Wiewol nach so unwiederbringlichen Ehren- Seelen- Leibs- und Gutsschanden/ den Leuten ein wenig einmal die Augen auffgehen sollen. So bleiben sie gleich wol in solcher Blindtheit/ daß sie umb Richter und Hencker bitten/ ihre Zäuber und Zäuberinnen zu verbrennen/ umb das sie gute Weynen und Früchtbahre Jahren mögen bekommen. Und wan sie durch bidtlich suppliciren das verderbliche/ unsalige/ schädtliche/ ehrletzige Fewr in flam und Brandt haben gebracht/ Dan werden sey selber/ ihre Weyber/ Vatter/ Mutter/ Schwester und Brüder verbrent/ und so haben sey einen Stein auffgeworffen/ und fallet ihnen selber auff ihren Kopff/ eine grub gegraben/ und fallen selber darin.

Hermann Löher:
Hochnötige Unterthanige Wemütige Klage der Frommen Unschültigen

Hermann Löher selbst wurde über 80 Jahre alt.

Wie ihr inzwischen wisst, handelt mein neuer historischer Roman Der Hexenschöffe von Hermann Löher, einem ehemaligen Schöffen am Rheinbacher Hochgericht, der von 1595 bis 1678 gelebt hat, davon bis 1636 in Rheinbach, danach in Amsterdam.

GELEBT HAT! Das sind die beiden Wörter, die mir hier ganz besonders wichtig sind. Es ist ein großer Unterschied, ob man einen Roman verfasst, dessen Figuren man sich als Autorin vollständig ausgedacht und vielleicht bestenfalls an historischen Persönlichkeiten angelehnt hat oder mit diesen zusammentreffen lässt. Oder ob man sich daran wagt, die Geschichte aus der Sicht von Menschen zu erzählen, die wirklich einmal gelebt haben. Dazu bedarf es nämlich nicht nur weit mehr Recherche, bis man wenigstens in etwa einschätzen kann, um was für Menschen es sich gehandelt hat, wie sie gelebt und gehandelt haben. Vielmehr muss man ein hohes Maß an Empathie aufbringen, versuchen, sich in diese Personen hineinzuversetzen. Wie haben sie gedacht und gefühlt, wie kann ihr Leben, ihre Entscheidungen, ihre Gedanken- und Gefühlswelt nachvollziehbar zu Papier gebracht werden?

Wenn man sich Figuren ausdenkt, muss man ebenfalls Empathie aufbringen, und ich will nicht behaupten, dass das immer einfach ist. Aber man kann dennoch die Figuren, zumindest bis zu einem gewissen Grad, nach eigenem Willen formen. Der nächste Schritt ist dann abzuwarten, dass diese Figuren sich beim Schreiben verselbständigen, lebendig werden, möglicherweise eigene, überraschende Entscheidungen treffen.

Schreibt man aber über reale Personen, kann man nicht darauf warten, dass sie selbstständig die Geschichte übernehmen und möglicherweise verändern. Vielmehr schaut man dem Moment entgegen, ab dem man das Gefühl hat, sie nun wirklich zu kennen, zu verstehen, weshalb sie sich zu ihren Lebzeiten für einen bestimmten Weg entschieden haben. So, wie sich fiktive Figuren erst beim Schreiben allmählich entfalten, lernt man reale Figuren auch erst im Laufe der Geschichte so richtig kennen.

Ich will gar nicht behaupten, dass mein Roman die damaligen Geschehnisse 1:1 widerspiegelt. Alles, was ich schreibe, alles, was meine Figuren tun, ist eine Interpretation dessen, was ich in den historischen Quellen vorgefunden habe. Vielleicht war auch alles vollkommen anders, doch ich bilde mir ein, zumindest ein paar der Figuren, allen voran meinen Protagonisten, nach der langen Zeit, die ich nun mit ihnen verbracht habe, tatsächlich einigermaßen zu verstehen. Ob euch Leserinnen und Lesern dies nach der Lektüre des Romans ebenfalls gelingen wird, sei dahingestellt. Ich kann es nur hoffen. Funktionieren kann das nur, wenn es mir gelungen ist, die richtigen Worte zu finden, um die Ereignisse in lebhaften Bildern und Emotionen zu beschreiben.

Ich bin bestrebt, euch die Menschen, die vor fast 400 Jahren gelebt haben, so nahe wie möglich zu bringen. Deshalb habe ich beschlossen, mich (beim Schreiben) und euch (beim Lesen) immer wieder daran zu erinnern, dass es nicht meine reine Phantasie ist, die aus dem Buch zu euch spricht. Es ist vielmehr die Stimme eines Mannes, der nicht eher seinen inneren Frieden finden konnte, bevor er nicht all seine schrecklichen Erlebnisse während der Hexenverfolgung in Rheinbach, all die Gräuel, all das Unrecht, all seine eigenen Entscheidungen, seine Mitschuld, sein Bedauern und seine Reue in Worte gefasst hatte. Diese Worte kann man heute noch in seiner Hochnötigen Unterthanigen Wemütigen Klage der Frommen Unschültigen nachlesen. Die Lektüre dieses über 600-seitigen Werkes ist alles andere als einfach, sondern sehr bedrückend aber auch lehrreich und beeindruckend.

Jedem Kapitel meines Romans habe ich ein Zitat aus Löhers Werk vorangestellt, welches, so hoffe ich zumindest, die Stimmung und den Kern der darauf folgenden Handlung erfasst. Es sind also keine willkürlich ausgewählten Textstellen zur Verschönerung des Romans, sondern es ist Hermann Löher selbst, der zu euch spricht und daran gemahnt, dass ich als Autorin lediglich versuche, diesem Mann meine Stimme zu verleihen, weil die seine längst verstummt ist.

Und das bringt mich auf das Zitat, das ich diesem Artikel vorangestellt habe. Es überschreibt das (derzeit) 18. Kapitel meines Romans und hat mich ganz besonders berührt. Deshalb habe ich es nicht nur ins Buch einfließen lassen, sondern auch beschlossen, es euch vorab in meinem Making-of vorzustellen.

Wenn ihr jetzt noch einmal hochscrollt und es erneut lest, seht ihr es vielleicht schon allein aufgrund meiner kurzen Ausführungen hier mit anderen Augen. Darin spricht nämlich ein alter, über 80-jähriger Mann zu uns, der Zeit seines Lebens nicht vergessen, nicht verarbeiten konnte, was in den Jahren 1631-36 in Rheinbach geschehen war, und vor allen Dingen nicht, welchen Anteil er selbst an den Entwicklungen hatte. Er war sowohl Täter als auch Opfer der Hexenverfolgung und sich dessen vollkommen bewusst.

Wenn man seine Klageschrift studiert, erhält man nicht nur einen interessanten und äußerst lebendigen Einblick in die Geschehnisse jener Jahre, sondern man “hört” und “spürt” geradezu seine Stimme, sein Bestreben, seinen innigen Wunsch, die Menschen – in diesem Fall die weltlichen und kirchlichen Fürsten und Würdenträger, an die sich sein Buch gerichtet hat – aufzurütteln und davon abzuhalten, jemals wieder ähnliche Gräueltaten gegen ihre Mitmenschen zu begehen.

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Ganz Deutschland ist vom Hexenwahn ergriffen. Hermann Löher, Kaufmann und jüngster Schöffe am Rheinbacher Gericht, hat Angst um Frau und Kinder. Er glaubt nicht an Hexerei und die Schuld derer, die bereits den Flammen zum Opfer fielen. Eine gefährliche Einstellung in diesen Zeiten. Als die Verhaftungswelle auch auf Freunde übergreift, schweigt Löher nicht länger. Und schon bald beginnt für ihn und seine Frau ein Kampf gegen Mächte, die weit schlimmer sind als das, was man den Hexen vorwirft …

Buchvorschautext, Quelle: www.rowohlt.de

Cover Der HexenschöffeDer Hexenschöffe
Historischer Roman
Petra Schier
Rowohlt-Taschenbuch, ca. 450 Seiten
ISBN 978-3-499-26800-7
9.99 Euro
Erscheint im Oktober 2014

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