Hundeherz und Liebesglück

 

Nur noch ganz wenige Tage, dann könnt ihr endlich eine neue Geschichte aus Lichterhaven lesen, allerdings nur als eBook. Hundeherz und Liebesglück heißt der Kurzroman, der ab 1. März 2019 in allen Online-Shops verfügbar sein wird. Wenn ihr ihn nicht verpassen wollt, bestellt am besten gleich mal vor.

Es handelt sich um ein Sequel zu meinen großen Lichterhaven-Romanen, also um eine kleine Nebengeschichte, in der ich erzähle, wie Elke Dennersen (ihr werdet sie als die nette und immer gut über den Ortstratsch informierte Bäuerin mit dem Hofladen kennen) nach Lichterhaven gekommen ist und sich verliebt hat – in die Stadt, in die Schäferhündin Ania und in Bruno. Ausgerechnet Bruno!!!

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen, wobei die in der Vergangenheit, aus der der Textschnipsel stammt, die Hauptebene ist. Die Gegenwart bildet “nur” die Rahmenhandlung. Klar soweit? Dann viel Spaß beim Reinschnuppern!

Aus dem 2. Kapitel

16 Jahre zuvor

Aufatmend lenkte Elke ihren bis unters Dach mit Gepäck vollgestopften Opel Corsa in die freie Parklücke auf dem Parkplatz des Vier-Sterne-Hotels Seestern am Rand von Lichterhaven und hätte beinahe den Motor abgewürgt. Für einen Moment schloss sie die Augen und versuchte sich zu entspannen. Hinter ihren Schläfen pochte es verdächtig. Hoffentlich kein Migräneanfall, das fehlte ihr gerade noch – ausgerechnet zum Urlaubsbeginn.
Von Urlaubsfeeling war für sie heute allerdings noch nicht viel zu spüren gewesen, da sie gestern noch für eine Kollegin hatte einspringen und den letzten New-York-Flug übernehmen müssen. Erst am späten Vormittag war sie in Düsseldorf gelandet, von dort nach Münster zu ihrer Wohnung gefahren. Dort hatte sie alles für einen sechswöchigen Urlaub gepackt, der Nachbarin den Wohnungsschlüssel und Instruktionen zu den zu gießenden Pflanzen und der Post gegeben und war anschließend sofort nach Lichterhaven aufgebrochen. Natürlich hatte sie im Stau gestanden, mehrfach sogar, sodass aus den normalerweise drei Stunden Fahrt fünfeinhalb geworden waren. Kein Wunder an einem Freitagnachmittag, noch dazu mitten in den Sommerferien. Offenbar hatte sich alle Welt das erste Augustwochenende ausgesucht, um an die Nordsee zu reisen.
Inzwischen war es fast sieben Uhr abends, ihr knurrte der Magen und sie wünschte sich nichts mehr als ein ausgiebiges Bad. Nicht umsonst hatte sie ein Hotelzimmer der Exclusive-Superior-Klasse gebucht, das allen Komfort bot, den man sich nur wünschen konnte. Hoffentlich gab es hier auch jemanden, der ihr beim Tragen des Gepäcks helfen konnte.
Entschlossen, von jetzt an in den Urlaubsmodus zu schalten, stieg Elke aus, streckte sich ausgiebig und atmete tief die laue Abendluft ein. Man roch die See, die sich in nur etwa zweihundert Metern Entfernung hinter dem mit Gras bewachsenen Deich verbarg. Vielleicht wäre ein Abendspaziergang nach dem Essen und vor dem Bad eine gute Idee.
Zielstrebig ging sie auf den Eingang des mehrstöckigen Hotels zu, musste dabei aber mehreren Rollcontainern ausweichen sowie einigen Männern in Arbeitsmontur, die geschäftig hin und her liefen. Sie alle waren mit Zollstöcken und anderen Messgeräten bewaffnet und ihre Mienen wirkten sorgenvoll.
An der Rezeption musste sie einen Moment warten, weil der Empfangschef gerade telefonierte. Er lächelte ihr freundlich zu, während er sich etwas notierte, auflegte und ihr endlich seine Aufmerksamkeit schenkte. »Entschuldigen Sie bitte vielmals. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, geht es im Moment hier etwas drunter und drüber. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe ein Zimmer reserviert. Liebholt ist mein Name.« Erwartungsvoll lächelte sie ihm zu.
»Frau Liebholt, natürlich.« Die Miene des Empfangschefs wurde ernst. »Wir sind sehr froh, dass Sie endlich hier sind. Leider konnten wir Sie nicht erreichen.« Er räusperte sich. »Es gab ein entsetzliches Missgeschick … Einen Wasserrohrbruch in der dritten Etage, der leider ganze zwei Stockwerke unseres Hauses in Mitleidenschaft gezogen hat. Ich fürchte, wir können Ihnen deshalb kein Zimmer geben.«
»Was?« Entsetzt starrte Elke ihn an. »Kein Zimmer?«
»Wie gesagt, wir haben seit gestern mehrfach versucht, Sie zu erreichen, leider aber vergeblich.«
»Ich war nicht zu Hause.« Sie fasste sich an die Stirn. »Und mein Handy ist immer aus, wenn ich arbeite. Ich bin Flugbegleiterin und in Flugzeugen sind Mobiltelefone verboten.«
»Es tut mir wirklich unsagbar leid, Frau Liebholt. Alle anderen betroffenen Gäste konnten wir inzwischen erreichen und auf andere Hotels verteilen. Diesen Service hätten wir Ihnen selbstverständlich ebenfalls angeboten, aber …«
»Aber?« Das Pochen hinter ihren Schläfen verstärkte sich rasant.
»Es ist Hochsaison. Im Umkreis von fünfzig Kilometern sind alle Hotels ausgebucht. Wir mussten bereits auf Pensionen ausweichen, doch auch da ist jetzt leider nichts mehr zu machen.« Der Mann zog den Kopf ein wenig ein, als ihn ihr entgeisterter Blick traf.
»Ich brauche aber ein Zimmer.« Sie bemühte sich, nicht laut zu werden oder in Panik zu geraten. »Ich habe sechs Wochen Urlaub und meine Wohnung ist an ausländische Touristen untervermietet, die morgen Vormittag eintreffen. Was soll ich denn jetzt machen?«
»Es tut mir wirklich unsagbar leid. Sie hatten jetzt leider Pech, weil Sie der letzte Gast sind, der von dem Malheur betroffen ist. Wenn wir Sie früher erreicht hätten … Die Reparaturen werden mindestens drei oder vier Wochen in Anspruch nehmen, und das ist optimistisch gerechnet.«
»Dann bin ich selbst schuld, dass ich kein Zimmer mehr bekomme, bloß weil ich fast rund um die Uhr arbeiten musste?« Allmählich wurde sie doch wütend.
»Nein, nein, natürlich nicht, Frau Liebholt. Es ist nur leider eine ungünstige Verkettung von Umständen.« Der Empfangschef gab etwas in seinen Computer ein. »Was wir Ihnen jetzt noch anbieten können, ist ein Fremdenzimmer auf dem Hof der Familie Dennersen.«
»Hof?« Ahnungsvoll zog Elke die Stirn kraus. »So wie in Bauern-Hof?«
»Ja, genau. Dort gibt es sehr hübsche Zimmer und der Hof liegt wunderschön. Nur zweihundert Meter vom Deich, so ähnlich wie hier. Die Adresse ist der Kastanienweg, das ist am nordöstlichen Stadtrand. Von hier aus mit dem Auto nur fünf oder sechs Minuten Fahrt.«
»Ein Zimmer auf einem Bauernhof. Mit Kühen, Schweinen, Hühnern …« Aus dem Pochen hinter den Schläfen wurde ein Stechen. »Das ist nicht Ihr Ernst. Ich habe hier ein Komfortzimmer mit allem Drum und Dran gebucht.«
»Wir würden uns bereiterklären einen Teil der Unterbringungskosten zu übernehmen, wenn Sie dies wünschen. Selbstverständlich ist uns daran gelegen, dass Sie trotz allem einen schönen Urlaub in Lichterhaven verbringen. Die Dennersens – Mutter und Sohn – sind sehr liebenswürdig. Der Hof liegt ausgesprochen idyllisch und ruhig und die Zimmer sind wirklich schön, das verspreche ich Ihnen. Urlaub auf dem Bauernhof erfreut sich ja gerade bei jungen Familien großer Beliebtheit und darauf sind die Dennersens eigentlich auch spezialisiert. Dieses Jahr haben sie ihre Zimmer renovieren lassen und wollten eigentlich erst in der Nebensaison wieder Gäste aufnehmen. Ich bin ganz sicher, dass Sie sich dort wohlfühlen werden, Frau Liebholt. Und falls es doch Probleme geben sollte, sagen Sie mir bitte Bescheid, dann versuchten wir am kommenden Montag noch einmal, Sie anderweitig unterzubringen.« Er holte tief Luft. »Ich entschuldige mich noch einmal für die Unannehmlichkeiten. Gerne stelle ich Ihnen für das kommende Jahr auch noch einen Gutschein für eine Zimmerreservierung bei uns aus.« Wieder tippte er etwas auf der Computertastatur und gleich darauf sprang hinter ihm ein Drucker an. Es dauerte einen Moment, dann reichte der Empfangschef ihr einen Gutschein über zweihundert Euro sowie ein weiteres Blatt mit einer Wegbeschreibung zum Kastanienweg.
»Wenn Sie einverstanden sind, rufe ich Frau Dennersen gleich mal an und gebe ihr Bescheid, dass Sie auf dem Weg sind.« Er sah sie fast schon ein bisschen verzweifelt an, wohl weil ihre Miene ihr Entsetzen und ihren Ärger deutlich zum Ausdruck brachte.
Da ihr offenbar keine andere Wahl blieb, wenn sie nicht heute Nacht auf dem Deich schlafen wollte, nickte sie seufzend. »Also gut, rufen Sie sie an.« Kurz warf sie einen Blick auf die Wegbeschreibung. »In welche Richtung muss ich denn von hier aus?«
»Warten Sie, ich zeige es Ihnen.« Eifrig kam der Empfangschef hinter der Rezeption hervor und führte sie nach draußen, umsichtig darauf bedacht, dass die umhereilenden Handwerker ihr nicht zu nahekamen. Mit ausholenden Gesten beschrieb er ihr den Weg und überschüttete sie erneut mit Entschuldigungen und Dankesbekundungen, dass Sie so überaus verständnisvoll reagierte.
Elke würgte ihn schließlich etwas schroff ab, weil ihre Kopfschmerzen immer schlimmer wurden und sie nur noch ihre Ruhe haben wollte. Sie klemmte sich wieder hinters Steuer ihres Wagens und fuhr den Anweisungen des Empfangschefs entsprechend in östlicher Richtung vom Parkplatz herunter und dann einmal quer durch Lichterhaven hindurch. Der Ort war nicht allzu groß, aber nett hergerichtet. Ein ruhiger, aber aufstrebender Touristenort, der wohl danach trachtete, eines Tages mit den bekannten Urlaubszielen an der Nordseeküste mithalten zu können. Die Straßen waren sauber und wurden vielerorts von Blumenkübeln geschmückt, in denen es üppig blühte. Auch die Fensterbänke und Vorgärten der Wohnhäuser waren gepflegt und für das Auge der Touristen herausgeputzt. Überall fand man maritime Dekorationen: Muschelketten als Fensterschmuck, einen Anker über dem Eingang einer Bar, auf dem Marktplatz einen alten, restaurierten Fischkutter, der gewiss schon das eine oder andere Jahrhundert aus dem Buckel hatte. Immer wieder begegnete ihr auf Plakaten oder als Aufsteller die witzige Figur Watti Wattwurm – wohl das Maskottchen der Stadt.
Irgendwo musste sie falsch abgebogen sein, denn plötzlich befand sie sich wieder außerhalb des Ortes auf einem asphaltierten Feldweg, der zwischen Wiesen hindurch auf einen Wald zuführte. Auf einer der Wiesen fuhr ein großer Traktor, an dem eine Heuballenpresse hing. Ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren fuhr den Traktor, während ein weiterer die Presse im Auge behielt und mit Gesten mit dem Fahrer eines zweiten Traktors kommunizierte, der einen langen Anhänger hinter sich führte.
Elke trat auf die Bremse. Hier war sie ganz offensichtlich falsch. Ihr Blick wurde jedoch erneut von den schwer beschäftigten Männern angezogen. Der Fahrer des zweiten Traktors sprang aus dem Führerhaus und lief auf die Presse zu, mit der es ein Problem zu geben schien. Sie schätzte ihn auf etwa zehn Jahre älter als die beiden anderen. Er war groß, mindestens einen Meter neunzig, sehr muskulös, blond und alles in allem höchst imposant. Selbst auf die Entfernung verursachte sein Anblick Elke Magenkribbeln. Da er kein T-Shirt trug, konnte sie ihn in seiner vollen Pracht bewundern. Er hantierte an der Presse, bis diese offenbar wieder funktionierte. Zumindest spuckte sie jetzt einen weiteren, nicht gerade kleinen Heuballen aus, denn der Blonde doch tatsächlich ohne die geringste Schwierigkeit heben und ein Stück zur Seite tragen konnte.
»Huh.« Für einen Moment vergaß Elke ihre Kopfschmerzen. »Wenn es von der Sorte Mann hier noch mehr gibt, ist wenigstens etwas fürs Auge vorhanden.« Sie schüttelte den Kopf über sich, weil sie laut gesprochen hatte. Auch die beiden jüngeren Kerle waren sehr ansehnlich, aber eben doch ein bisschen jung. Zum Anschauen reichte es aber allemal. Elke beschloss jedoch, dass sie nicht unbedingt hier Wurzeln schlagen, sondern lieber herausfinden wollte, wo zum Teufel sie falsch abgebogen war. Also wendete sie und fuhr den Weg, auf dem sie gekommen war, zurück. Nach zwei weiteren Fehlversuchen hatte sie schließlich den Kastanienweg gefunden.
Der Hof der Dennersens – der einzige in der Straße – war nicht zu verfehlen. Linkerhand lag er kurz vor einer lang gestreckten Kurve, die auf den Deich zuführte. Die nächsten Nachbarn waren jeweils ein ordentliches Stück entfernt und auf der gegenüberliegenden Straßenseite gab es überhaupt keine Häuser, sondern nur abgezäunte Weidestücke, hinter denen sich ein Wäldchen anschloss.
Hübsch. Pittoresk. Anheimelnd. Das waren die Worte, die Elke bei diesem Anblick sofort einfielen.
Als Elke ihren Corsa auf den Hof lenkte und vor dem Wohnhaus parkte, runzelte sie jedoch die Stirn, denn ihr Blick fiel als Erstes auf einen riesigen Kipplader, auf dem sich ein Berg Mist türmte, und als sie ausstieg, schallte ihr wie zur Begrüßung mehrstimmiges Muhen aus dem Kuhstall auf der rechten Seite entgegen. Das Nächste, was sie wahrnahm, war der typische Geruch eines Bauernhofs – frische Landluft. Zumindest nahm sie an, dass der Geruch typisch war, denn sie war nie zuvor auf einem Bauernhof gewesen.
Mit gerümpfter Nase blickte sie sich um. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Entschlossen wandte sie sich dem Wohnhaus zu und klingelte, wartete, klingelte noch einmal. Nichts rührte sich. Waren die Dennersens gar nicht zu Hause?
Leicht verzweifelt drehte sie sich um – und erstarrte. Ihr Puls verdreifachte sich in Sekundenschnelle und ein flaues Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus, als sie den großen, schwarzbraunen Schäferhund erblickte, der nur zwei Schritte von ihr entfernt stand und sie ganz ruhig ansah. Zumindest hoffte sie, dass er ganz ruhig war und nicht gerade überlegte, ob er sie angreifen sollte.
Elke schluckte hektisch. »B… Braver Hund. Ich bin bloß zu Besuch hier. Keine Einbrecherin oder so. Ich wollte bloß …« Ein Zimmer, verdammt noch mal! Ein Bett und meine Ruhe, mehr nicht!
Dass sie ihn ansprach, veranlasste den Hund, mit der Rute zu wedeln und neugierig näherzukommen. Mit vorgereckter Nase ging er auf sie zu, schnüffelte an ihren Beinen, die in teuren Seidenstrümpfen steckten. Fast hätte Elke vor Schreck die Luft angehalten. »O Gott, tu mir bitte nichts. Geh weg, ja? Geh einfach wieder da hin, wo du hergekommen bist.«
Der Hund tat nichts dergleichen, sondern setzte sich so dicht vor ihr auf sein Hinterteil, dass sie sich nicht mehr traute, sich zu bewegen. Verzweifelt sah sie sich um. »Hallo?« Ihre Stimme krächzte leicht, sodass sie sich räusperte, bevor sie etwas lauter rief. »Hallo? Ist jemand zu Hause?«
Nichts rührte sich. Lediglich die Kühe im Stall muhten wieder, diesmal lauter. Gleich darauf war ein Scharren oder Schaben zu vernehmen, das klang, als stamme es von einer Schaufel. Also war doch jemand da.
Der Hund hatte sich wieder erhoben und schnüffelte erneut an ihr, stieß sie immer wieder mit der Nase an.
Elke wich instinktiv zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Haustür. »Bitte beiß mich nicht.« Ihr Blick irrte zum Stall hinüber. »Hallo? Hilfe!« Sie kam sich lächerlich vor, fühlte sich der Situation jedoch nicht gewachsen. Hinter ihren Schläfen stach und pochte es nach wie vor, ihr Magen knurrte vernehmlich und zu ihrer Angst gesellte sich Wut, weil sich hier offenbar niemand für den Gast interessierte. »Hilfe!«, wiederholte sie ihren Ruf noch etwas lauter. »Ist denn niemand hier?«
Das Scharren verstummte. Wenige Augenblicke später erschien eine leicht mollige Frau mit blondem Pagenkopf im Stalltor. Sie trug einen dunkelblauen Arbeitsoverall und Gummistiefel und stemmte bei Elkes Anblick die Hände in die Hüften. »Ania, aus. Komm her.«
Zu Elkes grenzenloser Erleichterung gehorchte der Hund – oder vielmehr die Hündin – sofort und trabte auf die Frau zu.
»Sitz.« Die Bäuerin kam mit neugierig-skeptischem Gesichtsausdruck auf Elke zu. »Also um Hilfe schreien brauchen Sie nun wirklich nicht. Ania ist bloß neugierig. Und gefressen hat sie heute schon.«
»Was?« Entsetzt starrte Elke sie an.
Die Frau seufzte. »Was kann ich denn für Sie tun? Der Hofladen ist um diese Zeit schon geschlossen.« Sie hielt einen Moment inne. »Wenn Sie uns irgendwas verkaufen wollen, können Sie das gleich vergessen. Mit Vertretern haben wir hier nichts am Hut.«
»Ich bin keine Vertreterin.« Elke zwang sich, nicht ihre Schläfen zu reiben. »Ich bin Ihr neuer Gast.«
»Mein was?«
»Der Herr … Der Empfangschef vom Hotel Seestern hat mir gesagt, ich könnte hier ein Zimmer bekommen. Er wollte Sie doch anrufen.«
»Anrufen?« Die Bäuerin schüttelte den Kopf, ging an Elke vorbei und öffnete die Haustür, die zu Elkes Überraschung nicht verschlossen war. Sie streifte die Stiefel von den Füßen und war mit wenigen Schritten bei einem Schränkchen, auf dem sich das Festnetztelefon und ein Anrufbeantworter befanden. »Huch, ja, stimmt, da ist eine Nachricht von Helmut.« Sie ließ die Nachricht abspielen und kehrte dann zur Tür zurück. »Dabei hätte er doch wissen müssen, dass ich um diese Uhrzeit im Stall bin. Schließlich muss ich die Tiere melken und füttern.« Sie hob die Schultern. »Seit dem letzten Unwetter ist leider unser Telefonanschluss im Stall gestört, weil ein Baum auf die Oberleitung gefallen ist.«
»Haben Sie denn kein Handy?« Jetzt begann auch noch Elkes Blase, sich unangenehm zu melden, deshalb fiel ihre Frage harscher aus, als sie gemeint war.
Die Bäuerin lachte trocken. »Min Deern, Lichterhaven besteht aus lauter Funklöchern. Hier draußen sowieso. Mein Sohn hat ein Handy für Notfälle oder wenn wir mal nach außerhalb fahren müssen, aber mehr auch nicht. Wir sind hier schließlich nicht in der Großstadt.«
»Haben Sie denn nun ein Zimmer für mich?«
»Ich müsste eins für Sie vorbereiten. Sie gehören also zu den Opfern des Wasserrohrbruchs? Und da verschlägt es Sie vom Vier-Sterne-Schuppen ausgerechnet zu uns.« Abschätzend ließ die Bäuerin ihren Blick über Elkes Erscheinung wandern.
Elke hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich nach der Landung in Düsseldorf umzuziehen, deshalb steckte sie noch immer in dem Businesskostüm mit den halbhohen Pumps, das sie zur Arbeit trug.
»Das kann ja heiter werden. Sie sehen nicht so aus, als wären Sie auf einen Urlaub auf dem Bauernhof vorbereitet.«
»Bin ich auch nicht.«
»Wie lange wollen Sie denn bleiben?«
Elke hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Ich hatte im Seestern sechs Wochen gebucht.«
»Ach du heiliger Bimbam.« Die Bäuerin lachte. »Dann gebe ich Ihnen wohl am besten die kleine Ferienwohnung. Die ist frisch renoviert und hat noch am meisten Komfort. Kommen Sie mal mit. Ach«, unterbrach sie sich und streckte Elke die rechte Hand entgegen. »Guten Abend übrigens und herzlich willkommen. Mein Name ist Lieselotte Dennersen, aber jeder nennt mich Lotti.«
»Elke Liebholt.«
»Meine Cousine heißt auch Elke. Na, wie gesagt, kommen Sie mal mit.« Lotti drehte sich einfach um und ging los, sodass Elke gezwungen war, ihr zu folgen. Das Haus war groß, mit hellen Möbeln eingerichtet und überall standen Blumensträuße in bunten Vasen. Lotti führte Elke in die Küche und deutete auf die große Eckbank aus Eichenholz. »Setzen Sie sich. Es wird einen Moment dauern, bis ich alles hergerichtet habe. Die Fremdenzimmer und die Ferienwohnung befinden sich nach hinten raus im Anbau. Ich bin gleich wieder da. Auf der Anrichte steht eine Kanne Kaffee. Wenn Sie möchten, bedienen Sie sich einfach, auch am Streuselkuchen.« Lotti deutete auf ein Backblech auf dem Esstisch, das von einem Küchenhandtuch bedeckt war. »Der ist ganz frisch von heute Mittag. Sie können sich aber auch gerne einen Tee machen. Der Kessel steht auf dem Herd und verschiedene Teesorten sind im Schrank daneben.«
»Ja, ich, ähm, danke.« Elke setzte sich auf die Kante der Eckbank. »Ich müsste mal zur Toilette …«
»Schräg gegenüber ist unser Gästebad. Bin gleich wieder da.« Schon war Lotti verschwunden.
Verunsichert erhob Elke sich wieder. So ganz konnte sie sich mit der resoluten Bäuerin nicht anfreunden. Vielleicht lag es daran, dass ihr inzwischen fast der Kopf platzte, vielleicht auch an dem leicht spöttischen Blick, mit dem Lotti sie und ihr Outfit vorhin bedacht hatte. Selbstverständlich war sie nicht auf einen Urlaub auf dem Bauernhof eingerichtet! Wie hätte sie denn auch ahnen sollen, dass sie ausgerechnet hier stranden würde?
Da der Druck ihrer Blase stetig zunahm, suchte sie erst einmal das Gästebad auf. Danach setzte sie sich wieder auf die Eckbank und versuchte durch tiefes, gleichmäßiges Atmen den Kopfschmerz in den Griff zu bekommen. Sie hatte zwar irgendwo Schmerztabletten, doch in welcher ihrer Reisetaschen sie sich befanden, konnte sie nicht ohne Suchen sagen. Mittlerweile war ihr auch leicht übel vor Hunger, doch sie traute sich nicht, sich einfach an dem Kuchen zu bedienen. Also hob sie nur kurz einen Zipfel des karierten Küchenhandtuchs an und warf einen Blick auf das goldgelbe Gebäck. Der Duft war verführerisch.
Als sie von irgendwo Schritte näherkommen hörte, zog sie die Hand rasch wieder zurück. Es klappte eine Tür, dann entfernten sich die Schritte wieder. Im nächsten Moment vernahm Elke Pfotentapser und erstarrte erneut, als die Schäferhündin zur Tür hereinkam, bei ihrem Anblick ein einzelnes Bellen ausstieß und sich mit erwartungsvollem Blick dicht vor Elke hinsetzte.
Wieder wagte diese nicht, sich zu bewegen. Zwar schien die Hündin nicht gefährlich zu sein, das änderte aber nichts an ihrer Größe und auch nichts an den gefährlich aussehenden Eckzähnen, die sie beim Hecheln entblößte. »Geh weg.« Krampfhaft bemühte Elke sich um einen ruhigen Ton. »Ich bin total uninteressant, ja, wirklich. Lass mich einfach in Ruhe. Ich klaue hier schon nichts.«
Die Hündin – Ania, erinnerte sie sich – legte den Kopf etwas schräg, bewegte sich aber nicht vom Fleck.
»Geh wieder raus. Du siehst doch, dass ich Angst vor Hunden habe.«
Ihre Worte veranlassten die Hündin dazu, den Kopf in die andere Richtung zu drehen, dann rückte Ania noch näher an Elke heran.
Elke schluckte hektisch. »Bitte geh weg! O Mann.« Ihre Furcht schien den Kopfschmerz noch zu verstärken, und zu allem Überfluss sah sie nun auch noch Sternchen. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie kurz vor einem richtig gemeinen Migräneanfall stand. »Hau ab, verdammt noch mal. Lass mich!« Die letzten Worte quietschte sie erschrocken, denn Ania hatte sich erhoben und trat ganz dicht an sie heran. Dann legte sie Elke den Kopf schwer aufs Knie.
Elke versuchte zurückzuweichen, fürchtete aber, die Hündin damit gegen sich aufzubringen. »Weg mir dir! O Gott, hilft mir denn niemand?« Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie drängte sie entschlossen zurück. Das fehlte noch, dass sie jetzt auch noch einen Nervenzusammenbruch erlitt.
»So, das wäre erledigt. Sie können jetzt … Ach herrje.« Lotti war in der Küchentür erschienen und lachte. »Ania scheint Sie ja zu mögen.«
»Ich sie aber nicht. Bitte holen Sie sie weg von mir!« Elkes Stimme schwankte vor Verzweiflung, Angst und auch ein wenig Zorn. »Wie können Sie dieses Untier hier einfach so frei herumlaufen lassen?«
»Du liebe Zeit. Stellen Sie sich mal nicht so an, min Deern. Unsere Ania tut Ihnen doch gar nichts. Im Gegenteil.« Lotti stemmte wieder die Hände in die Hüften und schüttelte tadelnd den Kopf. Dann seufzte sie wie vorhin schon einmal. »Ania, komm her. Die junge Dame hat Angst vor dir.«
Ania hob den Kopf, blickte über die Schulter zu Lotti und trottete dann zögernd zu ihr.
Elke atmete auf. »Sie sollten den Hund anleinen.«
»So ein Unsinn. Ania ist ganz friedlich und wollte Sie bloß kennenlernen. So zutraulich ist sie übrigens nur zu Leuten, die sie wirklich gut leiden kann. Erstaunlich.«
Elke hob den Kopf. »Erstaunlich?«
»Dass Sie eine ängstliche Stadtpflanze wie Sie gernzuhaben scheint. Nichts für ungut, aber hängen Sie mal nicht so die Zimperliese heraus. Das steht Ihnen überhaupt nicht, und hier auf dem Hof werden Sie damit nicht glücklich, das verspreche ich Ihnen. Mit diesen Pumps übrigens auch nicht. Die ziehen Sie mal besser nur an, wenn Sie in die Stadt gehen oder so. Hier auf dem Hof verderben Sie sie sich bloß.«
Elke runzelte verärgert die Stirn. Zimperliese? Was nahm sich diese Frau eigentlich heraus? »Sind Sie zu all Ihren Gästen so unhöflich?«
»Ach Gottchen, ich sage nur, was ich denke.« Lotti lachte rau. »Daran werden Sie sich noch gewöhnen.«
»Wohl kaum.« Elke hatte die Worte nur gemurmelt, sah Lotti jedoch an, dass diese sie genau verstanden hatte.
»Nun kommen Sie schon, die Ferienwohnung steht jetzt für Sie bereit.« Lotti hielt ihr einen Schlüsselbund hin. »Das ist der Schlüssel zum Eingang und auch ein Hausschlüssel für hier, falls mal Not am Mann, Pardon, an der Frau sein sollte oder wenn Sie mal telefonieren müssen. Leider ist auch die Telefonleitung im Anbau noch kaputt wegen des umgestürzten Baumes. Die Techniker kommen irgendwann in den nächsten sieben bis zehn Tagen her, um das zu reparieren.«
»Ich habe kein eigenes Telefon?« Elke griff sich nun doch an den Kopf. »Und Handyempfang auch nicht?«
»Sie werden es überleben.« Lotti wandte sich um und ging einfach los, sodass Elke ihr erneut rasch zu folgen gezwungen war. Sie verließen das Haus durch eine Tür, die auf einen gepflasterten Hinterhof führte, der von Kastanienbäumen gesäumt wurde. In steinernen Blumenkübeln blühten Geranien und Petunien in weiß und rot. Eine offenbar schon recht alte, verwitterte Gartenmöbelgarnitur aus Teakholz stand mitten auf dem Platz unter einem dunkelroten, an den Rändern schon leicht ausgefransten Sonnenschirm. Rechter Hand befand sich der Anbau, von dem Lotti gesprochen hatte. Wie das Wohnhaus selbst war er weiß gestrichen, besaß zwei Etagen und auch zwei Eingänge. Der vordere führte offenbar zu den Fremdenzimmern, denn Lotti ging direkt auf den hinteren zu. »Hier, bitte sehr.« Sie wies auf die offenstehende Tür. »Das ist für die nächste Zeit Ihr Reich, Frau Liebholt. Oder darf ich Elke sagen? Wenn Sie tatsächlich länger hierbleiben sollten, redet es sich damit doch deutlich leichter. Es sei denn, Sie flüchten vorzeitig.«
Im Augenblick fehlte Elke die Kraft, auch nur an Flucht zu denken. »Wie viel kostet die Ferienwohnung überhaupt?«
»Sechzig Mark, ach, Quatsch, entschuldigen Sie bitte. Ich kann mich noch nicht so recht an die neue Währung gewöhnen. Dreißig Euro am Tag . Es gibt eine kleine Kochecke mit Herd, Ofen und Kühl-Gefrierkombi. Warten Sie, ich zeige Ihnen alles.« Resolut ging Lotti Elke voran in die frisch renovierte Ferienwohnung.
Elke atmete etwas auf, als sie die helle, freundliche Einrichtung aus Kiefernholz sah. Rustikal aber sehr hübsch. Die Wände waren teils weiß, teils hellgelb gestrichen, hier und da hingen maritime Aquarelle oder Schwarzweiß-Fotos von Lichterhaven an den Wänden. Auf den Fensterbänken standen Orchideen in verschiedenen Farben, auf dem kleinen Esstisch für vier Personen in der Küchenecke ein Strauß Margeriten. Ob Lotti die gerade frisch gepflückt hatte?
»Sehen Sie, hier ist genügend Platz für ein paar Vorräte, denn Sie wollen bestimmt nicht jeden Tag auswärts essen, nicht wahr? Oder können Sie gar nicht kochen?« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Lotti weiter. »Hier ist das Wohnzimmer.« Es war ebenfalls ein heller Raum, ausgestattet mit Kiefernholzmöbeln und einer hellbraunen Ledercouchgarnitur. Ein großer Fernseher stand auf einer Anrichte an der rückwärtigen Wand, von der aus eine breite Wendeltreppe nach oben führte. Durch die Fenster war ein großer, eingezäunter Hühnergarten zu sehen sowie der reetgedeckte Hühnerstall. Dahinter gab es weitere Wiesen, ebenfalls eingezäunt. Auf einer davon erblickte Elke drei Kühe mit ebenso vielen Kälbchen. Noch weiter dahinter, in vielleicht dreihundert Meter Entfernung, erhob sich der Deich.
»Ich hoffe, es ist alles soweit in Ordnung. Oben gibt es zwei Schlafzimmer und ein großes Bad mit Wanne und Dusche. Falls Sie etwas benötigen sollten, sagen Sie mir Bescheid. Oben im Bad ist übrigens auch eine Waschmaschine, und Sie können die Wäsche gerne drüben auf unserer Leine aufhängen.« Lotti machte eine vage Handbewegung in Richtung Hof. »Im Ort gibt es Bäckereien, Metzger und so weiter, am Ortsrand auch ein kleines Gewerbegebiet mit Supermärkten, Baumarkt und so weiter. Sie können sich aber natürlich auch gerne in unserem Hofladen mit dem Nötigsten eindecken. Wir haben täglich frische Eier und wöchentlich wechselnde Angebote an Fleisch und Wurst. Wir schlachten selbst«, fügte sie erklärend hinzu. »Im Moment gibt es auch noch meine gute Marmelade und demnächst auch frisches Brombeergelee. Ein Angebotszettel für die kommende Woche liegt auf der Küchenanrichte.«
»Danke.« Elke hatte Mühe, sich zu konzentrieren, und vermutlich würde sie bis morgen die Hälfte der Informationen vergessen haben.
»Stimmt etwas nicht? Sie sind so blass.« Lotti musterte sie eingehend. »Wann haben Sie denn zuletzt etwas gegessen? Sie hätten sich ein Stück Kuchen nehmen sollen. Ich bringe Ihnen gleich etwas. Ach ja, wollen Sie morgens Brötchen zum Frühstück? Ich kann Inge Bescheid sagen, dass sie oder ihre Tochter Ihnen morgens frische Brötchen vor die Tür legt. Das rechnen wir dann am Ende einfach zu den Wohnungskosten dazu. Zwei Börtchen oder lieber drei?«
Elke hob nur die Schultern.
»Zwei mindestens«, beschloss Lotti. »Sie sind viel zu dünn und wirklich blass. Leiden Sie an Sie Eisenmangel?«
»Nein, an Kopfschmerzen.« Verzweifelt rieb Elke sich die Schläfen. »Es wäre nett, wenn Sie mich jetzt in R… allein lassen würden.«
»Natürlich.« Lotti wandte sich zur Tür. »Leider können Sie mit dem Auto nicht bis hier heranfahren. Zu Fuß können Sie aber einfach vorne ums Haus herumgehen. Wenn Sie ein bisschen warten, kann Ihnen mein Sohn Bruno später beim Tragen des Gepäcks helfen.«
Bruno? Wie konnte man denn heutzutage bloß seinen Sohn Bruno nennen? Vor Elkes Augen entstand das Bild eines kleinen, buckligen und hässlichen Mannes. Kein Wunder, dass er unbeweibt war. Welche Frau wollte schon einen Bruno zum Mann?
Sie merkte, dass ihre Gedanken sich ineinander verknäuelten. »Das wäre gut. Ich habe doch ziemlich viel Gepäck im Auto.«
»Das habe ich gesehen.« Lotti nickte ihr zu. »Für sechs Wochen braucht man ja wohl auch so einiges. Ist das Ihr gesamter Jahresurlaub, den Sie am Stück hier verbringen? Oft hat man das ja nicht, dass die Leute so lange Ferien machen.«
»Nein, das ist nur die Hälfte meines Jahresurlaubs, also drei Wochen, die übrigen drei Wochen sind Überstunden, die ich unbedingt abfeiern muss. Ich bin Flugbegleiterin, da sammelt sich einiges an Überstunden an, wissen Sie .«
»So so.« Es war nicht auszumachen, was Lotti von dem Beruf hielt. »Ich lasse Sie jetzt … Ach, das wird Bruno sein.« Ohne ein Wort des Abschieds verließ Lotti die Ferienwohnung.
Irritiert sah Elke ihr nach, dann erst nahm sie das Brummen eines Traktors wahr. Natürlich. Der kleine, hässliche Bruno war mit dem Trecker unterwegs. Was sonst? Das Bild vor ihrem inneren Auge ergänzte sich wie von selbst durch eine knubbelige Nase, eine Hornbrille und eine Mistforke in seiner Hand.
»Shit.« Gequält massierte sie ihre Schläfen. Wenn sie den Sohn des Hauses dazu bezirzen wollte, ihr beim Tragen ihres Gepäcks zu helfen, tat sie das wohl am besten gleich, bevor sie alles doppelt sah und sich nur noch die Decke über die Ohren ziehen wollte. Also eilte sie ebenfalls nach draußen und nahm den mit Natursteinen gepflasterten Weg um das Haus herum.
Schon von Weitem hörte sie einen Mann mit tiefer Stimme fluchen. »… idiotisch, verdammt noch mal. Wie kann man sich nur so dämlich hierhin stellen?« Die Stimme übertönte das knatternde Brummen des Traktors, also handelte es sich offenbar um den Jungbauern, der sich da so aufregte.
»Immer mit der Ruhe, Bruno, ich sag ihr Bescheid, dass sie den Wagen umparken soll.« Das war Lotti. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, dass du gleich so ausflippst?«
»Ich flippe nicht aus. Ich will die verdammten Heuballen abladen. Gregor hat schon wieder die Ballenpresse geschrottet Oder zumindest fast. Wenn man dem Kerl nicht ständig auf die Finger schaut, macht er mehr verkehrt als richtig.«
»Dann such dir eine andere Aushilfe. Du kennst ihn doch.«
»Klar, die Aushilfen wachsen hier ja auf Bäumen, wie alle Welt weiß. Und jetzt verliere ich schon wieder wertvolle Zeit, weil dieses verdammte Auto mir im Weg steht.«
»Ach, komm schon, Bruno, das Mädchen konnte doch nicht wissen, dass du da jetzt ausgerechnet vorbeimusst.«
»Mädchen? Wunderbar. Frau am Steuer, typisch …«
Elke war hinter der Hausecke stehen geblieben und lauschte dem Disput. Das Bezirzen konnte sie sich wohl abschminken. Stattdessen wollte sie dem ungehobelten Klotz am liebsten gegen das Schienbein treten. Entschlossen straffte sie die Schultern und ging weiter um die Ecke des Hauses herum. »Halten Sie mal die Luft an, Herr Dennersen«, fauchte sie, noch bevor sie seiner ansichtig wurde. »Es besteht kein Grund, meine Fahrkünste zu beleidi…gen.« Das letzte Wort wäre ihr beinahe im Hals stecken geblieben. Sie hatte sich so sehr auf das Bild eines hässlichen kleinen Gnoms fixiert, dass ihr beinahe die Luft wegblieb, als sie um den Traktor herumging und Bruno Dennersen zu Gesicht bekam. Er war mitnichten ein Gnom, sondern groß – mindestens einen Meter neunzig – und extrem breitschultrig. Kurzes blondes Haar kontrastierte mit sonnengebräunter Haut, von der sie eindeutig zu viel zu sehen bekam, da er immer noch kein Shirt trug. Sie erkannte ihn sofort wieder, den Mann, den sie vorhin mit zwei anderen auf dem Feld beobachtet hatte. Muskelbepackt, mit riesigen Pranken und zornig funkelnden blauen Augen.

 

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Cover Hundeherz und Liebesglück
Hundeherz und Liebesglück

Petra Schier

MIRA eBook, ca. 110 Seiten
Erscheint am 01.03.2019
ISBN: 978-3-955769-95-6
2,99 €

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