Habt ihr euch schonmal mit einem Massenmörder unterhalten? Oder mit Julius Cäsar? Oder mit der netten Andromedanerin von nebenan, die immer so gute Venus-Kuchen backt? Das geht nicht, sagt ihr? Natürlich geht das.
Ein Roman lebt von seinen Charakteren. Um diese zu erschaffen, kann man entweder Geschichtsbücher wälzen oder die Tageszeitung oder andere nützliche Lektüre. Oder man erfindet sie. Für einen Schriftsteller ist das Alltag, was aber nicht heißen soll, dass es einfach ist.
Wir haben eine Idee für einen Roman, wissen wann und wo er spielen wird, und nun brauchen wir noch das passende Personal.
Wahrscheinlich schwebt uns in dieser Hinsicht bereits so einiges vor. Männlein oder Weiblein, alt oder jung, schön oder hässlich oder von allem etwas. Wir entwerfen Motive, Gegenspieler und typische Charakterzüge, damit unsere Romanfiguren am Ende nicht platt und klischeehaft wirken. Denn das, so wissen wir aus der einschlägigen Literatur, ist eine Todsünde. Und zu Recht. Wer will schon über Michael Mustermann lesen, der einen perfekten Körper, ein perfektes Bankkonto und ein perfektes Leben hat, niemals etwas falsch macht und am Ende die ebenso perfekte Traumfrau heiratet?
Am Ende haben wir alle wichtigen Details gesammelt, z.B. für unseren Protagonisten. Er steht sozusagen vor unserem inneren Auge. Irgendwie ist er aber noch immer seltsam gesichtslos, obwohl wir sogar seine Augenfarbe kennen und wissen, dass er neben dem rechten Mundwinkel ein Grübchen hat. Irgendwas fehlt. Er ist noch nicht lebendig.
Was wir brauchen, ist ein Namen für ihn. Und Namen sind gar nicht so einfach zu finden. Deshalb haben ja auch schon Generationen von Eltern stapelweise Namenslexika gewälzt. Das können wir natürlich auch. Heiligenbücher sind zuweilen auch ganz nützlich. Aber egal, ob wir uns für einen seltenen, biblischen oder für einen Allerweltsnamen entscheiden: der Namen muss passen.
Und nun das Phänomen:
Sobald der Namen für unseren Protagonisten feststeht, bekommt er auch sein Gesicht und wird lebendig. Er atmet, beginnt zu agieren und zu reagieren, er hat Gefühle, Schwächen und Stärken, kurzum, er ist plötzlich von dieser Welt. (Oder von der, die wir geschaffen haben.)
Und alles nur, weil er eben diesen Namen bekommen hat!
Namen haben “Magie”. Nicht umsonst gab und gibt es Völker, denen Namenwörter derart heilig sind, dass sie sie nur bestimmten Mitmenschen überhaupt verraten. Es gibt nämlich den Glauben, dass derjenige, der deinen Namen kennt, Macht über dich hat.
Nun darf dies aber nicht zu falschen Rückschlüssen führen. Die wenigsten Schriftsteller üben Macht über ihre Figuren aus, die meisten wären auch gar nicht fähig dazu.
Ab dem Augenblick, da die Figuren ihren Namen haben und zu handeln beginnen, fangen sie meist auch an, ein Eigenleben zu führen. Und das nicht immer zur reinen Freude des Autors. Da kann es nämlich passieren, dass man eine Szene schreiben will, die man schön sorgfältig geplant hat, und unser Protagonist verhält sich plötzlich ganz anders, als wir dachten. Was dazu führt, dass auch alle anderen Figuren anders reagieren. Und schon haben wir den Salat. Hierzu muss ich allerdings aus eigener Erfahrung sagen, dass ich in einem solchen Fall den Dingen einfach ihren Lauf lasse. Interessanter Weise wissen meine Figuren nämlich so gut wie immer besser, was sie tun oder sagen müssen, um die Handlung weiter zu treiben. Ich freue mich dann sogar darüber, wenn sie das Ruder übernommen haben, denn es zeigt mir, dass sie wirklich aus Fleisch und Blut sind, sozusagen gut gelungen.
Und damit wären wir wieder beim Anfang:
Um sicher zu sein, dass ihr eure Figuren auch wirklich kennt, solltet ihr euch hin und wieder mit eurem Massenmörder, Julius Cäsar oder der Andromedanerin an einem stillen Ort treffen und euch mit ihnen unterhalten. Ihr könnt sie auch ein bisschen in ihrem imaginären Leben begleiten oder sie in die verschiedensten Situationen schicken, um zu erfahren, wie sie damit zurecht kommen.
Und ihr müsst akzeptieren, dass sie für euch in ihrer fiktiven Welt ebenso real sind, wie jeder echte Mensch. Sie sind echt, wenn sie auch nur in eurem Kopf oder auf dem Papier existieren.
Mehr zum Thema Schreibhandwerk und Veröffentlichen findet ihr HIER und in der Rubrik Tipps für Autoren auf meiner Internetseite www.petra-schier.de.
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Petra Schier, Jahrgang 1978, lebt mit Mann und Hund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel. Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2003 als freie Autorin. Ihre historischen Romane erscheinen im Rowohlt Taschenbuch Verlag, ihre Weihnachtsromane bei Rütten & Loening sowie MIRA Taschenbuch.
Unter dem Pseudonym Mila Roth veröffentlicht die Autorin verlagsunabhängig verschiedene erfolgreiche Buchserien.
Petra Schier ist Mitglied in folgenden Autorenvereinigungen: DELIA, Syndikat, Autorenforum Montségur
Liebe Petra, bei mir geht das mit den Namen komplett andersrum. Ich finde es unmöglich meinen Personen einen Namen zu geben, bevor ich sie richtig gut kenne. Im ersten Entwurf eines Buches heißen die alle X oder Y. Dann kriegen sie irgendwann erst mal einen Vornamen und ganz zum Schluß den Nachnamen.
P.S. Vorsicht, wenn du mit Julius Cäsar essen gehst. Der lässt grundsätzlich die anderen zahlen ;-)
…und er achtet darauf, dass seine Tischpartner Löffelgerichte bestellen und nicht Messer und Gabel verwenden! (besonders bei denen, die hinter ihm sitzen). Hat wohl schon mal schlechte Erfahrungen gemacht.
Hihihi. :-)
Ehrlich gesagt, ich könnte nicht mit X oder Y arbeiten. Ich sehe das auch so, dass Figuren sich selbst entwickeln, ein gewisses Eigenleben aufbauen müssen, um authentisch zu sein. Und authentische Figuren haben einen Namen, mal abgesehen von SciFi-Figuren wie H2D2. Als Autor muss ich mich in sie hineinversetzen können und sicher gibt jeder Autor seiner Figur bestimmte Eigenschaften von sich selbst, von ihm bekannten Personen usw. mit. Dann beginnt das Eigenleben: Wie würde mein Arne Heller, den ich Journalist sein lasse (ups, das bin ich ja auch!), ein wenig oberflächlich und mit einem Hang zum Dünkel, wie würde er jetzt in dieser Situation handeln, wenn er merkt, dass die Neonazi-Clique es auf ihn abgesehen hat? Mitunter ertappe ich mich dabei, dass das Eigenleben der Figuren meinen Plot (so ich einen habe!) überlagert. Für mich ist das ein Zeichen, dass ich mich tatsächlich mit der Figur identifiziere und sie reale Züge annimmt – und obendrein dafür, dass ich mein Konzept wieder mal zu oberflächlich ausgearbeitet habe. Das soll beileibe kein beispielhaftes Vorgehen sein. Ich denke, das liegt einfach in meiner Wesensart; bei Programmen bin ich auch mehr der Impro-Typ, während mein Bühnenpartner alles genau durchgeplant und getimed haben möchte.
Ich plane aus diesem Grund absichtlich nur den roten Faden der Geschichte. In der Regel gerade so viel, dass der Verlag zufrieden ist, denn der braucht ja ein Exposé, um zu wissen, was er ein- und später dann an die Leser (oder erst mal die Buchhändler) verkauft.
Da ich ganz genau weiß, dass meine Figuren ganz schnell die Regie übernehmen, würde mich ein zu detailliert geplanter Plot nur einengen. Oder ich würde ihn vermutlich eh ganz schnell über den Haufen werfen, also tue ich mir diese aufwendige Vorarbeit erst gar nicht an. :-)
Das freut mich zu hören, dass eine arivierte Autorin nach dieser “Methode des unbekümmerten Probierens” und der Eigendynamik arbeitet und damit erfolgreich ist. Bei Tipps zum Schreibhandwerk hört und liest man natürlich immer wieder, wie wichtig es ist, einen Plot auszuarbeiten, ein klares Konzept zu haben – und ich habe mein Vorgehen immer als eine handwerkliche Schwäche angesehen, an der ich arbeiten muss.
Aber vermutlich gibt es eben nicht das Patentrezept schlechthin, sondern jeder Autor muss sehen, wie er am besten eine Geschichte ausarbeitet, ohne sich zu verzetteln oder den Spannungsbogen zu verlieren.
Ein Patentrezept gibt es tatsächlich nicht. Ich kenne einige Kolleginnen und Kollegen, die tatsächlich jedes Detail vor Beginn des Schreibens plotten und planen, bis hin zu den einzelnen Kapiteln und Szenen. Das kommt aber für mich überhaupt nicht infrage. Man muss den eigenen Weg finden, und der kann sich auch immer mal wieder leicht ändern.