In wenigen Wochen erscheint bereits mein neuer Weihnachtsroman, was ein guter Grund ist, euch noch einen letzten Textschnipsel vorzustellen, damit ihr schon mal ein bisschen Vorfreude tanken könnt.

Ich habe hierzu eine Textstelle ausgewählt, die diesmal nicht besonders witzig oder romantisch ist, sondern die die ganz besondere Freundschaft, die Ricarda und Frank verbindet, sehr emotional verdeutlicht. Ich will auch gar nicht weiter darauf eingehen, denn worum es geht, erschließt sich aus dem Zusammenhang. Gerne dürft ihr mir in den Kommentaren eure Eindrücke zu dieser Szene mitteilen.

Aus dem 11. Kapitel

Aus Gewohnheit begann Ricarda, die Fotos chronologisch und nach Anlässen zu ordnen, als ihr Handy vermeldete, dass Frank eine Nachricht geschrieben hatte. In ihrer Magengrube kribbelte es diesmal eigentümlich. Heute war der Tag der Beerdigung. Genauer gesagt müsste diese, soweit sie sich erinnerte, in Kürze beginnen. Neugierig öffnete sie die Textnachrichten-App.

Frank: Was machst du gerade?

Ricarda schoss rasch zwei Fotos von den Fotoalben und Schuhkartons, die um sie herum verteilt lagen, und schickte
sie ihm.


Ricarda: Ich stöbere in der Vergangenheit. Wie geht es dir?


Frank: Also hast du ein bisschen Zeit?


Ricarda: Klar. Wofür denn?


Sie hatte die Nachricht kaum versendet, als ihr Handy klingelte und gleichzeitig Franks Name und Gesicht auf dem
Display erschienen. Sie schluckte gegen den kleinen Schreck an, bemühte sich, ihren ins Holpern geratenen Herzschlag
zu ignorieren und nahm den Anruf an. »Hey. Alles okay?«

»Hey.« Franks Stimme war anzuhören, dass er alles andere als okay war.

Ricardas Herz zog sich zusammen. »Was ist los?«

»Die Trauerfeier fängt gleich an.« Frank räusperte sich unterdrückt. Er sprach sehr leise, im Hintergrund waren weitere
Stimmen zu vernehmen, die sich auf Englisch unterhielten. Alles war überdeutlich zu hören, weil ihr Smartphone immer
noch mit dem Bluetooth-Lautsprecher verbunden war. »Würdest …« Er stockte kurz. »Kannst du bei mir bleiben?«

Ricarda verspürte eine Gänsehaut über ihren Körper kriechen. »Bei dir?«

»Ja, ich … weiß gerade nicht, ob ich das alleine durchstehe. Ich weiß, du kanntest Geoffrey nicht, aber er war
mein Freund. Ein sehr guter Freund. Kannst du während der Trauerfeier und der Beerdigung bei mir bleiben? Am Telefon, meine ich?«

»Du willst die ganze Zeit telefonieren? Wird das nicht unhöflich und pietätlos wirken?«

»Das ist mir egal.« Frank schluckte hörbar. »Ich habe das mit Janet abgesprochen, sie hat nichts dagegen. Ich halte das
Handy auch nicht ans Ohr oder so, sondern nur in der Hand. Nur damit ich weiß, dass du bei mir bist. Am anderen Ende der Leitung.«

Hey, sagt mal, was ist das denn auf einmal? Ist das Franks Stimme? Wo kommt die denn plötzlich her? Ist er hier irgendwo? Naila sprang aus ihrem Körbchen auf und rannte mit erhobener Nase im Raum herum. Nein, nichts. Wo steckt er denn bloß?

Ein höchst eigenartiges Gefühl breitete sich in Ricardas Herz aus und drückte ihr zugleich die Luft ab. »Also …
okay. Wenn du das möchtest, bleibe ich in der Leitung.« Sie klopfte neben sich auf das Polster der Couch, um Naila auf
sich aufmerksam zu machen, die prompt näher kam und sie neugierig musterte.

»Danke, Ricarda.« Es entstand eine kurze Pause, in der sie Frank leise auf Englisch mit jemandem reden hörte. Dann
sprach er wieder ins Smartphone. »Ricarda? Wir gehen jetzt in die Kirche. Bitte leg nicht auf, ja? Bis es vorbei ist?«

»Ich lege nicht auf.« Ein mulmiges Gefühl beschlich Ricarda, als sie sich vorstellte, wie die Trauergesellschaft in
die Kirche zog, in der vermutlich vor dem Altar der Sarg aufgebahrt war. Oder war es eine Urnenbeisetzung? Sie hatte
ganz vergessen zu fragen.

Ich kapiere immer noch nicht, woher diese komischen Geräusche kommen. Und Ricarda-Frauchen macht plötzlich so
ein merkwürdiges Gesicht. Ich glaube, es geht ihr nicht gut. Was mache ich denn jetzt?

Vorsichtig schob Ricarda die Alben und Kartons zur Seite. Dann hob sie Naila einfach auf ihren Schoß.

Huch! Was passiert denn jetzt? Moment mal, ich darf hier hoch? Einfach so? Und auf deinem Schoß liegen? Na gut,
dagegen habe ich nichts einzuwenden.
Naila trampelte ein bisschen auf Ricardas Beinen herum, drehte sich einmal um
sich selbst und kringelte sich dann zusammen. Ja, so geht es. Das ist nicht übel.

Die Situation hatte eindeutig etwas Surreales an sich. Es waren Geraschel und Geknister durch den Lautsprecher zu
hören, hin und wieder Stimmen, dann wurde es still am anderen Ende der Leitung. Angestrengt lauschte Ricarda. Die
Verbindung war nicht abgebrochen. Anscheinend hatten die Trauergäste jetzt alle ihren Platz gefunden. Es dauerte nur
wenige Minuten, bis ein Mann, wahrscheinlich der Reverend, mit klarer Stimme ein Gebet anstimmte. Als es zu Ende war, vernahm sie ganz deutlich Franks »Amen«. Instinktiv umfasste sie ihr Smartphone fester und fragte sich, ob Frank
wohl gerade das Gleiche tat. Mit der anderen Hand kraulte sie, ohne es wirklich zu merken, Naila hinter den Ohren, die
ganz leise blieb und stillhielt, so als wüsste sie, dass sie nicht stören durfte.

Ein bisschen unheimlich ist mir das Ganze ja irgendwie. Ricarda, die so ein bedrücktes Gesicht macht, und diese Geräusche und Stimmen, die hier im Raum schweben. Das ist etwas anderes als die Musik von vorhin. Ich glaube, ich bleibe einfach mal ganz still hier auf Ricardas Schoß liegen und warte ab, was passiert.

Während der gesamten Trauerfeier saß Ricarda einigermaßen angespannt auf der Couch und lauschte den diversen
kurzen Trauerreden und Gebeten und fühlte sich zunehmend, als sei sie tatsächlich vor Ort. Durch den Lautsprecher
wurden alle Geräusche und Stimmen praktisch in natürlicher Lautstärke zu ihr übertragen. Sie war noch nicht oft auf Beerdigungen gewesen und noch nie bei der von jemandem, der ihr besonders nahegestanden hatte. Das war ihr glücklicherweise bislang erspart geblieben. Ihre leiblichen Eltern waren zwar beide nicht mehr da, doch weder sie noch Patrick waren zu einer der Beerdigungen gegangen noch hatten sie je die Gräber der beiden besucht. Vielleicht, so überlegte sie, sollten sie das irgendwann einmal nachholen. Und sei es auch nur, um den Menschen, die ihnen das Leben geschenkt hatten, dafür – und nur dafür – ihren Dank auszusprechen. Denn für mehr als das konnte sie weder ihrem Vater noch ihrer Mutter Dank, Zuneigung oder auch nur einen Funken Respekt zollen, sosehr sie dies auch bedauerte.

Natürlich wusste sie, wo die beiden beerdigt worden waren, kannte sogar genau die Parzellen auf den beiden Friedhöfen. Die Zahlen- und Buchstabenkombinationen würde sie wohl nie vergessen. Ihre Eltern hingegen schon. Sie hatte tatsächlich nur noch diffuse Erinnerungen an die beiden. Beide waren relativ jung gewesen, als Patrick und Ricarda auf die Welt gekommen waren, beide waren arbeitslos gewesen und schon mehrfach mit dem Drogenmilieu in Berührung gekommen. Alkohol und Hoffnungslosigkeit waren dazugekommen, ebenso wie eine grundsätzliche Unfähigkeit und der fehlende Wille, sich richtig um die Kinder zu kümmern. Deshalb hatte das Jugendamt schon recht früh eingegriffen und Pflegefamilien eingeschaltet. Immer wieder waren Versuche gestartet worden, die Familie wieder zusammenzuführen, doch es hatte nie lange funktioniert. Entweder hatte die Mutter die Zwillinge wieder weggeschickt, oder sie waren abgehauen.

Bei einem dieser Fluchtversuche waren sie der Diebesbande in die Hände geraten. Ricarda dachte mit Unbehagen
an jene Zeit zurück und spürte jedes Mal eine beklemmende Enge, die erst nachließ, wenn sie sich daran erinnerte, dass sie dieser Hölle entkommen waren. Dass sie in Sicherheit und einem liebevollen Hafen gelandet waren. Dass alles gut geworden war, obwohl sie die Hoffnung bereits fast aufgegeben hatte.

»Wir fahren jetzt zum Friedhof.« Franks Stimme riss sie unsanft aus ihren Gedanken. »Bist du noch da, Ricarda?«

Nailas Kopf hob sich ruckartig. Da! Das ist doch eindeutig Franks Stimme. Wieso redet er hier mit uns, obwohl er gar
nicht zu sehen ist? Das ist wohl so ein Menschengeheimnis. Irgendwie echt unheimlich.
Mit einem leisen Schnaufen legte Naila den Kopf wieder auf ihren Pfoten ab.

Ricarda nickte, erinnerte sich dann aber daran, dass Frank das gar nicht sehen konnte. »Ja, ich bin noch da.«

»Gut.« Etwas raschelte, dann hörte sie Autotüren klappen und einen Motor anspringen. Die Stimme einer Frau und eines Mannes, die sich höflich bei Frank bedankten, dass er sie mitnahm. Danach wurden die Geräusche etwas dumpf.
Wahrscheinlich hatte er das Handy in seine Manteltasche geschoben.

Die Fahrt dauerte nicht sehr lange, danach wurden die Geräusche wieder klarer, die Stimmen rings um Frank herum
waren deutlich zu verstehen. Immer noch hatte Ricarda das eigentümliche Gefühl, wirklich dort zu sein und anstelle ihres Smartphones Franks Hand in ihrer zu halten. Die Entfernung von Tausenden von Kilometern und einem ganzen
Ozean, der zwischen ihnen lag, war zu einem Nichts zusammengeschrumpft, die Welt winzig geworden.

Schweigend lauschte sie dem Reverend, der wiederum ein Gebet sprach und die üblichen Dinge sagte, die eben auf einer Beerdigung gesagt wurden. Sie war sogar hautnah dabei, als Frank ans offene Grab trat und Erde auf den Sarg schaufelte.

Das leise Poltern und Knistern war unzweifelhaft zu erkennen, auch wenn er offenbar das Handy wieder kurz in irgendeine Tasche geschoben hatte. Danach waren erneut leise Stimmen zu hören, Beileidsbekundungen, hier und da leises Schluchzen.

Unsicher knabberte Ricarda auf ihrer Unterlippe herum. Auflegen würde sie selbstverständlich nicht, aber irgendwie
war es auch nicht so wirklich angenehm, völlig fremde Menschen in ihrer Trauer zu belauschen.

»Ricarda?« Sie hätte vor Schreck beinahe das Handy fallen lassen, als Franks Stimme wieder laut und deutlich zu hören
war.

»Ja, ich bin noch da«, antwortete sie hastig. »Ist es … Ich meine …«

»Ja, es ist vorbei.« Frank klang ein wenig angestrengt, seine Stimme gepresst. Er hielt kurz inne. »Yes, I’m coming.« Das
war wohl an jemanden aus der Familie gerichtet. »Okay, I’ll tell her.« Er hüstelte. »Ich soll dir von Janet ausrichten, dass
sie auch gerne so eine Freundin wie dich hätte.«

Darauf fiel Ricarda keine Antwort ein. »Geht es dir gut?«

»Einigermaßen. Ricarda?«

»Ja?« Sie hielt den Atem an.

»Danke.« In diesem einzelnen Wort steckte so viel, dass sich Ricardas Kehle zuschnürte.

»Keine Ursache.«

»Ich muss los.«

»Okay. Mach’s gut.«

»Ich melde mich.« Es piepte kurz in der Leitung; die Verbindung war unterbrochen. Eine ganze Weile starrte Ricarda
schweigend ihr Smartphone an. Der Akkustand war auf dreizehn Prozent geschrumpft. Kein Wunder nach dem fast
zweistündigen Telefonat.


Liebe, Glück und Weihnachtsplätzchen

Nach langer Zeit im Ausland kehrt Frank in seinen Heimatort zurück, um die Kanzlei seiner Eltern zu übernehmen und sich um die junge Pudeldame Naila zu kümmern. Am meisten freut er sich allerdings auf Ricarda, seine beste Freundin aus Kindheitstagen, das Mädchen, in das er unsterblich verliebt war. Jahrelang hat er versucht, seine Gefühle für sie zu vergessen, doch als er ihr jetzt gegenübersteht, wird ihm klar, dass sie noch immer so stark sind wie damals. Aber Frank weiß auch, dass es nicht leicht sein wird, Ricarda zu überzeugen, dass Liebe nicht das Ende ihrer Freundschaft bedeuten muss.

Plätzchen gesucht, Liebe gefunden

Petra Schier

HarperCollins, Taschenbuch
12,5 x 18,7 cm, 462 Seiten
Erscheint am am 21.09.2021
ISBN 978-3749901-53-1
11,00 € / eBook  8,99 €

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