Zu einem Making-of gehören nicht nur Informationen zur Recherche, dem historischen Hintergrund und dem Schreib- und Lektoratsprozes allgemein, sondern selbstverständlich immer auch entfallene Szenen, so genannte Outtakes. Die folgende Textpassage habe ich bereits am 9. April 2014 aus dem Manuskript des Hexenschöffen geworfen, weil sie 1. zu ausführlich geraten ist und 2. sich im weiteren Verlauf Margaretes Charakter so deutlich in eine andere Richtung gewandelt hat, dass diese Szene einfach nicht mehr funktionierte. Ich hoffe, sie interessiert euch trotzdem. Ihr könnt daran schön erkennen, wie viel Text oftmals rein für den (virtuellen) Papierkorb geschrieben wird, und dass man als Autorin oftmals vor die Entscheidung gestellt wird, eine Passage, in die man ja viel Arbeit gesteckt hat, doch wieder zu streichen. Wenn ich es allerdings nicht getan hätte, dann ganz sicher mein Lektor. Aber dazu komme ich in einem anderen Blogartikel. ;-)

Hier mein erstes Outtake für euch:

Der Gerichtsbote hob überrascht den Kopf und drehte sich zu ihr herum. Als er sie erkannte, lächelte er erfreut. »Fräulein Kocheim, auch ich wünsche Euch einen guten Tag. Wie komme ich denn zu der Ehre, von Euch angesprochen zu werden?« Er händigte dem Pastetenbäcker eine Münze aus und nahm die Pasteten in Empfang, legte sie in ein Körbchen, das er mitgebracht hatte.

»Oh, darf ich etwa einen guten Bekannten nicht begrüßen, wenn ich ihn treffe?« Margarete schauderte innerlich, denn sie hatte das Gefühl, sich beinahe wie ihre Mutter anzuhören.

»Selbstverständlich dürft Ihr das, Fräulein Kocheim. Aber sagt, Ihr werdet doch wohl nicht mutterseelenallein hier herumlaufen, oder etwa doch?«

»Nein nein, auf gar keinen Fall.« Sie lachte kirrend. »Meine Magd steht dort drüben am Brunnen. Ich habe ihr erlaubt, ein wenig mit ihren Freundinnen zu klaafen, bis ich mit meinen Besorgungen fertig bin.«

»Das ist aber ausgesprochen großzügig, will ich meinen.«

»Ach, findet Ihr? Man darf aber doch das Gesinde nicht über Gebühr kurzhalten, meint Ihr nicht? Sonst erntet man nur Missbehagen.« Ein wenig klimperte sie mit den Wimpern und nahm zufrieden wahr, dass seine Aufmerksamkeit sich ganz auf sie richtete. Mittlerweile waren sie ein paar Schritte von Pastetenstand fortgegangen. Wie zufällig schlug Margarete eine Richtung ein, die sie an den Rand des Marktes führte, wo mehrere große Linden sowie niedrige Sträucher wuchsen. Dort blieb sie stehen, sicher, dass man sie nun nicht mehr auf Anhieb vom Brunnen oder den Verkaufsständen sehen konnte.

»Sagt, gibt es denn einen besonderen Grund, dass Ihr mich angesprochen habt?«

Offensichtlich war Koch ebenso bewusst wie ihr, dass sie sich ungehörig weit von ihren Mitbürgern entfernt hatten.

Margarete bemühte sich um ein noch gewinnenderes Lächeln. »Ihr seid sehr klug, Herr Koch, deshalb möchte ich es auch überhaupt nicht bestreiten.« Beiläufig berührte sie ihn am Arm, zog ihre Hand jedoch rasch wieder zurück und senkte beschämt den Blick. »Verzeiht, ich … das gehört sich nicht, ich weiß. Es ist nur so … ich freue mich, endlich einmal mit Euch alleine sprechen zu können.«

»Tatsächlich?« Er schien sowohl verwundert als auch erfreut zu sein. Sehr gut.

»Ja, denn wisst Ihr, ich bewundere euch sehr, Herr Koch. Schon immer. Ich meine, Ihr seid ja der Gerichtsbote, und das ist so ein wichtiges Amt und bedeutet so große Verantwortung.«
»Äh, ja, also … natürlich ist das eine wichtige Aufgabe.«

Er begann tatsächlich zu stottern, besser konnte es gar nicht gehen!

»Ich wusste nicht, dass euch dieses Amt so sehr beeindruckt. Das ist doch nichts, was eine hübsche Jungfer im Allgemeinen interessiert.«

»O doch, mich schon, und wie! Ich meine, es ist doch aufregend und spannend, die ganzen Prozesse mitzuerleben und Botschaften für das Gericht von einem Ort zum anderen zu bringen. Ganz bestimmt hat Ihr schon eine Menge erlebt und kennt unzählige Geheimnisse.«

Sie konnte zusehen, wie Kochs Schultern sich strafften, er sich in Positur stellte. Für Lobhudeleien war er also offensichtlich sehr empfänglich. »Natürlich kenne ich so einige Geheimnisse des hohen Gerichts. Selbstverständlich würde ich niemals eines verraten …«

»auf gar keinen Fall!« sie klimperte erneut mit den Wimpern.

»Aber Ihr habt schon recht, mein Amt ist ausgesprochen wichtig für die Stadt Rheinbach.«

Nun berührte sie ihn doch wieder, diesmal sehr bewusst. Sie umfasste seinen Unterarm und blickte mit großen Augen zu ihm auf. »Das hört sich so spannend an. Ich wünschte …« hier brach sie ab und senkte erneut den Kopf.

Wie erwartet, hakte er sogleich nach. »Was wünschtet Ihr, Fräulein Kocheim? Sprecht es nur aus, wir sind ja unter uns, und ich verrate es auch niemandem. Versprochen.«

»Wirklich?« Zaghaft hob sie den Kopf wieder. »Wisst Ihr, ich wünschte, Ihr könntet mir einmal mehr darüber erzählen. Ich höre Euch so gern zu. Aber das schickt sich nicht. Verzeiht, dass ich es überhaupt ausgesprochen habe. Meine Neugier geht manchmal mit mir durch, wisst Ihr. Ich sollte überhaupt nicht mit Euch hier stehen, wo uns kaum jemand sehen kann. Ich bin schließlich verlobt.«

»Keine Sorge, liebes Fräulein Kocheim, unser kleines Geheimnis ist bei mir sicher.« Er tätschelte ihre Hand, die noch immer auf seinem Arm lag. Dabei veränderte sich sein Blick fast unmerklich, glitt über ihr Gesicht, ihren Hals und Oberkörper. Sich knabberte ein wenig an ihrer Unterlippe und tat verlegen. Als sie wie zufällig mit der Zungenspitze ihre Lippen benetzte, weiteten sich seine Pupillen sichtbar.

»Wisst Ihr«, setzte er an und senkte dann seine Stimme zu einem heiseren Raunen. »Wenn Euch so viel daran liegt, könnte ich es vielleicht einrichten …«

»Ja?« Erwartungsvoll sah sie ihn an und zupfte ein wenig an einer kleinen Haarsträhne, die sich an ihrer Schläfe ringelte.

»Ich könnte euch ja einmal ganz offiziell einen Besuch abstatten, als Freund der Familie. Dagegen kann niemand etwas haben, meint Ihr nicht? Dann könnten wir uns in Ruhe aber auch in aller Ehre miteinander unterhalten. Schließlich kann es nie schaden, einer Bürgerin Rheinbachs etwas über die städtische Gerichtsbarkeit zu erklären.«

»Das würdet ihr tun? O, das wäre ja ganz wundervoll. Ich könnte Euch ein gutes Abendessen kochen.«

»Das hört sich ja ausgezeichnet an. Wann wäre es Euch denn recht?« Die Aussicht auf ein gutes Essen schien ihm sehr zuzusagen. Was er sich sonst noch von dem Besuch versprach, konnte Margarete sich denken, und genau das war es, worauf sie baute.

»Wir wäre es mit morgen Abend? Gewiss wird meine Mutter sich freuen, euch bei uns begrüßen zu dürfen.«

»Eure gute Frau Mutter, natürlich.« Das schien ihm nun weniger zuzusagen.

»ja, sie liebt es, Gäste zu bewirten, Obgleich sie sich dann immer schon recht früh zurückzieht. Sie ermüdet recht schnell.« Margarete gab ihren Worten einen so beiläufigen Ton, dann Koch sofort anbiss.

»Nun, dann freue ich mich auf morgen Abend, mein liebes Fräulein Margarete. Aber jetzt sollten wir schauen, wo sich Eure Magd herumtreibt. Nicht, dass sie bereits einen Suchtrupp nach Euch ausgeschickt hat.«

»Margarete wusste, dass diese Sorge vollkommen unbegründet war. Tatsächlich stand Ursel nach wie vor mit den anderen Mägden am Brunnen und hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass ihre Herrin für einige Minuten mit einem verheirateten Mann verschwunden gewesen war.

Höflich verabschiedete sich Martin Koch und ging, noch immer sehr aufrecht und sichtlich geschmeichelt von ihrer Aufmerksamkeit, quer über den Markt davon.

Sie selbst hätte sich beinahe die Hände gerieben, so zufrieden war sie mit sich. Dass es aber so einfach werden würde, hatte sie sich nicht einmal im Traum vorgestellt. Es stimmte offenbar, was Benders Hilla über den Gerichtsboten zu erzählen gewusst hatte: Auch er war außerehelichen Kapriolen alles andere als abgeneigt. Allerdings war er ein Mann von eher unscheinbarer Erscheinung und auch nicht überaus sprachgewandt oder galant. Deshalb ergriff er vermutlich die Gelegenheit, die sich ihm nun bot, umso begeisterter.

Wäre Margarete nicht so entschlossen gewesen, hätte sie sein Eifer vielleicht abgestoßen. Er war mitnichten ein Mann, der sie in irgendeiner Wiese reizte. Weder sein Aussehen noch sein Charakter boten auch nur die geringste Aussicht auf besonders angenehme Stunden der Zweisamkeit. Doch der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel, und da sie wusste, dass ihre Mutter am morgigen Abend nicht zu Hause sein würde, stand dem nächsten Schritt ihres Planes nichts mehr im Wege.

*************************************

Diese Artikel könnten dich ebenfalls interessieren:

Der Hexenschöffe – 5. Textschnipsel
Der Hexenschöffe – Schreiben mit der Stimme eines anderen
Vollständige Artikelreihe zum Making-of von Der Hexenschöffe

*************************************

Petra Schiers großer Schicksalsroman: Eine wahre Geschichte aus dunkler Zeit

Ganz Deutschland ist vom Hexenwahn ergriffen. Hermann Löher, Kaufmann und jüngster Schöffe am Rheinbacher Gericht, hat Angst um Frau und Kinder. Er glaubt nicht an Hexerei und die Schuld derer, die bereits den Flammen zum Opfer fielen. Eine gefährliche Einstellung in diesen Zeiten. Als die Verhaftungswelle auch auf Freunde übergreift, schweigt Löher nicht länger. Und schon bald beginnt für ihn und seine Frau ein Kampf gegen Mächte, die weit schlimmer sind als das, was man den Hexen vorwirft …

Buchvorschautext, Quelle: www.rowohlt.de

SU_978-3-499-26800-7_E9Der Hexenschöffe
Historischer Roman
Petra Schier
Rowohlt-Taschenbuch, ca. 450 Seiten
ISBN 978-3-499-26800-7
9.99 Euro
Erscheint im Oktober 2014

Bei Amazon.de vorbestellen

Alle Informationen zum Buch gibt es auf meiner HOMEPAGE. Wer keine Neuigkeit oder Neuerscheinung verpassen will, kann dort meinen kostenlosen NEWSLETTER abonnieren.

Teilen mit