, musterte von Werdt nun auch das in dunklen Grün- und Brauntönen gehaltene Bild neben der Tür.

»Er liebt die Jagd, sagte er mir, und frönt dieser Beschäftigung gern, wenn es seine Zeit erlaubt. Dein Vater ist auch ein versierter Jäger, nicht wahr? Geht er immer noch auf die Pirsch?«

»Selbstverständlich tut er das. Die Jagd ist eine seiner Leidenschaften.« Von Werdt legte den Kopf ein wenig schräg. »Aber genug der Höflichkeiten. Worüber wolltest du mit mir sprechen? Es wird ja recht eilig sein, sonst hättest du mich nicht am heiligen Sonntag damit behelligen müssen.«

Da war er wieder, dieser leicht überhebliche Tonfall, der Lucas schon seit jeher gegen den Strich gegangen war. Vermutlich war sich von Werdt dessen nicht einmal bewusst, dazu war er einfach zu privilegiert aufgewachsen.

Nicht, dass Lucas sich zu den unprivilegiertesten Vertretern der Menschheit zählte, doch die Unterschiede zwischen ihm und dem reichen, vom Leben verwöhnten Peter von Werdt waren nur allzu offensichtlich. Da von Werdt noch dazu gewohnheitsmäßig diese Unterschiede herausstrich, verstärkte sich der Eindruck von Ungleichheit noch. Doch Lucas war inzwischen nicht mehr einfach nur der Sohn des Lederwarenhändlers Johann Cuchenheim, der neben einer meist leeren Geldbörse nichts als Flausen im Kopf und einen gefährlichen rechten Haken vorzuweisen hatte, sondern Hauptmann des Fürstbischöflichen Regiments. Den Aufstieg in diesen Rang hatte er nicht durch Dummheit oder Däumchendrehen erlangt – weswegen er leider auch wusste, dass er sich mit von Werdts Allüren ihm gegenüber arrangieren musste. Er benötigte die Hilfe einer vertrauenswürdigen Kontaktperson, die mit den Rheinbachern auf einem besseren Fuß stand als er selbst.

»Es handelt sich um eine dringliche Angelegenheit, das hast du ganz richtig erkannt«, begann er in dem geschäftsmäßigen Ton, den er sich in den vergangenen Jahren auf diversen Missionen für den Fürstbischof angeeignet hatte. »Zudem möchte ich dich bitten, dieses Gespräch vorerst vertraulich zu behandeln. Es wird möglicherweise früher oder später notwendig werden, den Rat und die Schöffen mit einzubeziehen, doch zu diesem frühen Zeitpunkt wäre das eher wenig zielführend.«

»Du willst mit den Schöffen zusammenarbeiten?« Von Werdt lachte auf. »Dir ist bewusst, dass es sich dabei um dieselben Männer handelt, die damals für deine Verurteilung verantwortlich waren?«

»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen, mein Auftrag ist zu wichtig.«

»Das denke ich mir, aber es dürfte trotzdem interessant werden, dich zum ersten Mal mit dem Schöffenkollegium auf derselben Seite zu erleben. Vor allem, weil das letzte Mal ein wenig, nun, sagen wir mal unrühmlich ausgegangen ist.«

»Mag sein, dass die Sache damals einen unsauberen Verlauf nahm, aber ich bin weder im Kerker gelandet, noch hat man mich um Haus, Geld, Gut und Ehre gebracht, wie es vorgesehen war.« In Lucas‘ Stimme hatte sich ein bitterer Unterton eingeschlichen, den er selbst nach all der Zeit nicht gänzlich unterdrücken konnte. Vielleicht lag es daran, dass gewisse Aspekte seiner Vergangenheit nach wie vom im Dunkeln lagen und sich hartnäckig der Klärung entzogen. Zumindest war er sich mittlerweile ziemlich sicher, das Madlen ihrem Verlobten nichts über ihren Anteil an den damaligen Geschehnissen erzählt hatte.

»Ich wollte dir nicht zu nahe treten, Cuchenheim.« Beschwichtigend hob von Werdt die Hände. »Was vergangen ist, soll vergangen bleiben. Daran zu rühren, wird niemandem nützen. Dann erzähle mir jetzt endlich, worum es sich bei deinem Anliegen handelt und wie ich dir behilflich sein kann.«

Lucas richtete sich ein wenig auf und schob alle Gedanken an die Vergangenheit beiseite. »Der Fürstbischof hat mich beauftragt, einen Verräter in den Reihen von Frankreichs Verbündeten aufzuspüren. Es gibt stichhaltige Hinweise, dass jemand schon seit einiger Zeit Informationen über strategische Belange der Franzosen und der mit ihnen in direktem Kontakt stehenden Regimenter Münsters und Kurkölns an Wilhelm von Oranien weitergibt.«

Von Werdts Gesichtsausdruck wurde ernst, und er schwieg einen Moment, bevor er etwas erwiderte. »Das ist eine schwerwiegende Anschuldigung, die Bernhard von Galen da erhebt. Warum bin ich darüber nicht informiert, wenn laut deiner Aussage auch das Kurkölnische Regiment betroffen ist?«

»Das kann ich dir leider nicht beantworten.« Lucas zuckte mit den Achseln. »Ich hätte gedacht, dass der Fürstbischof dich oder jemand anderen an der Spitze der Kurkölner einbezieht. Vielleicht wurdest du außen vor gelassen, weil du dich gerade aus dem Militärdienst verabschiedet hast.«

»Über die wichtigsten Vorgänge sollte ich trotzdem informiert sein. Meine Quellen versiegen nicht, nur weil ich nicht mehr an vorderster Front mitspiele.« Sichtlich verärgert rieb von Werdt sich übers Kinn. »Ich werde Erkundigungen einziehen.«

»Unter dem Siegel der Verschwiegenheit.«

»Selbstverständlich.« Von Werdt legte die Hände flach auf die Tischplatte, sprach aber nicht weiter, weil in diesem Moment Alma anklopfte und ein Tablett mit dampfenden Schüsseln voller Rührei, duftenden, knusprig gebratenen Speckstreifen sowie in dicke Scheiben geschnittenes Brot auftrug. In Windeseile deckte sie Teller und Besteck auf und eilte wieder hinaus. An ihrer Stelle kam nun ein kleiner, leicht buckliger Mann mit eisgrauem Haar und Bart herein und goss frisch gezapftes Bier aus einem tönernen Krug in die Trinkbecher.

»Danke, Carel.« Von Werdt nickte dem Hausknecht knapp zu, woraufhin dieser sich schweigend wieder zurückzog und die Tür sehr leise hinter sich ins Schloss zog. Schließlich nickte von Werdt Lucas auffordernd zu. »Greif nur zu.«

Da Lucas schon seit den frühen Morgenstunden nichts mehr gegessen hatte, kam er der Aufforderung gerne nach. Da auch von Werdt sich eine ordentliche Portion nahm, dauerte es einen Moment, bevor sie das Gespräch wieder aufnahmen. »Was bringt den Bischof dazu, dich ausgerechnet nach Rheinbach zu schicken? Wir sind doch nun wirklich fernab vom großen Kriegsgeschehen. Zwar leiden wir darunter wie alle großen und kleinen Städte rheinauf und rheinab, aber wir sind beileibe kein Ort, in dem sich ein Verräter verstecken würde.«

»Das kann man nie wissen. Gerade weil Rheinbach so unauffällig ist, könnte es sich als Rückzugsort anbieten.« Lucas formulierte seine Worte mit Bedacht. »Es hat sich herausgestellt, dass mehrere Boten mit prekären Informationen sich hier in der Stadt oder in der näheren Umgebung aufgehalten haben. Leider konnten meine Kontaktleute nicht mehr in Erfahrung bringen. Wir wissen noch nicht, wie sich die Verräter die Informationen beschaffen oder wie sie weitergeben werden. Wer auch immer dahinter steckt, agiert äußerst geschickt, sodass es schwierig werden dürfte, ihn zu enttarnen.«

»Aber warum Rheinbach? Wäre ein anderer Ort oder sogar wechselnde Orte nicht besser?« Skeptisch runzelte von Werdt die Stirn. »Das will mir nicht ganz einleuchten.«

»Vielleicht ist die Verbindung reiner Zufall und diese Spur läuft ins Leere. Oder der Verräter hat aus irgendeinem Grund keine andere Wahl. Möglicherweise ist es ihm nicht möglich, sich weit aus der Stadt zu entfernen. All dies muss geklärt werden. Dazu wäre es mir eine große Hilfe, wenn du dich in der Stadt umhören würdest.«

»Du willst mich also als Spitzel einsetzen.«

»Plump ausgedrückt, ja. »Lucas zuckte mit den Achseln. »Außerdem dürfte es mir mit deiner Unterstützung sicherlich leichterfallen, die Rheinbacher Bürger auf meine Seite zu ziehen und ihnen zu entlocken, was sie vielleicht wissen. Mir ist bewusst, dass ich hier nicht den allerfeinsten Ruf genieße.«

»Nein, ganz sicher nicht. Auch wenn du heute zu Recht frei unter uns weilst, werden nicht alle Einwohner dir wohlgesonnen sein.«

Bedächtig griff Lucas nach seinem Glas. »Manch einer wird mich im Kerker sehen wollen, ganz gleich wie die Wahrheit von damals aussehen mag.« Er trank einen Schluck. »Also?«

Von Werdt hob ebenfalls sein Glas. »Verrat ist ein schwerwiegendes Vergehen, auf das der Tod steht. Was auch immer sich auf deinem Kerbholz angesammelt haben mag, wiegt dagegen weit weniger schwer.« Er nickte Lucas zu. »Ich werde mein Möglichstes tun, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun.«

 

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Wird auch als ungekürztes Hörbuch erscheinen.

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