Textschnipsel: Das Gold des Lombarden

Gestern habe ich das fertig überarbeitete Manuskript zu Das Gold des Lombarden endlich an meine Lektorin bei Rowohlt abgegeben. Zur Feier dieses Ereignisses möchte ich euch nun den zweiten Textschnipsel zu lesen geben. Ich hoffe sehr, dass er euch so gut gefällt wie mir.

Aus dem 4. Kapitel

»Das ist sie also. Nicolais Witwe.«
Vinzenz hob den Blick von der Urkunde, die vor ihm auf dem Schreibpult lag, und musterte die hochgewachsene, schwarzhaarige Frau im adretten grauen Kleid und der einfachen weißen Haube, unter der ihr schwarzes Haar zu dicken Schnecken aufgesteckt war. Ihre Augen funkelten ebenso dunkel und wach wie seine eigenen. »Alba. Du hast mal wieder gelauscht?«
Seine Schwester zuckte unbekümmert die Achseln. »Wie sollte ich wohl sonst jemals in Erfahrung bringen, was in diesem Hause vor sich geht? Du erzählst mir ja nie etwas.«
»Nie?« Er hob die Augenbrauen spöttisch an.
»Zumindest nicht oft genug.« Alba trat näher und ließ sich auf dem Stuhl nieder, auf dem eben noch Aleydis gesessen hatte. »Ich muss schon sagen, so aus der Nähe betrachtet ist sie ein noch hübscheres Püppchen, als ich dachte.«
»Nenn sie bloß nicht so. Sie scheint diese Bezeichnung nicht eben zu mögen.«
»Obwohl oder weil ihr Gemahl selig sie immer so bezeichnet hat?«
»Er war der Einzige, dem die Erlaubnis gegeben war.« Er schob die Urkunde beiseite und faltete die Hände auf der Tischplatte. »Was willst du hier, Alba? Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin.«
»Womit?« Alba zog die Urkunde näher zu sich heran und überflog sie. »Das ist der Kaufvertrag über die Obstwiese unseres Nachbarn, mein Lieber, der hätte doch schon lange in einer deiner Truhen abgelegt werden müssen. Oder hast du vor, den Gozelins die Wiese wieder zurückzugeben?«
Verärgert, dass sie ihn ertappt hatte, schnappte er sich die Urkunde und legte sie auf einen Stapel mit anderen Schriftstücken. »Ich habe nachgedacht.«
»Über das Püppchen?« Alba lächelte amüsiert.
»Über die Aufgabe, die sich dank ihrer Klage vor mir auftürmt.«
»Vater wird nicht gerade entzückt sein, wenn er erfährt, dass du dazu auserkoren bist, Nicolais Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Er hätte den alten Halsabschneider liebend gerne selbst mehr als einmal ins Jenseits befördert.« Halbherzig bekreuzigte sie sich. »Als ich erfuhr, wie der Lombarde draußen vor dem Hahnentor gefunden wurde, habe ich sogar für einen Moment überlegt, ob das nicht vielleicht sogar Vaters Werk gewesen sein könnte.«
»Vater hätte ihn vielleicht im Affekt erschlagen, aber nicht erwürgt und dann an einem Baum aufgeknüpft.«
Alba neigte den Kopf leicht zur Seite. »Bist du sicher?«
Er war es nicht und das wurmte ihn. Deshalb schwieg er tunlichst und nahm sich vor, bei allernächster Gelegenheit Gregor van Cleve aufzusuchen, um das zu klären.
»Gefällt sie dir?«
»Wie bitte?« Irritiert runzelte er die Stirn.
Alba lächelte wieder. »Aleydis Golatti. Ich will wissen, ob sie dir gefällt, Bruder. Das wiederum würde nämlich unserem Vater ausgesprochen gut gefallen. Du weißt, dass er einst …«
»Ich weiß, was er vorhatte, Alba.«
»Leider hat Jorg de Bruinker ihm da einen ordentlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber das ließe sich womöglich jetzt korrigieren. Deshalb meine Frage, Vinzenz. Falls sie dir gefällt …«
»Nein, Alba.«
»Nein, es lässt sich nicht korrigieren oder nein, sie gefällt dir nicht?«
»Beides.« Demonstrativ zog er sein in Leder gebundenes Rechnungsbuch unter dem Stapel an Papieren und Pergamenten hervor und schlug es auf.
Leider ließ Alba sich davon so wenig beeindrucken wie eh und je. »Wie schade. Sie ist wirklich ein hübsches Menschenkind.«
»Mag sein.«
»Und dumm kann sie auch nicht sein. Immerhin hat sie Nicolai die Bücher geführt.«
»Muss ich dich mit Gewalt hinauswerfen oder hörst du von selbst mit diesem Unsinn auf?«
Alba seufzte theatralisch. »Es wäre nur so praktisch, findest du nicht auch? Vater wäre besänftigt, nun gut, ein kleiner Skandal ließe sich vermutlich nicht verhindern, aber so etwas legt sich auch wieder. Dieses Haus hätte endlich wieder eine Hausfrau …«
»Dieses Haus hat dich.«
»Du hättest ein tüchtiges Weib …«
»Ich brauche kein tüchtiges Weib.«
»Du hast ja keine Ahnung, wie sehr du dich da irrst, Bruder.«
»Ich will kein Weib, Alba.«
»Aha, da kommen wir der Sache schon näher. Du willst sie also nicht, aber es hat nichts mit ihrem Äußeren zu tun, das du soeben als hübsch anerkannt hast. Also liegt es an etwas anderem, Vinzenz, und ich sage dir auch genau, woran. An deinem vermaledeiten«, hier bekreuzigte sie sich erneut flüchtig, »Sturkopf. Nur weil du einmal, nun gut, genau genommen zweimal Pech hattest, bedeutet das noch nicht, dass du deiner Lebtage unbeweibt bleiben musst. Aber gut, du wirst schon sehen, was du davon hast. Leider muss ich darunter ebenso leiden wie du selbst, denn wenn du dich wieder vermählen würdest, könnte ich mich zu den Beginen zurückziehen, wie es seit geraumer Zeit mein Wunsch ist, wie du sehr wohl weißt.«
»Vater wird nicht zulassen, dass du deine Mitgift benutzt, um dich bei den frommen Frauen einzukaufen.«
»Du meinst, das, was noch von meiner Mitgift übrig ist, nachdem mein grässlicher Gemahl selig das meiste davon verprasst hat?«
»Sprich nicht so über ihn.«
»Du hattest selbst kaum freundliche Worte für ihn, auch nicht, als er noch lebte.«
»Ich habe sie aber nicht so laut von mir gegeben, dass das ganze Haus es mitbekommen hat.« Verärgert rieb Vinzenz sich übers Gesicht und stellte dabei fest, dass es Zeit wurde, sich den Bart an Kinn und Oberlippe zu stutzen. Er tat dies spätestens jeden zehnten Tag, während der übrige Teil seines Bartwuchses täglich mit der Rasierklinge Bekanntschaft machte. Er legte Wert auf ein gepflegtes Äußeres, weil er die Erfahrung gemacht hatte, dass damit, gepaart mit einem ruhigen, überlegenen Auftreten, am ehesten das Vertrauen der Leute zu gewinnen war. Selbiges war für ihn unerlässlich, sowohl was sein Geschäft als auch sein Amt als Gewaltrichter betraf.
Alba erhob sich wieder und ging zur Tür. »Von mir aus. Ich habe es jedenfalls nur gut mit dir gemeint.«
»Indem du versuchst, mich mit Nicolais Witwe zu verkuppeln?«
»Ich habe dich lediglich auf ihre Qualitäten hingewiesen.«
»Zum Zweck, sie mir schmackhaft zu machen.«
Alba lächelte wieder fein. »Was wäre so schlimm daran?«
Entnervt schloss er für einen Moment die Augen. »Ich wüsste nicht einmal, wo ich mit der Aufzählung beginnen sollte, Alba. Und nun verschwinde und lass mir meine Ruhe.«
»Wie du willst.« Sie zuckte mit den Schultern. »Dann eben nicht. Weißt du was, Bruder, wenn ich es recht bedenke, wird sie sowieso spielend leicht jemand weit Besseren als dich finden.«
»Raus!« Erbost funkelte er sie an.
»Du weißt, dass ich recht habe, Vinzenz. Keine Frau hat eine wandelnde Gewitterwolke wie dich verdient. Und falls sich doch noch einmal eine für dich erwärmen sollte, müsste sie wohl aus härterem Holz geschnitzt sein, als dieses Püppchen. Also nehme ich zu deiner Beruhigung alles zurück und behaupte das Gegenteil.« Mit einem vergnügten Lachen verließ Alba den Raum. Wenig später hörte er ihre Stimme aus der Küche, wo sie mit Bette, der Köchin, scherzte.
Kopfschüttelnd wandte er sich wieder dem Rechnungsbuch zu, schob es aber nach einer kurzen Weile beiseite und verließ seine Schreibstube. Seinem Knecht Clewin gab er Anweisungen, Münzen und Waagen aus der Wechselstube hinunter in den geschützten Kellerraum zu bringen und den beiden Wachleuten Ailf und Ludger Bescheid zu geben, dass sie auf ihre Posten zu gehen hatten. Danach machte er sich auf den Weg hinunter zum Hafen, um bei seinen Kontaktmännern weitere Erkundigungen über den Ermordeten einzuholen.
Was er dabei in Erfahrung brachte, bestätigte ihn in der Annahme, dass es alles andere als einfach werden würde, dem Täter auf die Spur zu kommen. Nicolai Golatti hatte sich nicht nur unter den Menschen Feinde gemacht, mit denen er Geschäfte gemacht hatte, sondern auch unter jenen, die sich zu seinen Lebzeiten als seine besten Freunde bezeichnet hätten. Das Wespennest summte.

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Der Start einer neuen Reihe:
Mit dem Roman um die Lombardenwitwe Aleydis de Bruinker betritt die Autorin vertrauten Boden: Köln.

Köln, 1423. Aleydis de Bruinker ist noch nicht lange mit dem lombardischen Geldverleiher Nicolai Golatti verheiratet, als dieser unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt. Man findet ihn erhängt – hat er sich das Leben genommen? Aleydis will das nicht glauben. Und tatsächlich: Sie findet Male, die auf einen Mord hinweisen. Potentielle Täter gibt es genug, Nicolai hatte viele Feinde.
Die junge Witwe stellt Nachforschungen an, die nicht jeden erfreuen. Schon bald schwebt sie in großer Gefahr, und es scheint, als sei ihr einziger Verbündeter in den Mord verstrickt …

Cover Das Gold des Lombarden
Das Gold des Lombarden

Historischer Roman
Petra Schier

Rowohlt-Taschenbuch & eBook, 512 Seiten, ISBN 978-3-499-27088-8
9.99 Euro

Erscheint voraussichtlich am 18.09.2017

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