Ja, ich weiß, viele von euch warten schon schmerzlich ungeduldig auf den dritten Band meiner historischen Pilger-Trilogie. Mir geht es da ganz genauso, das dürft ihr mir glauben. Ich bin nämlich schon ganz extrem gespannt, wie euch dieser Roman gefallen wird. Die 574 Seiten sind prall gefüllt mit spannenden, oft unvorhersehbaren Ereignissen, mit Irrungen und Wirrungen und natürlich mit großen Gefühlen.
Damit ihr euch die Zeit wenigstens ein bisschen vertreiben könnt, habe ich euch heute noch einmal einen Textschnipsel herausgesucht. Ich hoffe sehr, dass er euch sowohl Freude bereitet als auch neugierig auf die weiteren Ereignisse macht.
Aus dem 7. Kapitel
Der Morgen war schon recht fortgeschritten, als Conlin und Reinhild sich gemeinsam hinab zu dem Kellerverlies begaben. Es hatte Conlin einige Mühe gekostet, sie zu überreden, doch er war der Ansicht, dass sie sich gemeinsam um dieses Problem kümmern mussten. Er wusste natürlich, dass sie sich in Oswalds Anwesenheit unwohl fühlte, sich wohl gar vor ihm fürchtete. Der Grund dafür lag, so war er sich bewusst, in der unrühmlichen Art und Weise, in der Oswald sich ihr dereinst vor sieben Jahren aufgedrängt hatte. Jedes Mal, wenn der Gedanke ihn anflog und sich entsprechende Bilder vor sein inneres Auge drängen wollten, war er nur allzu bereit, seinem Bruder die Faust so lange ins Gesicht zu rammen, bis von dem wohlgefälligen Antlitz nichts mehr zu erkennen war. Er hatte sich um Reinhilds willen zusammengerissen, da sie unter allen Umständen zu vermeiden versucht hatte, dass Oswald von seiner Vaterschaft erfuhr. Nun war aber genau dies geschehen, und er hatte Reinhild klargemacht, dass sie in dieser Hinsicht mit Oswald eine Übereinkunft erlangen mussten, die sicherstellte, dass der Name der Grafen vom Langenreth nicht noch weiteren Schaden nahm. Sie durften das Thema nicht einfach totschweigen, sondern mussten gemeinsam – mit Oswald – überlegen, wie sie mit dieser familiären Situation umgehen und wer davon erfahren oder vielmehr nicht erfahren durfte. Was Oswalds Geisteszustand anging, war dies gewiss eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, doch um die Familie nicht ausgerechnet jetzt weiter in Misskredit zu bringen, war ein klärendes Gespräch unumgänglich. Immerhin war Hannes, wenn auch ein Bastard, Oswalds Erstgeborener und hatte möglicherweise sogar ein Anrecht auf Titel und Erbe, wenn Oswald ihn als Sohn anerkennen würde. Es gab so einiges hinsichtlich des Fortbestandes der Familie zu bedenken.
Asbald hatte ihm mitgeteilt, dass Oswald sich offenbar über Nacht wieder beruhigt hatte, sodass Conlin nun prüfen wollte, ob es bereits möglich war, seinen Bruder aus dem selbst erwählten Gefängnis zu befreien. Es würde nicht mehr allzu lange dauern, bis die von Reinhild angekündigte Kundschaft hier eintreffen würde. Bis dahin wollte Conlin sichergehen, dass kein Tobsuchtsanfall seines Bruders die Vertragsverhandlungen überschatten würde. Die Ereignisse vom Vorabend hatten ihm nur zu sehr verdeutlicht, dass es keine gute Lösung war, Oswald in seinem verwirrten Geisteszustand für längere Zeit in der Zelle zu lassen. Sein Gebrüll und irres Gekreisch waren weithin zu hören gewesen. Er würde sich also eine andere, dauerhafte Lösung überlegen müssen. Nun aber galt es zunächst einmal, herauszufinden, ob sein Bruder wieder ansprechbar und für stichhaltige Argumente zugänglich war.
Reinhild blieb dicht bei der Treppe stehen, während er selbst nah an die Zellentür herantrat. »Oswald?« Beinahe hätte er angeklopft, unterließ es dann jedoch. »Bist du wach?«
»Was fragst du so dämlich?«, grollte Oswalds Stimme von irgendwo aus der Zelle. Ein leises Schaben war zu vernehmen, dann Schritte. »Glaubst du vielleicht, ich schlafe hier Nacht und Tag auf dem ach so bequemen Steinboden? Außerdem muss der Nachttopf gelehrt werden, der ist nämlich randvoll. Und mir knurrt der Magen.«
»Du hast einen Nachttopf da drinnen?« Conlin runzelte die Stirn. Hatte Asbald nicht gesagt, die Verlieszelle sei vollkommen leer? Andererseits war es wohl nur sinnvoll, wenn man dem Insassen einen Nachttopf oder Eimer zugestand, solange dieser ihn auch benutzte. »Wie geht es dir?«
»Nun hör schon endlich auf, solche dämlichen Fragen zu stellen! Was glaubst du denn, wie’s mir geht? Ich sitze hier in diesem vermaledeiten Loch ohne Tageslicht und höre mir selbst beim Atmen zu. Wie war deine Reise? Erfolgreich, will ich doch hoffen. Zumindest ist mir nicht zu Ohren gekommen, dass der Schultheiß unzufrieden mit dir ist. Das können wir uns auch nicht leisten. Allerdings wird es langsam Zeit, dass du hier auf dem Gut die Zügel in die Hand nimmst. Man traut sich ja kaum noch an die Öffentlichkeit, weil man überall nur Gerede über die Weiberwirtschaft hört, die hier auf dem Gut seit Wochen herrscht!«
Hinter sich hörte Conlin, wie Reinhild vernehmlich die Luft einsog. »Hat sich jemand darüber beschwert?«
»Kann man nicht sagen«, knurrte Oswald ungehalten. »Geht ja auch nicht anders, wenn du dein Amt vernünftig ausführen willst. Ist ja auch ihre verdammte Pflicht als dein Weib, sich hier um alles zu kümmern. Du kannst froh sein, dass sie nicht ganz so viel Stroh im Kopf hat wie Amalia. Denkende Weiber sind zwar ein Gräuel, in Zeiten wie diesen jedoch leider nützlich und unverzichtbar.«
Diesmal hustete Reinhild vernehmlich, und als Conlin sich zu ihr umdrehte, sah er, wie sie verärgert die Lippen verzog.
»Was war das?«, kam es sogleich von Oswald. »Ist sie hier?« Hinter der Tür waren Schritte zu vernehmen, so als würde Oswald auf und ab gehen. »Öffne die Tür!«, verlangte er schließlich ruppig. Als Conlin dem nicht gleich folgte, schlug Oswald von innen ungeduldig gegen das Türblatt. »Nun mach schon, ich gehe euch schon nicht an die Kehle.«
Conlin drehte sich erneut zu Reinhild um, deren Augen sich ein wenig geweitet hatten. Er stellte ihr wortlos eine Frage, auf die sie nach kurzem Zögern schließlich nickte. Daraufhin trat er erneut an die Tür heran und schob einen der drei Riegel zurück. »Ich warne dich, Oswald.«
»Ja, ja, schon gut.«
Conlin öffnete auch noch die beiden unteren Riegel und zog die Tür vorsichtig auf. Mit einer Hand bedeutete er Reinhild, sich auf die Treppe zurückzuziehen.
***
Reinhild gehorchte bereitwillig und stieg die ersten drei Stufen der Treppe hinauf, sodass sie im Falle eines Falles einen kleinen Vorsprung hatte, sollte Oswald sich auf sie stürzen. Er blinzelte jedoch nur geblendet gegen das Licht des Kienspans an, den Conlin in die Halterung neben der Zellentür gesteckt hatte.
»Wo ist sie?« Suchend sah Oswald sich um, bis er sie schließlich erblickte. Sein Haar war zerzaust, Bartstoppeln bedeckt sein Kinn, und auch seine Kleidung war in Unordnung geraten. Seine Miene jedoch wirkte klar und geradeheraus, nicht im Mindesten mehr umnachtet. Dennoch erschauerte sie leicht, als ihre Blicke sich trafen.
»Reinhild.« Auf seiner Stirn erschienen mehrere Falten, doch er blieb äußerlich vollkommen ruhig.
»Oswald.« Sie verschränkte die Arme vor dem Leib.
»Du hättest Anklage gegen mich erheben müssen.«
Verblüfft starrte sie ihn an. »Wie bitte?«
»Stell dich nicht dümmer, als du bist. Du hättest mich zwingen können, dich zu heiraten. Oder vielmehr dein Vater hätte dies tun können.«
Ihr Magen verkrampfte sich. »Nein.«
»Red kein Unsinn! Es wäre sogar deine Pflicht gewesen.«
»Nein«, wiederholte sie und schluckte gegen das unangenehme Herzklopfen an, dass ihre Kehle emporstieg. »Selbst wenn ich gewollt hätte …« Sie schüttelte den Kopf. »Du warst längst mit Amalia verheiratet, als ich mir sicher war, dass ich … ein Kind erwartete.«
»Verdammichtes Weib!« Erbost funkelte Oswald sie an. »Was soll das heißen, selbst wenn du gewollt hättest? Der Junge ist mein Sohn. Er hätte der nächste Graf vom Langenreth werden können.«
Heftiger Widerwille stieg in ihr auf und ließ sie mutig zwei Treppenstufen hinabsteigen. »Glaubst du allen Ernstes, nach diesem Erlebnis hätte ich auch nur noch für einen Atemzug das Verlangen gehabt, deine Frau zu werden?«
»Um Verlangen geht es hier nicht«, konterte er erbost, »sondern um das, was rechtens gewesen wäre. Stattdessen hast du diese Memme von einem Winneburger zum Vater unseres Sohnes erkoren. Einen größeren Laffen hättest du dir wohl nicht aussuchen können.«
Zorn stieg in Reinhild auf. Sie vergaß ihre Angst, löste die verschränkten Arme und trat auf Oswald zu. »Sprich nicht so über meinen verstorbenen Gemahl! Er war ein guter Mann und Hannes der beste Vater. Und eine Memme war er ganz sicher nicht, denn sonst hätte er wohl kaum in dem Bemühen, während eines Raubüberfalls das Leben einer Jungfer zu retten, sein eigenes gelassen.« Herausfordernd starrte sie ihn an, bis Oswald schließlich seufzend die Luft ausstieß.
»Wenn du es so sehen willst, meinetwegen. Wenigstens hattest du genügend Verstand, dir gleich nach Gottfrieds Ableben meinen Bruder unter den Nagel zu reißen.« Über ihren entgeisterten Blick lachte er. »Nun tu bloß nicht so! Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, dass du es warst, die ihn vor die Kirchenpforte geschleppt hat, und nicht umgekehrt? Von selbst hätte der alberner Geck sich das doch im Leben nicht getraut. Doch so bleibt die Sache wenigstens in der Familie.« Jäh wandte Oswald sich Conlin zu. »Du erkennst Hannes als deinen leiblichen Sohn an.«
»Was?« Verblüfft hob Conlin den Kopf.
»Nein!« Energisch schüttelte Reinhild den Kopf. »Das ist ausgeschlossen. Gottfried gilt als Hannes‘ leiblicher Vater. Ich werde weder ihn noch mich selbst einer solchen Schmach – und Lüge! – aussetzen.«
»Schmach, so ein Unfug!« Oswald winkte ab. »In meinen Augen ist es eine größere Erniedrigung, den Winneburger vorzuschieben. Meine Haarfarbe hat der Kleine schon mal.«
»Es ist meine Haarfarbe«, konterte Reinhild.
»Aber mein Muttermal«, gab Oswald zu bedenken.
»Davon muss doch niemand erfahren.«
»Und meine Statur, wenn ich es recht einschätze«, fuhr Oswald ungerührt fort. »Oder die von Conlin.«
Wieder verkrampfte sich ihr Magen. »Nein! Das werde ich nicht tun.«
»Verdammichtes, rührseliges Weib«, fluchte Oswald. »Was ist mit dir, Conlin? Willst du Reinhild nicht allmählich zur Ordnung rufen? Sie hat schließlich zu tun, was du von ihr verlangst.«
Conlin schüttelte den Kopf. »Das ist verrückt, Oswald. Ich werde Hannes nicht als meinen Sohn anerkennen. Was glaubst du, wie sich das auf den Ruf unserer Familie auswirken würde? Ich sehe keinen Grund, Reinhild und den Jungen so etwas auszusetzen.«
»Herrgott noch mal!« Unwirsch fasste Oswald sich an den Kopf. »Ich bin von dämlichen Heulsusen umgeben. Dann adoptiere den Jungen wenigstens offiziell, damit er einmal deinen Titel erben kann. Meinem Sohn habe ich dieses Privileg ja leider nehmen müssen, Gott steh mir bei! Lediglich wenn ihr beide keine weiteren Söhne haben werdet, wovon ich allerdings nicht ausgehe, hätte er noch einen Anspruch. Doch nun ist Hannes da, und sei es, wie es will, er ist mein Erstgeborener. Er wird einmal dafür sorgen, ebenso wie du Conlin, dass es meinen anderen Kindern nicht zum Schaden gereicht, dass ich diese Entscheidung treffen musste.« Eindringlich fixierte er Conlin. »Du weißt, dass ich recht habe. Es muss so sein.«
Ruckartig wandte er sich ab, schob Reinhild zur Seite und erklomm einige Treppenstufen, bevor er noch einmal innehielt und sich umdrehte. »Es muss so sein«, wiederholte er dumpf. »Er mag ein Bastard sein, daran lässt sich nun leider nichts mehr ändern dank Reinhilds elendiger Dummheit, aber ich will, dass er der nächste Graf vom Langenreth wird.« Damit wandte er sich endgültig ab und verschwand die Kellertreppe hinauf.
Die Liebe des Pilgers
Petra Schier
Historischer Roman
HarperCollins Taschenbuch & eBook
Erscheint am 22.08.2023
574 Seiten
ISBN 978-3-74990-548-5
13,- Euro / eBook 9,99 €
Erscheint auch als Hörbuch.
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Petra Schier, Jahrgang 1978, lebt mit Mann und Hund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel. Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2003 als freie Autorin. Ihre historischen Romane erscheinen im Rowohlt Taschenbuch Verlag, ihre Weihnachtsromane bei Rütten & Loening sowie MIRA Taschenbuch.
Unter dem Pseudonym Mila Roth veröffentlicht die Autorin verlagsunabhängig verschiedene erfolgreiche Buchserien.
Petra Schier ist Mitglied in folgenden Autorenvereinigungen: DELIA, Syndikat, Autorenforum Montségur
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