Es ist an der Zeit für einen weiteren Textschnipsel aus Der Hexenschöffe. Ich weiß, dass viele von euch schon darauf warten, und so langsam wird der Erscheinungstermin ja auch schon in einiger Entfernung sichtbar. Heute dürft ihr in eine Szene auf dem Rheinbacher Marktplatz hineinschnuppern und einen der sadistischsten Hexenkommissare näher kennenlernen: Dr. Jan Möden
»Habt Ihr eine Hexe gefangen?«, schrie eine Frau dazwischen.
Möden machte sie inmitten eines Pulks von Weibern aus. Höflich verneigte er sich in die Richtung der Alten. »Dazu komme ich später, gute Frau. Zunächst einmal möchte ich dem Stadtrat und dem Schöffenkollegium danken. Die guten Männer, die für Euch alle in Amt und Würden stehen, werden mich in meinem Bemühen, diese Stadt von der Pestilenz der Zauberei zu reinigen, mit voller Kraft unterstützen. Seid gewahr, liebe Bürger Rheinbachs, dass dies keine leichte Aufgabe ist und Euren höchsten Respekt verlangt.«
Er schwieg einen Moment und sonnte sich im aufbrandenden Applaus. Dann hob er beschwichtigend die Hände. »Seid dankbar, dass es hier so aufrechte Männer gibt, die bereit sind, alles daran zu setzen, um Euch ein friedliches, gottgefälliges Miteinander zu gewährleisten. Des Weiteren danke ich Melchior Heimbach, Eurem getreuen Gerichtsschreiber, der mir während meines Aufenthalts in Rheinbach so freundlich und selbstlos Obdach gewährt. Glaubt mir, eine solche Gastfreundschaft ist nicht selbstverständlich, aber sie zeigt, welch gute und brave Menschen hier im Ort leben.« Mit einer einladenden Geste winkte er Heimbach zum Podium. Ringsum wurde erneut applaudiert.
Der Gerichtsschreiber trug eine mit Klammern zusammengehaltene Kladde bei sich sowie ein Tintenhorn, das an seinem Gürtel baumelte, und einen Griffel. Auf Mödens Nicken hin setzte er sich zu den beiden Mönchen auf die Bank und begann alles, was fortan gesagt wurde, Wort für Wort mitzuschreiben.
Möden hatte wieder eine kleine Pause eingelegt und wartete, bis sich das Klatschen und aufkommende Stimmengewirr wieder etwas legten. Dann hub er erneut an, diesmal mit sehr ernstem Tonfall: »Es schmerzt mich sehr, dass die Vertreter des Erzbischöflichen Hofgerichts in Bonn es als dringend notwendig erachteten, mich hierher in Eure schöne Stadt zu schicken. Denn es bedeutet, dass schlimme Dinge sich ereignet haben, die sich nur durch den schädlichen Einfluss von Zauberern erklären lassen.« Bedeutungsvoll schaute er in die Runde. »Was meint er damit, werdet Ihr jetzt fragen, wir wissen nichts von Zauberei. Natürlich nicht, Ihr lieben Leute. Wie könntet Ihr auch, seid Ihr doch allesamt – ein jeder und eine jede von Euch – unbescholtene, gottesfürchtige Christenmenschen. Aber so, wie sich der Wolf hin und wieder in den Schafspelz hüllt, um sein Unwesen zu treiben, so tarnen sich auch die bösen Zauberinnen und Zauberer als unauffällige, christliche Bürger, um nicht den Argwohn ihrer Mitmenschen zu erwecken. Und während sie das tun, vollführen sie heimlich die schlimmsten, unaussprechlichsten Untaten, um Euch, liebe Einwohner Rheinbachs, großen Schaden zuzufügen. Erinnert Ihr Euch an den vielen Regen im vergangenen Sommer? An die unzähligen viel zu kalten Tage, die miserable Ernte? Der Winter, war er nicht härter als sonst? Noch jetzt, nicht weit vom ersten Mai entfernt, ist es viel zu kalt. Sagt, kann man das einen Frühling nennen?«
Zustimmendes Gemurmel steigerte sich rasch in ein Gewirr aus erregten Stimmen. Mit einem Wink forderte Möden Koch auf, die Glocke erneut zu schlagen. Sofort verstummten die Menschen wieder.
»Alles nur Zufall, eine Laune der Natur, wie einige von Euch sagen? Vielleicht. Aber wie könnt Ihr denn sicher sein, dass der Teufel nicht seine Finger im Spiel hat? Denkt an die vielen Tiere, die während des langen Winters in Euren Ställen verendet sind. An den Hunger, den Eure Kinder leiden mussten. Und gab es nicht vor einiger Zeit eine Viehseuche hier in der Gegend?« Kurz ließ er seine Worte wirken. »Schlimmer noch – sind nicht in letzter Zeit sogar Kinder Opfer bösen Schadenzaubers geworden? Wie ich hörte, wurde ein Mädchen geboren, dass vollkommen blind ist? Und was ist mit dem armen Jungen, von dem man mir erzählte, der über Nacht an einem furchtbaren Klumpfuß erkrankt ist und nur noch mit Mühe an Krücken sich fortbewegen kann?«
Jetzt war die Menge aufgebracht, lautstark wurde durcheinander diskutiert und gerufen. Möden lächelte in sich hinein. Wie leicht es doch war, die Menschen auf den rechten, den ihm nützlichen Weg zu führen! Nun war es allerdings an der Zeit, einzuschreiten, damit die Leute wussten, wer hier die Macht besaß.
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Über Kommentare, Fragen, erste Eindrücke zu diesem Textschnipsel würde ich mich wie immer sehr freuen.
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Buchvorschautext, Quelle: www.rowohlt.de
Der Hexenschöffe
Historischer Roman
Petra Schier
Rowohlt-Taschenbuch, ca. 450 Seiten
ISBN 978-3-499-26800-7
9.99 Euro
Erscheint im Oktober 2014
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Petra Schier, Jahrgang 1978, lebt mit Mann und Hund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel. Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2003 als freie Autorin. Ihre historischen Romane erscheinen im Rowohlt Taschenbuch Verlag, ihre Weihnachtsromane bei Rütten & Loening sowie MIRA Taschenbuch.
Unter dem Pseudonym Mila Roth veröffentlicht die Autorin verlagsunabhängig verschiedene erfolgreiche Buchserien.
Petra Schier ist Mitglied in folgenden Autorenvereinigungen: DELIA, Syndikat, Autorenforum Montségur
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