Wieder wird es Zeit für einen Textschnipsel aus meinem Ende August erscheinenden historischen Roman Das Geheimnis des Pilgers, diesmal allerdings ohne Anmerkungen meiner Lektorin, weil es schlicht keine gab. :-)

Ich habe euch das allererste Zusammentreffen von zwei zentralen Figuren dieses Bandes herausgesucht, das, wie ich finde, gleich eine gewisse Grundstimmung wiedergibt. Ich hoffe, der Ausschnitt wird euch gefallen.

Aus dem 5. Kapitel

Da das Burgtor von einer Trauerprozession blockiert wurde, wählte Palmiro den Weg über die Scharren, den Entenpfuhl und die Leere, um hernach über den Fischmarkt zum Hafen zu gelangen. Die Trauergemeinde beneidete er nicht gerade, denn der Priester, offenbar St. Kastor zugehörig, schritt nur äußerst langsam, das Weihrauchgefäß schwenkend und psalmodierend voran. Ganz sicher alles andere als eine Wohltat für die betenden Hinterbliebenen. Palmiro hingegen legte einen flotten Schritt vor, der ihm zwar erneut den Schweiß auf die Stirn trieb, ihn jedoch zügig ans Ziel und hoffentlich dem Schatten sowie einem kühlen Trunk entgegenführen würde.

In Gedanken legte er sich bereits eine Strategie zurecht, wie er vorgehen würde, falls seine wertvolle Warenladung tatsächlich auf Nimmerwiedersehen abhandengekommen war. Zwar hatte er einen Sicherheitenvertrag mit dem jungen Muskin vereinbart, jenem Juden, mit dem auch sein Vater vertrauensvoll Geschäfte tätigte, doch da er noch ganz am Beginn seiner eigenständigen Kaufmannstätigkeit stand, hatte er den Sicherheitenwert recht niedrig – zu niedrig – angesetzt, um Geld zu sparen. Dies und die Tatsache, dass er nun die Abnehmer seiner Waren vielleicht nicht beliefern konnte, war höchst ärgerlich.

Er hatte den Entenpfuhl gerade erreicht, der seinem Namen heute alle Ehre machte, da eine Schar Enten sich gerade fröhlich schnatternd in der Rinne eines Laufbrunnens tummelte, als er zweierlei gleichzeitig wahrnahm: ein merkwürdiges Prickeln, das über sein Rückgrat bis hinauf in seinen Nacken kroch, und das Donnern von Pferdehufen. Hinter sich vernahm er Schreie und Unmutsrufe, ausgestoßen von den Trauergästen der Prozession.

Als er sich umdrehte, sah er einen Trupp erzbischöflicher Soldaten hoch zu Ross auf sich zu preschen. Rasch sprang er beiseite und sah, als er sich wieder gen Entenpfuhl wandte, dort einen hochgewachsenen Mann in der Kleidung eines bewaffneten Reisenden mitten auf der Straße stehen, das Gesicht nach oben gewandt, so als wolle er sich von der brennenden Sonne die Haut versengen lassen. Er schien sich des rasch näherkommenden Soldatentrupps nicht bewusst zu sein. War er taub?

Ohne zu zögern, rannte Palmiro die wenigen Schritte zu dem Mann. »Vorsicht!«, rief er und stieß den Fremden grob zur Seite. Der Mann stürzte, war aber aus dem Weg. Gerade noch rechtzeitig, denn nur einen Lidschlag später polterten die Erzbischöflichen an ihnen vorüber. Staub und Schmutz wirbelten um sie herum auf. Die Enten stoben, obgleich nicht in Gefahr, mit schrillem Geschnatter und Geschrei auseinander.

»Verflucht noch eins!« Der Fremde blickte den sich entfernen Soldaten gleichermaßen verdattert wie erbost hinterher.

»Verzeiht, Herr.« Palmiro streckte dem Mann seine Rechte hin. »Lasst mich Euch aufhelfen.«

»Das Mindeste dafür, dass Ihr mich in den Schmutz gestoßen habt.« Die Stimme des Mannes klang verärgert, seine Miene wirkte aber nicht allzu unfreundlich. Er ergriff Palmiros Hand, der ihn mit einem kurzen Ruck wieder auf die Füße zog.

»Tut mir leid, es ging nicht anders. Ihr schient gänzlich in Gedanken versunken und die nahende Gefahr nicht zu bemerken.«

»Mh, ja, dumm von mir.« Der Fremde, er hatte welliges braunes Haar und kühle graublaue Augen, kräuselte ein wenig die Lippen. »Da bin ich Euch wohl zu Dank verpflichtet, Herr …«

»Don Palmiro ist mein Name.« Beinahe hatte Palmiro die Worte nicht über die Lippen gebracht, denn als er dem Fremden in die Augen blickte, stieg das eigentümliche Prickeln erneut über sein Rückgrat auf. Ihm wurde heiß und kalt zugleich.

Fort. Er musste fort von diesem Mann!

»Benedikt vom Heidenstein«, stellte der Mann sich knapp vor und schien ihn mit neuem Interesse, jedoch auch einem seltsamen Erstaunen zu betrachten. »Ich stehe wohl in Eurer Schuld.«

Palmiro wurde beinahe schwarz vor Augen, doch er bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. »Nicht dafür, Herr Benedikt. Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen. Leider bin ich in Eile und muss nun weiter. Gehabt Euch wohl!« Obgleich man es ihm als unhöflich hätte ankreiden können, ging, nein, rannte Palmiro beinahe weiter. Nur fort, so weit wie nur möglich weg von diesem Mann.

Erst als er die Kornpforte erreicht hatte, blieb er in ihrem Schatten stehen und erlaubte sich, tief durchzuatmen. Sein Herz pochte unnatürlich schnell und immer noch durchrieselten ihn abwechselnd kalte und heiße Schauder. So etwas war ihm noch nie passiert!

Seit seiner frühesten Kindheit begleitete ihn die Gabe, das Seelenlicht eines Menschen zu erkennen und zu erspüren, ob der Mensch guten oder bösen Gemüts war. Nicht selten war es beängstigend gewesen, mit diesen Visionen konfrontiert zu werden, bis er gelernt hatte, mit ihnen umzugehen und sie auszuschließen und zu kontrollieren, um nicht von ihnen überwältigt zu werden. Normalerweise gelang ihm das inzwischen gut.

Dieser Zusammenstoß heute war jedoch so unvermittelt und unverhofft geschehen, dass Palmiro keine Zeit gehabt hatte, sich gegen das Licht des Fremden zu verschließen. Allerdings – und nun wurde es wirklich beängstigend – war dies auch überhaupt nicht nötig gewesen. Denn er hatte anstelle des Seelenlichts rein gar nichts gesehen oder gefühlt. Nichts war von diesem Mann ausgegangen! Selbst als er bewusst seine eigene Seele geöffnet hatte, was er normalerweise niemals ohne triftigen Grund tat, war da nichts gewesen. Kein Licht, kein Schatten. Wie war das möglich? Ein jeder Mensch besaß eine Seele und jede Seele ihr ureigenes Licht. War es also überhaupt möglich, dass er es nicht wahrnehmen konnte?

Es dauerte eine geraume Weile, bis sich Palmiro so weit beruhigt hatte, dass er den Schatten der Kornpforte verlassen und erneut dem Hafen zustreben konnte. Eines war gewiss, dieser Fremde hatte ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt und es war ganz sicher besser, diesem Mann fortan aus dem Weg zu gehen. Ein Mensch ohne Seelenlicht war so ungefähr das Unheimlichste, was Palmiro sich vorstellen konnte.

Dumm nur, dass nun zugleich seine Neugier geweckt war.


Adel verpflichtet – Handel errichtet

Koblenz 1379: Erst seit Kurzem trägt Conlin den Titel Graf vom Langenreth, der für ihn mehr Pflicht als Ehre bedeutet, denn nun ist es an ihm, den guten Ruf und den Wohlstand der Familie zu retten, die sein Bruder zugrunde gerichtet hat. Doch um als Händler von Sicherheiten erfolgreich zu sein, braucht er Kapital. Als ausgerechnet seine Verlobte Reinhild ihn finanziell unterstützen will und dann auch noch ihr lang gehütetes Geheimnis ans Licht kommt, droht die noch junge Liebe zu scheitern.

Das Geheimnis des Pilgers

Petra Schier

Historischer Roman
HarperCollins Taschenbuch & eBook
Erscheint am 23.08.2022
416 Seiten
ISBN 978-3-749903-82-5
11,- Euro / eBook 8,99 €

Teilen mit